acht, daß alle dabei beteiligt sind. Auch er wurde gezwungen, einen Bissen davon in den Mund zu nehmen, gerade wie die anderen. Aber mehr war es auch nicht.«
»Und jetzt,« erwiderte die Frau mit einem unbeschreiblich verächtlichen Ton in der Stimme, »jetzt weiß ich, was der Pfarrer mir sagen will. Jetzt ist Sven nicht mehr gut genug für sie, und da hat er den Pfarrer gebeten, uns zu überreden, ihn bei uns aufzunehmen. Nun, ist's nicht so?«
»Das wäre wohl das beste, was hätte geschehen können,« versetzte der Mann.
»Aber ich, ich sage nein!« rief Mutter Elversson. »Ich sage nein. Er soll nicht zu uns zurückkommen, weil er bei niemand anderem mehr eine Zuflucht hat. Als es ihm gut ging, da vergaß er seine Eltern. Er soll sich nicht einbilden, daß wir ihn jetzt aufnehmen. Arm sind wir zwar und alt und hilflos. Aber wir nehmen nicht einen Sohn bei uns auf, der sich so betragen hat, daß kein anderer Mensch ihn auch nur ansehen mag.«
Vater Elversson sah seine Frau mit einem Blick an, in dem Zorn und Ungeduld brannten. Er war alt und kraftlos, und es wäre für ihn der Gipfel des Glückes gewesen, wenn er einen arbeitsfähigen Sohn ins Haus bekommen hätte. Der Ekel, den seine Frau empfand, erschien ihm kindisch und unberechtigt. Sie kam ihm schlecht und eigensinnig vor. »Warte nur!« dachte er. »Du sollst von mir Worte hören, mit denen du zufrieden sein wirst.«
»Es ist, wie ich sage,« begann er mit strenger Stimme. »Es wird dem Herrn Pfarrer nicht schwer fallen, dir das mitzuteilen, was in seinem Briefe stand.«
»Ist es denn nicht so, wie ich glaube?« fragte Mutter Elversson, und ihr Ton verlor dem deutlichen Zorn und Mißfallen ihres Mannes gegenüber etwas von seiner Sicherheit.
Wieder sah sie der Mann mit wirklicher Mißbilligung an.
»Soll ich dir jetzt das sagen, was der Pfarrer dir mitzuteilen hat, oder willst du warten, bis er kommt?«
Er wartete jedoch ihre Antwort nicht ab, so kochte das Verlangen in ihm, sie für ihre Lieblosigkeit zu bestrafen.
»Svens Pflegeeltern wohnen ja in London,« sagte er, »und Sven war zu ihnen zurückgekehrt. Aber als dieses böse Gerücht über die Nordpolfahrer laut wurde schickte ihm der Vater die Zeitungen, in denen es besprochen war, auf sein Zimmer, und ein Revolver war auch dabei, ein geladener Revolver.«
»Und die Mutter? Wußte sie davon?« rief Thala Elversson.
»Ja, sie wußte davon.«
»Und dann?«
»Dann ging es natürlich so, wie sie es gewollt hatten.«
»So, daß er also jetzt tot ist?«
»Ja,« sagte der Mann, »und jetzt weißt du, was der Pfarrer dir zu sagen hat.«
»Sie also,« sagte die arme Mutter, »sie, die ihn nicht geboren hat, sondern ihn siebzehn Jahre lang bei sich hat haben dürfen, sie hat ihn sich selbst töten lassen, obgleich er nichts verbrochen hatte.«
Darauf wendete sie sich ihrem Manne zu und sagte heftig:
»Du lügst! Das ist nicht wahr.«
»Das hätte ich auch noch vor einer Stunde gesagt. Ich hätte nicht geglaubt, daß eine Frau so hart sein könnte, aber seit ich dich so reden höre, zweifle ich nicht mehr daran.«
»Aber seine Pflegeeltern waren doch nicht die einzigen, an die er sich hätte halten können. Er hatte ja uns.«
»Er meinte wohl, wir würden es auf dieselbe Art aufnehmen wie die anderen, und darin hatte er ja nicht unrecht.«
Sie ging von ihrem Manne weg und setzte sich auf die große Steinplatte. Heiße Tränen strömten ihr aus den Augen.
»Sven ist tot!« sagte sie. »Sven ist tot! Er kam zu einer Mutter, die ein steinernes Herz hatte, deshalb mußte er sterben.«
Sie weinte und stöhnte zum Herzbrechen.
»Ach Gott, warum haben wir ihn von uns fortgelassen! Ach, daß er nun wegen gar nichts in den Tod gejagt worden ist!«
»Du mußt dich etwas beruhigen,« sagte der Mann. »Der Pfarrer ist da. Das Boot legt eben an.«
»Sag' ihm, ich wisse schon alles. Er soll nur gleich wieder abfahren.«
»Aber das geht doch nicht gut, wenn er sich jetzt diese ganze Mühe gemacht hat.«
Joel verließ seine Frau, und nach ein paar Augenblicken kehrte er in Gesellschaft des Pfarrers und eines jungen Mannes zurück.
