Frau erwachte, war es schon heller, lichter Tag, und ihre Sklavinnen standen wartend bereit, um ihr beim Ankleiden dienstbar zu sein.
Sie war sehr still und nachdenklich, während man sie ankleidete, fragte jedoch schließlich die Sklavin, die ihr das Haar ordnete, ob ihr Gatte schon aufgestanden sei.
Und sie erfuhr, daß er abberufen worden sei, um über einen Verbrecher Gericht zu halten.
»Ich hätte ihn sehr gern gesprochen,« sagte die junge Frau.
»Herrin, das wird jetzt während des Verhörs schwerlich angehen. Wir werden es Dich wissen lassen, sobald es beendet ist,« entgegnete die Sklavin.
Sie schwieg nun, bis sie mit dem Ankleiden fertig war. Dann fragte sie: »Hat jemand unter Euch von dem Propheten aus Nazareth gehört?«
»Der Prophet von Nazareth ist ein jüdischer Wundermann,« antwortete rasch eine der Sklavinnen.
»Seltsam, Herrin, daß Du gerade heute nach ihm fragst,« sagte eine andere Sklavin. »Denn gerade der ist es, den die Juden zum Palast hergeführt haben, um ihn vom Landpfleger verhören zu lassen.«
Alsogleich gebot sie, daß jemand hinausgehe und nachfrage, welcher Schuld er angeklagt sei, und eine der Sklavinnen entfernte sich. Als sie zurückkehrte, berichtete sie: »Sie klagen ihn an, daß er sich zum König über dieses Land erheben wolle, und sie fordern von dem Landpfleger, daß er den Kreuzestod über ihn verhängen möge.«
Als die Gattin des Landpflegers diese Worte vernahm, entsetzte sie sich und sprach: »Ich muß mit meinem Gatten reden, sonst wird am heutigen Tage hier ein schreckliches Unglück geschehen.«
Als nun die Sklavinnen abermals versicherten, daß es unmöglich sei, erbebte sie und begann zu weinen. Und eine ihrer Dienerinnen wurde von Mitleid ergriffen und sprach: »Wenn Du eine schriftliche Botschaft an den Landpfleger senden willst, so werde ich versuchen, sie ihm zu übermitteln.«
Und alsogleich nahm sie einen Stift und schrieb einige Worte auf eine kleine Wachstafel, die man Pilatus überbrachte.
Doch ihn selber traf sie den ganzen Tag nicht allein an, denn als er die Juden abgefertigt und man den Verurteilten zum Richtplatz geführt hatte, war die Essensstunde gekommen, und Pilatus hatte zu dieser Mahlzeit einige Römer eingeladen, die in Jerusalem weilten. Der Anführer der Truppen, ein junger Meister der Beredsamkeit und noch etliche Gäste sonst waren erschienen.
Es war jedoch kein sehr frohes Mahl, denn die junge Gattin des Landpflegers saß während der ganzen Zeit stumm und betrübt dabei, ohne sich an der Unterhaltung zu beteiligen.
Als die Tischgäste fragten, ob sie krank sei oder Kummer habe, erzählte der Landpfleger lachend von der Botschaft, die sie ihm frühmorgens übersandt hatte. Und er trieb seinen Scherz mit ihr, daß sie glauben konnte, ein römischer Landpfleger werde sich in seinem Urteilsspruch durch die Träume eines Weibes beeinflussen lassen.
Sie antwortete leise und tieftraurig: »Dies ist wahrlich kein Traum gewesen, sondern eine Mahnung, die uns von den Göttern gesandt war. Du hättest jenen Mann zum mindesten noch diesen einen Tag leben lassen sollen.«
Alle sahen, daß sie ernstlich bekümmert war. Und sie schien auch keinem Trost zugänglich zu sein, wie sehr sich die Tischgäste auch mühten, sie durch fesselnde Gespräche ihre nichtigen Träume vergessen zu machen.
Aber nach einer Weile hob jemand den Kopf und fragte: »Was ist das? Haben wir so lange bei Tisch gesessen, daß der Tag sich schon seinem Ende zuneigt?«
Nun blickten alle auf und bemerkten, daß sich eine schwache Dämmerung herabsenkte. Ganz besonders merkwürdig war es zu beobachten, wie das bunte Farbenspiel, das auf allen Dingen und Wesen der Natur ruht, langsam erlosch, so daß alles einfarbig grau erschien.
