und sich Wohnstätten in Gräbern und Felsenhöhlen zu suchen. Sage Faustina, daß mein Weib in solch einer Felsenhöhle von kranken Eltern geboren wurde! Und in ihrer Kindheit war sie gesund, als sie aber zur Jungfrau erblüht war, wurde sie von der Krankheit befallen.«
Als der Winzer dies gesagt hatte, neigte der Sklave freundlich lächelnd sein Haupt und sprach zu ihm: »Wie sollte Faustina dies glauben? Sie hat ja Dein Weib in seiner Gesundheit und Schönheit gesehen? Und sie weiß ja, daß es kein Heilmittel gegen die Krankheit gibt.«
Der Mann jedoch entgegnete: »Es wäre für sie das beste, wenn sie mir glauben wollte. Aber ich bin auch nicht ohne Zeugen. So mag sie Kundschafter nach Nazareth in Galiläa senden. Dort wird jedermann meine Aussage bestätigen.«
»Ist Dein Weib vielleicht durch die Wundertätigkeit irgend eines Gottes geheilt worden?« fragte der Sklave.
»Ja,« erwiderte der Arbeiter. »Es ist so gewesen, wie Du sagst. Eines Tages drang ein Gerücht bis zu den Kranken, die in der Wildnis hausten:
›Sehet, in der Stadt Nazareth, in Galiläa, ist ein großer Prophet erstanden. Er ist voll der Kraft von Gottes Geist, und er vermag Eure Krankheit zu heilen, wenn er nur mit seiner Hand Eure Stirn berührt.‹ Aber die Kranken, die in ihrem Elend dalagen, wollten nicht glauben, daß dieses Gerücht Wahrheit sei, und sie sprachen: ›Uns vermag niemand zu heilen. Seit den Tagen der großen Propheten hat niemand einen einzigen von uns aus seinem Unglück erretten können.‹
Aber es war eine unter ihnen, die da glaubte, und diese eine war eine junge Magd. Sie verließ die anderen, um sich einen Weg nach der Stadt Nazareth zu suchen, wo der Prophet seine Wohnstatt hatte. Und eines Tages, als sie über weite Ebenen wanderte, begegnete sie einem hochgewachsenen Manne mit bleichem Antlitz, dessen Haar in gleichmäßigen, schwarzen Locken herabhing. Seine dunklen Augen leuchteten wie Sterne und zogen sie zu ihm hin. Aber noch ehe sie sich trafen, rief sie ihm zu: ›Komm mir nicht nahe, denn ich bin eine Unreine! Doch sage mir, wo ich den Propheten aus Nazareth finden kann.‹ – Doch der Mann näherte sich ihr immer mehr, bis er dicht vor ihr stand, dann fragte er: ›Warum suchst Du den Propheten aus Nazareth?‹ – ›Ich suche ihn, auf daß er seine Hand an meine Stirn lege, um mich von meiner Krankheit zu heilen.‹ – Da trat der Mann auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Stirn. – Sie aber sprach zu ihm: ›Was hilft es mir, daß Du Deine Hand auf meine Stirn legst? Du bist doch kein Prophet?‹ – Da lächelte er ihr zu und sprach: ›Gehe nun zur Stadt, die dort auf dem Bergesabhang liegt, und zeige Dich den Priestern!‹
Die Kranke dachte bei sich selbst: Er spottet meiner, weil ich glaube, daß ich geheilt werden kann. Durch ihn werde ich nicht erfahren, was ich wissen möchte. Und sie ging weiter. Gleich darauf sah sie einen Mann, der zur Jagd auszog, über die weite Ebene reiten. Als er so nahe war, daß er sie hören konnte, rief sie ihm zu: ›Nähere Dich mir nicht, ich bin eine Unreine! Doch sage mir, wo ich den Propheten aus Nazareth finden kann!‹ – ›Was begehrst Du von dem Propheten?‹ fragte der Mann und ritt langsam auf sie zu. – ›Ich möchte nur, daß er seine Hand auf meine Stirn lege, damit ich von meiner Krankheit genese.‹ Aber der Mann ritt noch näher heran und fragte: ›Von welcher Krankheit wünschest Du geheilt zu werden? Du bedarfst doch keines Arztes.‹ – ›Erkennst Du denn nicht, daß ich eine Unreine bin?‹ sagte sie. ›Ich bin von kranken Eltern in einer Felsenhöhle geboren worden.‹ Doch der Mann ritt immer näher heran, denn sie war schön und rosig wie eine frisch erblühte Blume. – ›Du bist die schönste Jungfrau im Lande Judäa,‹ rief er aus. – ›Spotte nicht auch Du meiner,‹ entgegnete sie. ›Ich weiß, daß mein Angesicht zerfressen ist und meine Stimme wie das Geheul wilder Tiere.‹ Er aber blickte ihr tief in die Augen und sprach: ›Deine Stimme erklingt so hold wie das Murmeln des Frühlingsbaches, das über Kieselgestein rieselt, und Dein Antlitz ist zart wie ein weißes Seidentüchlein.‹
Gleichzeitig ritt er so nahe heran, daß sie ihr Gesicht in den blanken Beschlägen, die seinen Sattel schmückten, erkennen konnte. ›Hier kannst Du Dich spiegeln,‹ sagte er. Sie tat also und sah ein Antlitz, das zart und weich war, wie frisch entfaltete Schmetterlingsflügel. – ›Was spiegelt sich dort ab? Das ist nicht mein Gesicht.‹ – ›Ja, doch, es ist Dein Antlitz,‹ antwortete der Reiter. – ›Aber klingt meine Stimme nicht wie Röcheln? Klingt sie nicht wie das Wagenrasseln auf steinigem Wege?‹ – ›Nein, sie erklingt wie das lieblichste Lied eines Zitherspielers,‹ antwortete der Reiter.