Der Pfarrer trat zu der weinenden Frau.
»Joel sagt, er habe Euch alles mitgeteilt, Mutter Elversson,« begann er. »Ihr wißt schon, daß Sven etwas sehr Tadelnswertes getan hat und daß ihn seine Pflegeeltern von sich gewiesen haben.«
Die Frau war aufgestanden, um den Pfarrer zu begrüßen. Sie hielt ihren Schürzenzipfel noch vor das Gesicht; aber trotzdem ihre Augen ganz verweint waren, fing sie doch einen Schein von dem jungen Manne auf, der den Pfarrer begleitete.
»Das ist Sven,« sagte eine innere Stimme zu ihr. »Das ist Sven.«
Tausend Gedanken drangen auf sie ein. Sie begriff, daß Joel sie in seinem Zorn über ihre harten, herzlosen Reden angelogen hatte. Auch meinte sie, sie werde wohl niemals den Ekel überwinden können, der sie ergriffen, als sie gehört hatte, daß Sven Menschenfleisch gegessen habe. Und desgleichen wurde ihr klar, daß sie diesen Sohn nun bei sich daheim behalten mußten. Niemand würde ihn in seinen Dienst nehmen wollen. Aber während diese kalten Gedanken auf sie eindrangen, sah sie auch, wie bleich und abgezehrt das Gesicht des Sohnes war, wie seine Augen sie um Mitleid anflehten, und eine Woge von Liebe und Barmherzigkeit quoll in ihrem Herzen auf.
»Ach, der Joel, der Joel!« dachte sie. »Er ist in der Tat merkwürdig. Er hat mir gezeigt, wie es wirklich in meinem Herzen aussieht. Jetzt fühle ich, daß ich diesen Jungen, obgleich er siebzehn Jahre von mir fort gewesen ist, obgleich er uns vernachlässigt hat, obgleich er mit so geringem Ruhm zurückkehrt, liebhaben muß, ja von Herzen liebhaben.«
Und ohne dem Pfarrer etwas zu erwidern, trat sie, während die Blicke der Männer ihr ängstlich folgten, zu dem Sohn und hieß ihn in der Heimat willkommen.
»Ich glaube, all dies Schwere ist über dich gekommen, weil Joel und ich dich wieder haben sollten,« fügte sie mit ihrer freundlichsten Stimme hinzu.
In der Kirche
Sven Elversson, der Mann, der von den beiden Alten auf der Grimö als Sohn aufgenommen worden war, saß in der Kirche zu Applum und dankte Gott, weil er ihn eine Freistatt hatte finden lassen, wo er nicht mit Ekel und Widerwillen betrachtet wurde.
Auf der einsamen, unfruchtbaren kleinen Felseninsel mit ihren beiden Bewohnern brauchte er nicht zu fürchten, jenem Herunterziehen der Mundwinkel zu begegnen, das Ekel bedeutet. Der Vater war alt, er fühlte keinen Widerwillen, weil er schon alle starken Gefühle für Lust oder Unlust verloren hatte. Die Mutter hatte allerdings noch ihre ganze Gefühlsfähigkeit, aber sie liebte ihn.
Die Kirche, in der Sven Elversson saß, war eine alte Holzkirche, deren Decke mit einem großen Gemälde des Jüngsten Gerichtes geschmückt war. So oft Sven aufschaute, fiel sein Blick unvermeidlich auf einen großen schwarzen, grinsenden Teufel, der große Holzscheite ins Feuer schob, in dem ein Haufen Sünder in einer gelben brodelnden Brühe kochte. Sven Elversson erkannte diesen Teufel von damals, wo er vor siebzehn Jahren zum letztenmal in dieser Kirche gesessen hatte, wohl wieder. Was ihm diesen Teufel unvergeßlich gemacht hatte, war ein langer, an seinem Ende dreifach gespaltener Schwanz, den dieser Teufel beständig zum Umrühren in seinem Suppenkessel benützte.
Als Kind hatte Svens Phantasie sich oft mit diesem Meisterkoch, der mit so großer Geschicklichkeit gleichzeitig sein Feuer und seinen Kessel versorgte, beschäftigt. Jetzt dachte er nur: »Wenn alle die, so jeden Sonntag hier sitzen und diesen lustigen, die Sünder kochenden Geist des Abgrundes betrachten, auf einmal erfahren würden, daß sich mitten unter ihnen ein Mensch befindet, der wirklich einen Bissen Menschenfleisch zwischen seinen Lippen