Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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      Der Fremdling blickte ernst und schwermütig die junge Frau an. »Du denkst nicht daran, daß des Kaisers Gebaren furchtbarer werden wird als je zuvor. Nun gibt es niemanden, der ihn beruhigen könnte, wenn Mißtrauen und Menschenverachtung sich seiner bemächtigen. Stelle Dir vor,« fuhr er fort und bohrte seine finsteren Blicke tief in die des jungen Weibes, »in der ganzen Welt gibt es nunmehr keinen, den er nicht haßte, keinen, den er nicht verachtete, keinen einzigen.«

      Bei diesen Worten der bittersten Verzweiflung machte die Greisin eine hastige Bewegung und wandte sich ihm zu, aber das junge Weib blickte ihm fest in die Augen und erwiderte: »Tiberius weiß, daß Faustina wiederkehrt, wann auch immer er es wünscht. Doch zuvor muß sie wissen, daß ihre alten Augen nicht mehr Laster und Schändlichkeit an seinem Hofe schauen müssen.«

      Alle hatten sich bei diesen Worten erhoben, doch der Winzer und sein Weib stellten sich vor die Greisin, als wollten sie sie schützen.

      Der Fremdling sprach kein Wort mehr, betrachtete jedoch die Greisin mit fragenden Blicken. Ist dies auch Dein letztes Wort? schien er sagen zu wollen. Die Lippen der Greisin zitterten und vermochten kein Wort hervorzubringen.

      »Wenn der Kaiser seine alte Dienerin geliebt hat, so mag er ihr auch Ruhe für die letzten Lebenstage gönnen,« sprach das junge Weib.

      Der Fremdling zögerte noch, aber plötzlich erhellte sich sein finsteres Gesicht. »Meine Freunde,« sprach er, »was man auch von Tiberius sagen mag, so gibt es doch eines, was er besser gelernt hat als andere, und das ist – der Verzicht. Ich habe Euch nur noch eines zu sagen: Wenn die alte Frau, von der wir sprachen, diese Hütte aufsuchen sollte, so nehmt sie gut auf. Des Kaisers Gunst ist jedem gewiß, der ihr beisteht.«

      Er hüllte sich in seinen Mantel und entfernte sich auf demselben Wege, auf dem er gekommen war.

      Von nun an sprachen der Winzer und sein Weib niemals mehr mit der alten Frau über den Kaiser. Doch wunderten sie sich, daß sie in ihrem hohen Alter noch die Kraft besessen hatte, all dem Reichtum und der Macht zu entsagen, an die sie solange gewöhnt war. Oft fragten sie sich: »Ob sie nicht doch bald zu Tiberius zurückkehren möchte? Sie liebt ihn gewiß noch immer. Sie hat ihn doch nur in der Hoffnung verlassen, ihn dadurch zur Besinnung zu bringen und seinem sündhaften Leben und Treiben zu entfremden.

      »Ein so alter Mann wie der Kaiser wird niemals ein neues Leben beginnen,« sagte der Arbeiter. »Wie willst Du ihn von seiner großen Menschenverachtung heilen? Wer könnte vor ihn hintreten und ihn Menschenliebe lehren? Ehe dies geschehen ist, kann er von seinem Mißtrauen und seiner Grausamkeit nicht befreit werden.«

      »Du weißt, daß es einen gibt, der dies in Wahrheit vermöchte,« sprach sein Weib. »Ich denke oft daran, wie wohl eine Begegnung der beiden ablaufen würde. Aber Gottes Wege sind nicht unsere Wege.«

      Die Greisin schien ihr früheres Leben durchaus nicht zu entbehren. Nach einiger Zeit gebar die junge Frau ein Kind, und da die Alte dies nun warten und hüten mußte, schien sie so zufrieden, daß man glauben konnte, sie habe alle ihre Sorgen vergessen.