Sie wandte sich um und wies auf den Weg hinaus. – ›Weißt Du, wer jener Mann ist, der dort eben hinter den zwei Eichen verschwindet?‹ fragte sie den Reiter. – ›Das ist ja der, nach dem Du eben fragtest, der Prophet aus Nazareth,‹ antwortete der Mann.
Da schlug sie in höchster Verwunderung die Hände zusammen, und Tränen traten in ihre Augen. – ›O, Du Heiliger! O, Du Träger von Gottes Macht!‹ rief sie aus. ›Du hast mich geheilt!‹
Und der Reiter hob sie in den Sattel und brachte sie zur Stadt auf dem Bergesabhang, ging mit ihr zu den Aeltesten und den Priestern und erzählte, wie er sie gefunden hatte. Sie alle befragten ihn ganz genau, als sie aber vernahmen, daß die Jungfrau in der Wildnis von kranken Eltern geboren sei, wollten sie nicht an ihre Heilung glauben und sprachen: ›Gehe dorthin zurück, von wannen Du gekommen bist! Wenn Du krank warst, so mußt Du Dein Leben lang diese Krankheit tragen. Du darfst nicht in diese Stadt kommen, weil Du uns mit Deiner Krankheit anstecken würdest.‹
Sie aber entgegnete ihnen: ›Ich weiß, daß ich genesen bin, denn der Prophet aus Nazareth hat seine Hand auf meine Stirn gelegt.‹
Als sie diese Worte vernahmen, riefen sie: ›Wer ist er, daß er die Unreinen zu Reinen machen könnte? Es ist alles nur ein Blendwerk der bösen Geister. Kehre zu den Deinen zurück, auf daß Du nicht uns alle ins Verderben bringst!‹
Sie wollten die Magd nicht für geheilt erklären und verboten ihr, in der Stadt zu bleiben. Und sie verkündeten, daß jeder, der ihr Schutz und Obdach gewähren würde, auch als unrein gelten solle.
Als die Priester dieses Urteil gesprochen hatten, sagte die Jungfrau zu dem Manne, der sie draußen auf dem Felde gefunden hatte: ›Wohin soll ich nun gehen? Muß ich wieder in die Wildnis hinaus zu den Kranken wandern?‹
Doch der Mann hob sie wiederum auf sein Pferd und sprach zu ihr: ›Nein, Du sollst mitnichten zu den Kranken in ihre Felsenhöhlen gehn, sondern wir beide werden mitsammen über das Meer ziehen, in ein anderes Land, das keine Gesetze für Reine und Unreine kennt. Und sie – –«
Als aber der Winzer bis hierher gekommen war, erhob sich der Sklave und unterbrach ihn. »Du, brauchst mir nichts mehr zu erzählen. Stehe lieber auf und geleite mich des Weges, denn Du kennst das Gebirge, damit ich noch in dieser Nacht den Heimweg antreten kann und nicht bis morgen warten brauche! Der Kaiser und Faustina können Deine Botschaft keinen Augenblick zu früh erfahren.«
Als der Winzer den Sklaven durch die Berge geleitet hatte und wieder seine Hütte betrat, fand er sein Weib noch wach.
»Ich kann nicht schlafen,« sagte sie. »Ich denke daran, daß die beiden sich begegnen werden. Jener, der alle Menschen liebt, und dieser, der sie alle haßt. Es ist, als müßte diese Begegnung den Lauf der Welt in andere Bahnen lenken.«
6
Die alte Faustina war in dem fernen Palästina, auf dem Wege nach Jerusalem. Sie hatte nicht gewollt, daß einem anderen als ihr der Auftrag anvertraut werde, den Propheten zu suchen und ihn zum Kaiser zu geleiten. Sie hatte sich dabei sicherlich gedacht: »Das, was wir von diesem fremden Manne wünschen, ist etwas, was wir ihm weder mit Gewalt noch durch Geschenke entlocken können. Doch vielleicht erfüllt er unsere Bitte, wenn ihm jemand zu Füßen sinkt und ihm die Not des Kaisers schildert. Wer aber könnte die rechte Fürbitte für Tiberius tun, wenn nicht diejenige, die durch sein Unglück ebenso bitter leidet wie er selbst?«
Die Hoffnung, Tiberius zu erretten, hatte Faustina verjüngt. Ohne Beschwerden hatte sie die lange Seefahrt nach Jaffa überstanden, und nach Jerusalem reiste sie nicht in der Sänfte, sondern zu Pferde. Sie schien die mühsame Reise ebenso gut zu ertragen wie die edlen Römer, die Kriegsknechte und die Sklaven, die ihr