befreit sein würde. Er gedachte seines Zeltes in Jerusalem, das er voller Kriegsbeute zurückgelassen hatte, und an die tapferen Krieger, die noch immer in Palästina waren, und die sich freuen würden, wenn er wiederum das Kriegshandwerk aufnehmen und sie zu Siegen und Eroberungen führen würde.
Da merkte Raniero, daß er bei diesen Vorstellungen nicht die mindeste Freude empfand, sondern daß seine Gedanken eine ganz andere Richtung einschlugen.
Und er erkannte zum erstenmal, daß er nicht mehr derselbe Mann war, als welcher er Jerusalem verlassen hatte. Denn jener Ritt mit der Lichtflamme hatte ihn gelehrt, sich an all denen zu freuen, die friedfertig, klug und barmherzig waren, und die Wilden und Streitsüchtigen zu verabscheuen.
Er ward frohen Mutes, so oft er an Menschen dachte, die friedlich in ihrem Heim schafften, und plötzlich überkam ihn das Verlangen, wieder in seine einstige Werkstatt einzuziehn, um dort schöne, kunstvolle Arbeiten zu vollenden.
»Wahrhaftig! Diese Flamme hat mich gänzlich verwandelt,« sagte er sich. »Ich glaube, sie hat mich zu einem anderen Menschen gemacht.«
5
Zur Osterzeit ritt Raniero in Florenz ein. Rücklings auf dem Pferde sitzend, die Kapuze tief über das Gesicht herabgezogen und die brennende Kerze in der Hand haltend, war er kaum durch das Stadttor geritten, als auch schon ein Bettler aufsprang und das gewohnte: »Pazzo, pazzo!« rief.
Auf diesen Ruf stürzte sogleich ein Straßenjunge aus einem Torweg herbei, und ein Tagedieb, der schon lange nichts anderes zu tun gehabt hatte, als am Boden zu liegen und in den Himmel zu starren, sprang auf und rief mit den anderen beiden:
»Pazzo, pazzo!«
Da nun ihrer drei schrien, genügte der Lärm, um sämtliche Straßenjungen auf die Beine zu bringen. Diese kamen denn auch aus allen Ecken und Winkeln herbeigerannt, und sobald sie Raniero in seinem zerschlissenen Pilgermantel auf seiner erbärmlichen Mähre erblickten, riefen sie: »Pazzo, pazzo!«
Doch an diesen Ruf war Raniero nun schon lange gewöhnt. Er ritt ruhig durch die Straßen, ohne der Rufenden sonderlich zu achten.
Sie aber begnügten sich nicht damit, zu rufen, sondern einer von ihnen sprang empor und wollte die Kerze ausblasen.
Raniero erhob die Hand mit der Kerze und suchte gleichzeitig sein Pferd anzutreiben, um der Bande zu entkommen.
Sie aber hielten gleichen Schritt mit ihm und taten, was sie nur vermochten, um die Kerze auszulöschen.
Je mehr Raniero sich bemühte, die Flamme zu schützen, desto hitziger wurden sie. Sie sprangen einander auf den Rücken, pusteten ihre Backen auf und bliesen mit aller Kraft. Sie warfen ihre Mützen nach der Kerze. Einzig und allein weil ihrer so viele waren, die sich gegenseitig hin und her drängten, gelang es ihnen nicht, die Lichtflamme zu verlöschen.
Ein tolles Treiben herrschte auf der ganzen Straße. In den Fenstern lagen lachende Menschen als Zuschauer. Niemand empfand Mitleid für den Wahnsinnigen, der seine Lichtflamme schützen wollte. Es war Kirchzeit, und viele Kirchenbesucher begaben sich zur Messe. Auch diese blieben stehen und schauten lachend dem Spiel zu.
Raniero stand nun aufrecht im Sattel, um die Kerze zu schützen. Er sah verwildert aus. Die Kapuze war herabgeglitten, und man sah sein Antlitz, das abgezehrt und bleich wie das eines Märtyrers war. Die Kerze hatte er emporgehoben, so hoch er es vermochte.
Die ganze Straße war ein einziges wüstes Gewimmel. Auch die älteren Leute begannen an dem Spiel teilzunehmen. Die Weiber wehten mit ihren Kopftüchern, und die Männer schwangen ihre Baretts. Alle bemühten sich, die Kerze auszulöschen.
Raniero ritt an einem Hause vorüber, das einen Balkon aufwies. Dort stand eine Frau. Sie neigte sich über das Geländer, entriß ihm die Kerze und eilte damit in ihre Zimmer.
Die ganze Menschenmenge brach in schallendes Gelächter und in Jubelrufe aus, Raniero aber wankte im Sattel und stürzte zu Boden.
Als er nun zerschlagen und ohnmächtig dalag, zog sich die ganze Volksmenge sogleich zurück.
