Tisch – der nichts anderes war als eine auf lose Bücke gelegte Tür – daß dieser wackelte und die Kerze umfiel. Nun aber erwies sich, wieviel Raniero daran lag, das Licht brennend zu erhalten. Er überwand seinen Jähzorn und ließ sich ruhig Zeit, das Licht aufzurichten und die Flamme wieder zu entfachen. Aber als er damit fertig war, war der Narr längst aus dem Zelt geeilt, und Raniero sagte sich, daß es sich nicht der Mühe lohne, ihn im Dunkel der Nacht zu verfolgen. »Ich treffe ihn schon ein andermal,« murrte er und setzte sich nieder.
Die Tischgenossen hatten indessen ihr Gelächter eingestellt, aber einer von ihnen wandte sich an Raniero, um den Scherz fortzusetzen. »Eins steht aber fest, Raniero, diesmal wirst Du der Madonna in Florenz nicht Deine kostbarste Kriegsbeute senden können.«
Raniero fragte ihn, weshalb er wohl, nach seiner Meinung, gerade diesmal seinem alten Brauche nicht treu bleiben sollte. Und der Ritter antwortete:
»Aus dem einen Grunde, weil das kostbarste Gut, das Du diesmal errungen hast, jene Lichtflamme ist, die Du angesichts des ganzen Heeres in der heiligen Grabeskirche entzünden durftest. Und die wirst Du doch wohl nicht nach Florenz senden können.«
Und wieder lachten die anderen Ritter, aber Raniero war jetzt in einer solchen Gemütsverfassung, daß er die allerverwegenste Tat hätte vollbringen können, nur um ihrem Gelächter ein Ende zu machen. Kurz entschlossen rief er einen alten Waffenträger herbei und sagte zu ihm: »Rüste Dich zu einer langen Fahrt, Giovanni! Morgen sollst Du mit dieser heiligen Lichtflamme nach Florenz ziehen.«
Aber der Waffenträger setzte diesem Befehl ein festes Nein entgegen und sagte: »Das ist etwas, was ich nicht auf mich nehmen werde. Wie sollte es wohl möglich sein, mit einer Lichtflamme nach Florenz zu reiten? Sie würde erloschen sein, ehe ich noch dieses Lager verlassen hätte.«
Raniero fragte einen seiner Mannen nach dem anderen. Von allen wurde ihm die gleiche Antwort zuteil. Sie schienen seinen Befehl kaum für Ernst zu halten.
Die fremden Ritter, die Ranieros Gäste waren, lachten immer lauter und lustiger, als es sich erwies, daß keiner von seinen Mannen seinen Befehl ausführen wollte.
Raniero geriet in immer größere Erregung. Schließlich verlor er die Geduld und rief aus: »Diese Lichtflamme wird dennoch nach Florenz gebracht werden, und da kein anderer damit hinreiten will, werde ich es selber tun.«
»Bedenke Dich wohl, ehe Du solches gelobst!« rief ein Ritter. »Du verläßt ein Fürstentum.«
»Ich schwöre es Euch, daß ich diese Lichtflamme nach Florenz bringen werde!« rief Raniero. »Ich werde etwas vollbringen, was kein anderer auf sich nehmen wollte.«
Der alte Waffenträger verteidigte sich. »Herr, für Dich ist es ein ander Ding. Du kannst ein großes Gefolge mitnehmen, mich aber wolltest Du allein aussenden.«
Doch Raniero war wie außer sich und überlegte seine Worte nicht mehr. Er sprach: »Auch ich werde allein hinziehen.« Und damit hatte Raniero seinen Zweck erreicht. Alle im Zelt Anwesenden hörten auf zu lachen. Entsetzt saßen sie da und starrten ihn an.
»Warum lacht Ihr nun nicht mehr?« fragte Raniero. »Dieses Vorhaben ist doch nur ein Kinderspiel für einen tapferen Mann.«
3
In der Morgendämmerung des nächsten Tages stieg Raniero zu Pferde. Er war in voller Rüstung, hatte aber einen groben Pilgermantel um die Schultern geworfen, damit der Panzer nicht gar zu sehr von den Sonnenstrahlen durchglüht würde. Er war mit Schwert und Keule bewaffnet und ritt ein gutes Pferd. In der Hand hielt er eine brennende Kerze, und am Sattel hatte er ein mächtiges Bündel langer Wachskerzen befestigt, um die Flamme nicht aus Mangel an Nahrung hinsterben zu lassen.
Raniero ritt langsam durch die von Zelten dicht besetzte Lagergasse, und alles ging soweit gut. Es war so früh, daß die Nebel, die aus den tiefen Tälern rings um Jerusalem emporstiegen, sich noch nicht zerteilt hatten, und Raniero ritt wie durch eine mattweiße Nacht. Das ganze Lager schlief noch, und Raniero kam leicht an den Wachtposten vorüber. Niemand rief ihn an, denn der dichte Nebel machte ihn unsichtbar, und die fußhohe, dichte Staubschicht ließ nichts von den Hufschlägen des Pferdes vernehmen.
