haben wir's auch so, wie es nun einmal ist.«
Sie rückte nicht von ihrem Platz weg, solange ihr Mann redete, aber ihr kleiner Kopf, der sich so leicht bewegte, wie wenn er auf einem Vogelhals säße, drehte sich eifrig nach der Seite, wo sie etwas Getreideland und ein paar Kartoffeläckerchen überschauen konnte. Ach, sie sahen zwischen den gewaltigen Felsenkuppen, die den eigentlichen Boden von der Grimö bildeten, nur wie kleine bewachsene runde Inseln aus!
Alle diese kleinen bebauten Strecken waren von ihrem Mann urbar gemacht, ja man konnte beinahe sagen, sie waren von ihm dahingeschafft worden. Unzählige Bootslasten von Erde und Dung hatte er auf die Insel herübergeschafft in der festen Überzeugung, daß sie ihm einmal die darauf verwendete Mühe und Arbeit reichlich lohnen würden.
»Wie unendlich viel Mühe hat er sich doch mit diesen Äckerlein gemacht!« dachte die Frau. »Und dann braucht es nichts weiter, als daß um Pfingsten ein richtiger Nordsturm herangebraust kommt, um alles, was gesäet und gesetzt ist, wieder zu vernichten. Ach nein, wenn man so wohnt wie wir hier, dann soll man sich seine Nahrung aus dem Meere holen, das ist doch ganz klar.«
Wieder drehte sie ihr bewegliches Köpfchen. Zwischen dem Wohnhaus und dem Seitenbau war ein leerer Raum, und da konnte sie über einen weiten glänzenden Wasserspiegel hinschauen.
»Ach ja, das Meer, das ist etwas!« seufzte sie. »Da kann einer hinausfahren und Handel treiben und Geld verdienen. Das weiß ich gewiß, wenn ich ein Mann wäre, ich wäre in allererster Linie zur See gegangen. Niemals hätte ich mich mit Ackerbau abgegeben. Wie wird es uns gehen, wenn wir alt sind und nicht mehr für uns selbst sorgen können? Keines von unsern Kindern will daheim bleiben und sich mit einer solchen mühseligen Arbeit befassen, und man kann es ja auch nicht von ihnen verlangen.«
Die letzten Worte mußte sie laut gesagt haben, denn der Mann, der ihr bisher immer weiter von allen den Gefahren und Schrecken berichtet hatte, die eine erst kürzlich heimgekehrte englische Nordpolexpedition ausgestanden hatte, unterbrach seine Rede mitten in einem Satz und bemerkte:
»Du hörst wohl gar nicht, was ich sage.« Aber es war wohl nicht das erstemal, daß er sich darein fand, so vor tauben Ohren zu predigen, denn er schien weder erstaunt noch ärgerlich.
»Gewiß hör' ich zu,« versicherte seine Frau. »Eben hab' ich gedacht, wie gut du doch redest, du könntest dich wirklich für einen Prediger ausgeben.«
»Ich weiß nicht recht, was ich über dieses Lob sagen soll,« erwiderte der Mann und lachte seiner Frau gutmütig zu. »Wenn ich den Zuhörer, den ich jetzt habe, nicht dazu bringen kann, ordentlich achtzugeben, dann wird es mir wohl auch bei einer ganzen Gemeinde nicht besser glücken.«
»Aber ich habe doch achtgegeben!« rief sie, die jetzt etwas hitzig wurde. »Ich weiß es ganz genau. Schon im ersten Winter haben sie ihr Schiff verloren, und so mußten sie sich ein Schneehaus bauen. In diesem mußten sie bis ins zweite Jahr hinein da droben bleiben, dann gingen ihnen auch die Lebensmittel aus, und schließlich lagen sie drinnen und kauten an Lederfetzen.«
Sie tat gekränkt, und ein kleiner Zug um den Mund, der zeigte, daß nicht mehr viel dazu gehörte, sie in schlechte Laune zu versetzen, trat immer deutlicher hervor.
»Du, Thala, ich möchte wohl wissen, wie es wäre, wenn man jemand von seinen eigenen Angehörigen unter denen hätte, die in den Schneehäusern dort droben so schrecklich Hunger leiden mußten,« warf der Mann ein.
Seine Frau warf ihm einen raschen Blick zu. Hatte Joel dies letzte nicht mit ganz besonderer Betonung gesagt? Aber der Mann saß ruhig da und sah gerade vor sich hin, und seine alten wäßrigen Augen waren vollkommen ausdruckslos.
»Ach, wenn man nur immerfort an die dächte, denen es schwer geht, dann hätte man nicht viele frohe Stunden im Leben!« erklärte sie. »Und denen da droben ist ja doch noch geholfen worden.«
»Jawohl,« gab der Mann zu. »Ein Schiff, das sie suchte, kam schließlich hin, und jetzt sind sie daheim in England.«
»Und jetzt gibt es für sie ihr ganzes Leben lang nichts als Ruhm und Ehre und Glück,« schloß die Frau.