Niemand wollte sich des Ohnmächtigen annehmen. Nur sein Pferd blieb neben ihm stehen.
Sobald die Straße menschenleer war, trat Francesca degli Uberti, mit einer brennenden Kerze in der Hand, aus ihrem Hause. Sie war noch immer schön, ihre Züge hatten einen sanften Ausdruck, und ihre Augen waren ernst und tief.
Sie trat auf Raniero zu und neigte sich über ihn. Er lag bewußtlos da, aber sobald der Lichtschein sein Gesicht traf, bewegte er sich und fuhr empor. Es war, als stehe er gänzlich im Bann dieser Lichtflamme. Da Francesca sah, daß er wieder bei Bewußtsein war, sprach sie: »Hier hast Du Deine Kerze. Ich habe sie Dir entrissen, weil ich erkannte, wie sehr Dir daran lag, sie brennend zu erhalten. Ich wußte nicht, wie ich Dir auf andere Weise helfen sollte.«
Raniero hatte sich bei dem Sturz vom Pferde übel zerschlagen und zerschunden. Doch nun konnte ihn nichts mehr zurückhalten. Er richtete sich langsam auf. Er wollte gehen, schwankte jedoch und wäre fast hingestürzt. Da versuchte er sein Pferd zu besteigen. Francesca half ihm dabei. »Wohin willst Du reiten?« fragte sie, als er wieder im Sattel saß. »Ich will zur Domkirche,« antwortete er. »Dann will ich Dich geleiten, denn ich will zur Messe gehen,« sprach sie, faßte den Zügel und führte das Pferd durch die Straßen.
Francesca hatte Raniero sofort wiedererkannt. Er aber sah nicht, wer sie war, denn er nahm sich nicht Zeit und Muße, sie zu betrachten. Er blickte nur unablässig auf die Lichtflamme hin.
Auf dem ganzen Wege schwiegen sie. Raniero dachte nur an seine Lichtflamme und wie er sie wohl in diesen letzten Augenblicken sicher behüten könnte. Francesca aber konnte kein Wort hervorbringen, weil sie innerlich fühlte, daß sie keinen klaren Bescheid über das haben wollte, was sie fürchtete. Sie konnte nur annehmen, daß Raniero als Wahnsinniger heimgekehrt sei. Doch obwohl sie fast überzeugt davon war, mochte sie doch lieber nicht mit ihm reden, um nicht die volle Bestätigung dessen zu erlangen.
Nach einer Weile hörte Raniero ein Schluchzen neben sich. Er blickte zur Seite und erkannte Francesca degli Uberti, die weinend neben ihm herschritt. Aber Raniero sah sie nur einen Augenblick an und sprach kein Wort zu ihr. Er wollte einzig und allein an die Lichtflamme denken.
Er ließ sich zur Sakristei hinführen. Dort stieg er vom Pferde und dankte Francesca für ihre Hilfe, blickte sie aber noch immer nicht an, sondern schaute nur auf die Lichtflamme hin. Dann betrat er ganz allein die Sakristei und suchte die Priester auf.
Francesca ging in die Kirche. Es war am Karfreitag der Osterwoche, und zum Zeichen der Trauer standen noch alle Kerzen unangezündet auf den Altären. Francesca fühlte, daß jede Flamme der Hoffnung, die in ihr gebrannt hatte, nun auch erloschen sei.
In der Kirche herrschte eine sehr feierliche Stimmung. Viele Priester standen vor den Altären. Im Chore saßen zahlreiche Domherren, an ihrer Spitze der Bischof.
Nach einer Weile merkte Francesco, daß eine gewisse Erregung unter den Priestern entstand. Fast alle, die nicht bei der Messe beteiligt waren, erhoben sich und schritten in die Sakristei. Schließlich folgte ihnen der Bischof.
Als die Messe zu Ende war, betrat einer der Priester den Chor und redete zur Gemeinde. Er berichtete, daß Raniero di Ranieri aus Jerusalem heiliges Feuer nach Florenz gebracht hätte. Er erzählte, was der Ritter unterwegs erduldet und gelitten hatte. Und er pries ihn über alle Maßen.
Staunend lauschte die ganze Gemeinde seinen Worten. Francesca hatte niemals eine so glückselige Stunde erlebt. »O Gott, dies ist mehr Glück, als ich zu ertragen vermag,« flüsterte sie mit einem Seufzer.
Der Priester sprach lange und begeistert. Zuletzt rief er mit mächtiger Stimme: »Nun könnte es Euch zwar als etwas Geringfügiges erscheinen, daß eine Lichtflamme hier nach Florenz gebracht worden ist. Aber ich sage Euch: Betet zu Gott, daß er Florenz viele Träger des ewigen Feuers schenken möge, dann wird unsere Stadt zu großer Macht gelangen und die gebenedeiteste unter allen Städten werden!«
Als der Priester seine Rede beendet hatte, wurden die Hauptportale