Raniero gelangte bald aus dem Bereich des Lagers und schlug den Weg nach Jaffa ein. Der Weg war hier besser, aber um der Lichtflamme willen ritt er beständig ganz langsam. In dem dichten Nebel brannte die Flamme mit einem rötlichen, zitternden Schein. Fortdauernd schwirrten große Insekten herbei, die sich mit zuckenden Flügelschlägen gerade ins Licht hineinstürzten. Raniero hatte viel Mühe, es zu schützen. Er war aber in bester Stimmung und fand noch immer, daß dieses ganze Unternehmen das reine Kinderspiel sei.
Indessen ermüdete das Pferd durch diesen verlangsamten Ritt und setzte sich in Trab. Sofort begann die Lichtflamme in dem stärkeren Luftzug heftig zu flackern. Es nützte nichts, daß Raniero sie mit Hand und Mantel zu decken suchte. Er merkte, daß sie ganz nahe daran war, zu erlöschen.
Doch hatte er gar keine Lust, die Sache so bald aufzugeben. Er hielt das Pferd an und überlegte eine ganze Weile, was wohl zu tun wäre. Schließlich schwang er sich aus dem Sattel und versuchte rücklings zu reiten, um mit seinem Leibe die Flamme vor Wind und Luftzug schützen zu können. Es gelang ihm auch so, sie brennend zu erhalten, doch überzeugte er sich, daß die Reise beschwerlicher sein würde, als er anfangs geglaubt hatte. Sobald er die Berge, die Jerusalem umgeben, hinter sich gelassen hatte, schwand der Nebel. Er ritt nun durch tiefste Einsamkeit dahin. Es gab dort weder Menschen noch Behausungen, weder grüne Bäume noch Pflanzen, man sah nur kahle Berghöhen.
Auf dem weiteren Wege wurde Raniero von Räubern angefallen. Es war lockeres Gesindel, das unbefugt dem Heere folgte und von Raub und Plünderung lebte. Sie hatten sich hinter einem Berghügel verborgen, und Raniero, der rücklings auf seinem Pferde saß, wurde ihrer erst gewahr, als sie ihn bereits umringt hatten und ihre Schwerter schwangen.
Es waren zwölf Männer. Sie sahen sehr verkommen aus und ritten jämmerliche Klepper. Raniero erkannte sogleich, daß es ihm keinerlei Schwierigkeiten bereiten würde, diese Schar zu durchbrechen und von dannen zu reiten. Aber er wußte auch, daß dies nur zu bewerkstelligen wäre, wenn er die Kerze von sich würfe. Und er fand doch, daß er nicht so leicht von seinem Vorhaben ablassen konnte, nachdem er in der vergangenen Nacht so stolze Worte gesprochen hatte.
Er sah also keinen anderen Ausweg, als mit den Räubern ein Uebereinkommen zu treffen. Er sagte ihnen, daß sie ihn wohl schwerlich überwältigen würden, falls er sich verteidige, denn er sei stark bewaffnet und reite ein gutes Pferd. Da er aber durch ein Gelübde gebunden sei, wolle er ihnen nicht Widerstand leisten, sondern sie kampflos nehmen lassen, wonach sie gelüstete, nur sollten sie geloben, seine Kerze nicht zu verlöschen. Die Räuber hatten einen harten Kampf erwartet. Sie waren mit Ranieros Vorschlag sehr zufrieden und begannen sofort, ihn auszuplündern. Sie nahmen ihm die Rüstung und das Roß, Waffen und Geld. Nur den groben Mantel und die beiden Kerzenbündel ließen sie ihm. Doch ihr Versprechen, die Lichtflamme nicht zu verlöschen, hatten sie ehrlich gehalten.
Einer von ihnen hatte sich auf Ranieros Pferd geschwungen. Als er merkte, welch ein prächtiges Tier es war, schien er ein wenig Mitleid für den Ritter zu empfinden und rief ihm zu: »Sieh, wir wollen nicht gar zu hart gegen einen Christen verfahren. Du sollst mein altes Pferd zum Weiterreiten bekommen.« Es war eine erbärmliche Kracke, die sich so starr und steif bewegte, als wäre sie aus Holz.
Als die Räuber endlich weggeritten waren und Raniero sich bereit machte, die elende Mähre zu besteigen, sagte er sich: »Diese Lichtflamme muß mich wirklich behext haben. Nur um ihretwillen reite ich jetzt wie ein verrückter Bettler meines Wegs.«
Er fand selber, daß er am klügsten daran täte, umzukehren, weil sein Vorhaben ja doch unausführbar sein würde. Aber ein so sehnsüchtiges Verlangen überkam ihn, es dennoch zu vollbringen, daß er der Lust, es weiter zu versuchen, nicht widerstehen konnte.
Er ritt also seines Weges dahin. Noch immer sah er ringsumher dieselben kahlen, hellgelben Höhen.
Nach einer Weile kam er an einem jungen Hirten vorüber, der vier Ziegen hütete. Als Raniero die Tiere auf dem kahlen Felde weiden sah, fragte