Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


Скачать книгу

hochgetürmten Eismassen erreicht, die kreuz und quer standen, wo kaum ein Steinblock vorwärts zu kommen vermag.

      Dort oben hatte unser Heiland einen kleinen Vogel mit rotem Brustgefieder, der totgefroren auf dem Eise lag, aufgehoben und den kleinen Dompfaff eingesteckt. Und Sankt Peter erinnerte sich, daß er überlegt hatte, ob dieser Vogel wohl ihr Mittagessen sein würde.

      Sie waren lange Zeit über die glatten Eisstücke gewandert, und Sankt Peter vermeinte, dem Lande des Todes noch niemals näher gewesen zu sein, denn es wehte ein todkalter Wind, und ein toddunkler Nebel umhüllte sie, auch gab es im weiten Umkreis nichts Lebendiges. Und dennoch hatten sie erst die Mitte des Berges erklommen.

      Da hatte er unseren Heiland gebeten, umkehren zu dürfen.

      »Noch nicht,« sprach unser Heiland, »denn ich werde Dir etwas zeigen, das Dir Mut verleihen wird, alles Leid zu ertragen.«

      Darauf waren sie durch Nebel und Kälte weiter gewandert, bis sie eine unendlich hohe Mauer erreicht hatten, die ihren Weg hemmte.

      »Diese Mauer zieht sich um den ganzen Berg,« sprach unser Heiland, »und Du kannst sie nirgends übersteigen. Kein Lebender kann das geringste von dem erblicken, was sich jenseits dieser Mauer befindet, denn hier beginnt das Paradies, und hier am ganzen oberen Bergesabhang wohnen die seligen Toten.«

      Aber Sankt Peter hatte es nicht lassen können, mißtrauisch auszusehen. »Da drinnen herrscht nicht Finsternis und Kälte wie hier,« sprach unser Heiland, »sondern dort grünt der Sommer, und Sonnen und Sterne strahlen hell und klar.«

      Aber Sankt Peter mochte es ihm nicht glauben.

      Da nahm unser Heiland den kleinen Vogel, den er just zuvor auf dem Eisfelde gefunden hatte, beugte sich zurück und schleuderte ihn über die Mauer, so daß er im Paradiese niederfiel.

      Und alsogleich hörte Sankt Peter ein jubelndes, lustiges Gezwitscher, erkannte eines Dompfaffen Gesang und war höchlichst erstaunt.

      Er wandte sich zu unserem Heiland um und sagte: »Laß uns wieder zur Erde hinabsteigen und alles erdulden, was erduldet werden muß, denn nun erkenne ich, daß Du wahr gesprochen hast, und daß es einen Ort gibt, wo das Leben den Tod überwindet.«

      Und sie waren vom Berge hinabgestiegen und hatten ihre Wanderung von neuem begonnen.

      Dann hatte Sankt Peter lange Jahre nichts weiteres vom Paradiese erfahren, sondern sich nur nach dem Lande hinter jener Mauer gesehnt. Und nun war er endlich dort und brauchte sich nicht mehr danach zu sehnen. Nun konnte er den ganzen Tag aus nie versiegenden Quellen die Freuden mit vollen Händen schöpfen.

      Aber Sankt Peter war kaum vierzehn Tage im Paradiese, da geschah es, daß ein Engel zu unserm Heiland trat, der auf seinem Thron saß. Der Engel neigte sich siebenmal vor ihm und berichtete, daß ein schweres Unglück auf Sankt Peter zu lasten scheine. Er verschmähe Essen und Trinken und seine Augen seien so rotgerändert, als habe er nächtelang nicht mehr geschlafen. Sobald unser Heiland dies vernommen hatte, erhob er sich, um Sankt Peter aufzusuchen.

      Er fand ihn in einem weit entlegenen Winkel des Paradieses. Dort lag er auf der Erde hingestreckt, als wäre er zu ermattet, um aufzustehn, er hatte seine Kleider zerrissen und sein Haupt mit Asche bestreut.

      Als unser Heiland ihn so tiefbetrübt sah, setzte er sich neben ihn auf die Erde und redete geradeso zu ihm, wie er getan hätte, wenn sie noch unten auf jener Welt in Trübsal umhergewandert wären.

      »Was macht Dich denn gar so traurig, Sankt Peter?« fragte unser Heiland.

      Aber Sankt Peters Betrübnis war so übermächtig, daß er gar nicht zu antworten vermochte.

      Und abermals fragte unser Heiland: »Was macht Dich denn gar so traurig, Sankt Peter?«

      Bei der Wiederholung dieser Frage nahm Sankt Peter sich seine goldene Krone vom Haupte und warf sie unserem Heiland vor die Füße, als wollte er damit sagen, er wünsche von nun an nicht mehr an seiner Ehre und Herrlichkeit teilzuhaben.