Ihr kam es nicht so vor, als ob dies alles Grund zu Sorge und Traurigkeit sein sollte, aber ohne einen leichteren Ton anzuschlagen, fuhr der Mann unbeirrt fort:
»Heute nacht hat mir von unserm Sohn Sven geträumt. Er trat vor mein Bett und sagte, ich hätte mir ihm gegenüber eine große Schuld aufgeladen. Meine Träume pflegen sonst nicht gerade in Erfüllung zu gehen, und ich weiß auch nicht, ob dieser etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Aber merkwürdig ist es doch, daß ich gerade heute seinen Namen hier in der Zeitung lesen mußte.«
Dies wurde von dem Manne gesagt, als sei es ganz ohne Bedeutung, gerade wie etwas, das ihn nur allein anginge; aber von diesem Augenblick an brauchte er bei seiner Zuhörerin nicht mehr über Mangel an Aufmerksamkeit zu klagen. – Wo der Name gestanden habe? Was ihm denn eigentlich geträumt habe? Ob es möglich wäre, daß es sich um ihren Sven handelte? drängte seine Frau. Ihre Stimme wurde ganz schrill, ihre Nasenspitze rötete sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Sie wäre nicht in solche Aufregung geraten, wenn es sich um eines ihrer anderen Kinder gehandelt hätte, aber bei diesem Sven war es anders; diesen Sohn hatten Joel und sie in seinem neunten Lebensjahr einer englischen Familie abgetreten, die auf ihrer Jacht in den Schären herumgefahren war. Die Fremden hatten sich damals in den Jungen förmlich verliebt und fest versprochen, ihn, wenn sie ihn nur mitnehmen dürften, zu einem vornehmen Manne zu erziehen und ihn zu ihrem Erben einzusetzen.
Das waren große Aussichten, die sich damit für einen kleinen Jungen von der Grimö eröffneten. Die armen Eltern hatten gemeint, um seiner selbst willen müßten sie den Jungen ziehen lassen. Wenn er bei ihnen blieb, mußten sie auch für ihn sorgen. Und er war ein überaus begabter Junge gewesen. Sie hatten oft miteinander über ihn gesprochen und gemeint, es könnte etwas Besonderes aus ihm werden, wenn er nur die nötige Erziehung erhielte.
Jetzt waren siebzehn Jahre vergangen, seit sie ihn fortgelassen hatten, und während dieser ganzen Zeit hatten sie nichts von ihm gehört. Nichts! Kein Brief, kein Gruß! Die Eltern hätten nicht weniger von ihm wissen können, wenn er auf dem Meeresgrund gelegen hätte.
»Sieh hier!« sagte der Mann, indem er seiner Frau die Zeitung hinreichte. »Lies hier unter den Namen der Geretteten! Siehst du, da: Sven E. Springfield.«
»Jawohl, ich seh' es. Sven E. Springfield, ja, da steht's.«
»Das kann nichts anderes als Sven Elversson Springfield bedeuten,« nahm der Mann wieder das Wort. »Das ist sein Name, mein Name und der seines Pflegevaters. Es muß richtig sein.«
Die Frau drückte die Zeitung ans Herz. In diesem Augenblick war ihr, als sei dieser Sohn, den sie aus freiem Willen von sich gegeben hatte, ihr das liebste von allen ihren Kindern.
»Warum hast du nicht gleich gesagt, daß Sven dabei war?« warf sie ihrem Manne vor. »Ich habe ja nicht aufgepaßt. Jetzt mußt du alles noch einmal erzählen.«
Der Mann schien ein wenig verblüfft zu sein. Er hatte seiner Frau die ganze Geschichte erzählen wollen, ehe sie wissen sollte, daß es sich um den eigenen Sohn handelte. Dann wäre es leichter gegangen. Er hätte dann gesehen, welches Gesicht sie dazu machte, und sich danach richten können.
Immerhin erzählte er ihr alles, was sie wissen wollte. Er erklärte, was unter dem achtzigsten Grad verstanden war. Sie wurde ganz ehrgeizig für den Sohn und hätte gerne gewußt, ob er und seine Kameraden nicht doch noch weiter nördlich gekommen seien, als alle anderen Nordpolfahrer vor ihnen. Und von was sie wohl gelebt hätten, nachdem ihr Schiff mit allen Vorräten verloren gegangen war? Den Bericht, wie die Hilfsexpedition sie in diesem Sommer auf dem Strand der Insel Melville halbtot vor Hunger aufgefunden, wollte sie immer wieder hören.
»Daß er soviel Schweres hat durchmachen müssen!« rief sie. »Nein, man sollte seine Kinder nie von sich lassen!«
»Aber nun ist wohl auch sein Glück gemacht,« fuhr sie in leichterem Tone fort. »Nun bekommt er Orden und Medaillen in Hülle und Fülle.«
Gleich