Und gleich allem anderen verloren auch ihre eigenen Gesichter die Farbe. »Wir gleichen wirklich den Toten,« sprach der junge Meister der Beredsamkeit erschauernd. »Unsere Wangen sind ja grau und unsere Lippen schwarz.«
Als die Dunkelheit immer tiefer wurde, wuchs auch das Entsetzen der jungen Frau. »Ach, Freund,« rief sie schließlich, »glaubst Du noch immer nicht, daß die Unsterblichen Dich warnen wollen? Sie zürnen, daß Du einen heiligen und schuldlosen Mann zum Tode verurteilt hast. Ich meine nun, daß er, wiewohl jetzt schon ans Kreuz geschlagen, doch ganz sicherlich noch nicht tot sein kann. Laß ihn vom Kreuze abnehmen! Mit meinen eigenen Händen will ich seine Wunden heilen. Gewähre Du es nur, daß man ihn ins Leben zurückrufe!«
Pilatus aber erwiderte lachend: »Ganz sicherlich hast Du recht, dies als ein Zeichen der Götter anzusehen. Doch keinesfalls lassen sie die Sonne ihren Schein verlieren, weil ein jüdischer Irrlehrer zum Kreuzestode verurteilt worden ist. Dagegen können wir wohl erwarten, daß bedeutsame Ereignisse eintreten werden, die das ganze Reich angehen. Wer kann es wissen, wie lange der alte Tiberius – – –«
Er sprach nicht weiter, denn die Finsternis war so tief geworden, daß er nicht einmal den vor ihm stehenden Weinpokal sehen konnte. Er unterbrach also seinen Satz und befahl den Sklaven, schleunigst einige Lampen herbeizuschaffen.
Als es so hell geworden war, daß er die Gesichter seiner Gäste zu erkennen vermochte, mußte er die Verstimmung bemerken, die auf allen lastete.
»Sieh nur,« sprach er ein wenig ärgerlich zu seiner Gattin. »Es scheint mir wirklich, daß es Dir geglückt ist, mit Deinen Träumen die frohe Stimmung unseres Kreises zu zerstören. Aber wenn es schließlich so sein muß, daß Du heute an nichts anderes zu denken vermagst, dann laß uns lieber hören, was Du geträumt hast. Erzähle uns alles, dann werden wir versuchen, die Deutung zu finden.«
Hierzu war die junge Frau sofort bereit. Und während sie Traum nach Traum erzählte, wurden die Gäste immer ernster und ernster. Sie hörten auf, ihre Becher zu leeren, und ihre Stirnen zogen sich in tiefe Falten. Der einzige, der fortfuhr zu lachen und alles für Täuschung der Sinne hielt, war der Landpfleger selber.
Als die Erzählung beendet war, sprach der junge Rhetor: »Dies ist wahrlich doch mehr als ein Traum, denn heute sah ich zwar nicht den Kaiser, jedoch seine alte Freundin Faustina in Jerusalem einziehen. Ich wundere mich nur, daß sie noch nicht im Palast des Landpflegers erschienen ist.«
»Es geht ja wirklich ein Gerücht um, daß der Kaiser an einer furchtbaren Krankheit leide,« erzählte der Anführer der Truppen. »Auch mir erscheint es glaublich, daß der Traum Deiner Gattin eine von den Göttern gesandte Warnung sein könnte.«
»Es wäre nicht unmöglich, daß Tiberius Boten hergesandt hätte, um den Propheten an sein Krankenlager zu berufen,« stimmte der junge Rhetor bei.
Der Anführer der Truppen wandte sich mit tiefem Ernst an Pilatus: »Falls der Kaiser wirklich auf den Einfall gekommen ist, diesen Wundertäter zu sich rufen zu lassen, so wäre es besser für Dich und für uns alle, daß er ihn lebend vorfände.«
Pilatus entgegnete halb zornig: »Ist es diese Finsternis, die Euch zu Kindern gemacht hat? Man könnte wirklich glauben, daß Ihr alle seiet in Traumdeuter und Propheten verwandelt worden.«
Jedoch der Hauptmann wurde immer dringender und sprach: »Vielleicht ließe sich noch jetzt das Leben dieses Mannes retten, wenn Du eiligst einen Boten ausschickst.«
»Ihr wollt mich also zu einem Narren machen,« antwortete der Landpfleger. »Sagt selber, wohin würde es in diesem Lande mit Recht und Ordnung kommen, wenn man in Erfahrung brächte, daß der Landpfleger einen Verbrecher begnadigte, weil seine Frau einen bösen Traum hatte?«
»Es ist aber doch Wahrheit und kein Traum, daß ich Faustina in Jerusalem gesehen habe,« warf der junge Rhetor ein.
»Ich übernehme es, mein Vorgehen in dieser Sache dem Kaiser gegenüber zu vertreten,« sprach Pilatus. »Er wird einsehen, daß dieser Schwärmer, der sich ohne jede Gegenwehr von meinen Knechten mißhandeln ließ, nicht die Macht besessen hätte, ihm zu helfen.«
Sobald diese Worte gefallen waren, erdröhnte das ganze Haus wie von einem heftig grollenden Donnerschlage, und ein Erdbeben machte den Boden erzittern. Der Palast des Landpflegers