      Unser Heiland erkannte jedoch sogleich, daß Sankt Peter zu verzweifelt war, um zu wissen, was er tat. Und deshalb wurde er auch gar nicht zornig über sein Gebaren.

      »Du mußt mir doch endlich sagen, was Dich so quält,« sprach er voll Sanftmut wie zuvor und mit noch zärtlicherer Stimme.

      Doch nun sprang Sankt Peter auf, und da merkte unser Heiland, daß er nicht nur traurig, sondern auch ergrimmt war. Mit geballten Fäusten und funkelnden Augen trat er auf unseren Heiland zu.

      »Ich will sofort meine Entlassung haben,« sprach Sankt Peter. »Nicht einen Tag länger kann ich Dir meine Dienste im Paradiese weihen.«

      Unser Heiland suchte ihn zu beruhigen, wozu er früher oft genötigt war, wenn Sankt Peter aufbrauste.

      »Du sollst diese Erlaubnis erhalten, aber ehe Du gehst, mußt Du mir sagen, was Dir hier mißfällt.«

      »Ich kann Dir nur sagen, daß ich auf besseren Lohn rechnete, als wir beide dort unten auf jener Welt Jammer und Elend zu tragen hatten.«

      Unser Heiland ward inne, daß Sankt Peters Seele von Bitterkeit erfüllt war, und er hegte keinerlei Groll gegen ihn, sondern sprach:

      »Ich sage Dir, daß Du die Freiheit hast, nach Belieben von dannen zu gehen, nur mußt Du mir mitteilen, was Dich betrübt.«

      Da erzählte Sankt Peter endlich, weshalb er so unglücklich sei. »Ich hatte eine alte, greise Mutter, die vor wenigen Tagen gestorben ist,« sagte er.

      »Nun weiß ich, was Dich quält,« entgegnete unser Heiland. »Du leidest, weil Deine Mutter nicht hierher ins Paradies gekommen ist.«

      »So ist es,« antwortete Sankt Peter, und sein Seelenleid war so übermächtig, daß er zu schluchzen und zu wehklagen begann. »Ich glaubte allerdings, daß ich es wohl verdient hätte, sie herzubekommen,« sagte er.

      Als unser Heiland aber den Grund von Sankt Peters Trauer erfahren hatte, wurde er seinerseits traurig. Denn Sankt Peters Mutter war nicht so gewesen, daß sie ins Himmelreich hätte kommen können. Sie hatte immer nur daran gedacht, Geld zusammen zu scharren, und den Armen, die vor ihrer Tür gestanden hatten, gab sie niemals soviel wie einen Heller oder auch nur einen Bissen Brot. Dennoch begriff unser Heiland sehr wohl, daß Sankt Peter es nicht zu fassen vermochte, wie groß der Geiz seiner Mutter gewesen war, und daß sie dadurch die ewige Seligkeit nicht erlangen konnte.

      »Sankt Peter, wie kannst Du es sicher wissen, daß es Deiner Mutter bei uns gefallen würde?« fragte er.

      »Sieh, so redest Du nur, um meine Bitte nicht erhören zu müssen,« erwiderte Sankt Peter. »Wem sollte es im Paradiese nicht gefallen?«

      »Wer nicht Freude über die Freude anderer empfindet, der kann sich hier nicht wohl fühlen,« antwortete unser Heiland.

      »Dann sind noch andere als meine Mutter hier, die nicht hineinpassen,« sagte Sankt Peter, und unser Heiland verstand, daß er ihn damit meinte.

      Da war er tief bekümmert, denn er erkannte, daß Sankt Peter in seinem tiefen Kummer gar nicht mehr wußte, was er sagte. Er wartete noch eine Zeitlang, weil er hoffte, daß Sankt Peter seine Worte bereuen und einsehen würde, daß seine Mutter nicht ins Paradies hineingehöre, aber Sankt Peter wollte nicht in sich gehen.

      Da rief unser Heiland einen Engel herbei und gebot ihm zur Hölle hinunterzufahren, um Sankt Peters Mutter zum Paradiese herauszubringen.

      »Laß mich dann auch zusehen, wie er sie heraufholt,« bat Sankt Peter.

      Und unser Heiland faßte ihn bei der Hand und führte ihn hinaus auf einen Felsen, der auf einer Seite ganz steil und abschüssig war. Und er zeigte ihm, daß er sich nur ein wenig über den Rand zu beugen brauchte, um gerade in die Hölle hinunter blicken zu können. Anfangs vermochte Sankt Peter nicht mehr zu unterscheiden, als wenn er in einen Brunnen hinabgeschaut hätte. Es war, als hätte sich unter ihm eine unendliche Schlucht aufgetan.

      Das erste, was er mit Mühe erkannte, war der Engel, der sich schon auf dem Wege nach dem Abgrund befand.