      Jedes halbe Jahr einmal pflegte sie sich in ihren langen, grauen Mantel zu hüllen und nach Rom hinab zu wandern. Aber dort suchte sie keinen Menschen auf, sondern ging geradeswegs nach dem Forum. Dort blieb sie vor einem kleinen Tempel stehen, der auf einer Seite des prächtig geschmückten Marktplatzes sich erhob. Dieser Tempel bestand eigentlich nur aus einem ungewöhnlich großen Altar, der auf einem marmorgepflasterten Hof unter freiem Himmel errichtet war. Auf der Höhe des Altars thronte Fortuna, die Glücksgöttin, und an seinem Fuße stand eine Statue des Tiberius. Rund um den Hof zogen sich Gebäude für die Priester, Schuppen für Brennholz und Ställe für die Opfertiere.

      Die Wanderung der alten Faustina erstreckte sich niemals weiter als bis zu diesem Tempel, wohin alle jene pilgerten, die für Tiberius Glück erflehen wollten. Wenn sie hineinblickend gesehen hatte, daß die Göttin und die Kaiserstatue mit Blumen bekränzt waren, daß das Opferfeuer flammte, daß Scharen ehrfürchtiger Beter vor dem Altar versammelt waren, und wenn sie hörte, daß die leisen Hymnen der Priester ringsumher erklangen, dann kehrte sie um und wanderte wieder nach den Bergen hinauf.

      Dadurch erfuhr sie, ohne irgendeinen Menschen fragen zu müssen, daß Tiberius noch unter den Lebenden weilte, und daß es ihm wohl erging.

      Als sie diese Wanderung zum drittenmal unternahm, harrte ihrer eine schmerzliche Ueberraschung. Sie fand bei ihrer Annäherung den kleinen Tempel verödet und leer.

      Kein Feuer flammte vor der Statue, und kein einziger Beter war zu erblicken. Vertrocknete Kränze hingen noch immer an der einen Seite des Altars, aber dies war auch alles, was von dessen früherer Herrlichkeit zeugte. Die Priester waren verschwunden, und die Kaiserstatue, die unbehütet dastand, war beschädigt und mit Schmutz beworfen.

      Die Greisin wandte sich an den ersten besten Vorübergehenden und fragte:

      »Was hat das zu bedeuten? Ist Tiberius tot? Haben wir einen neuen Kaiser?«

      »Nein,« entgegnete der Römer, »Tiberius ist noch Kaiser, aber wir haben aufgehört, für ihn zu beten. Unsere Gebete können ihm nicht mehr helfen.«

      »Mein Freund,« sprach die Greisin, »ich wohne weit entfernt in den Bergen, wo man nichts davon erfährt, was draußen in der Welt geschieht. Willst Du mir wohl sagen, welches Unglück den Kaiser betroffen hat?«

      »Das schrecklichste Unglück, das man sich denken kann,« sagte der Mann. »Er ist von einer Krankheit befallen, die man in Italien noch gar nicht kannte, die aber im Morgenlande häufig vorkommen soll. Seit dieses Uebel den Kaiser ergriffen hat, ist sein Antlitz ganz verwandelt, seine Stimme gleicht der eines grunzenden Tieres, und seine Zehen und Finger verfaulen. Und gegen diese Krankheit soll es kein Heilmittel geben! Man glaubt, daß er nach einigen Wochen sterben wird, und falls er nicht stirbt, muß man ihn absetzen, denn ein so kranker, elender Mann kann nicht länger die Regierung in Händen halten. Du begreifst also, daß er abgetan ist. Es nützt nichts, von den Göttern Glück für ihn herabzuflehen. Und es lohnt sich auch gar nicht,« setzte er mit leisem Lächeln hinzu. »Von ihm hat keiner mehr etwas zu fürchten oder zu hoffen. Weshalb sollten wir uns also um seinetwillen noch Mühe machen?«

      Er grüßte und ging, die Greisin aber blieb wie betäubt stehen.

      Zum erstenmal in ihrem Leben brach sie zusammen und sah aus wie jemand, den das Alter gebrochen hat. So stand sie mit gebeugtem Rücken und schwankendem Haupte da, und ihre Hände tappten kraftlos in der Luft umher.

      Sie sehnte sich danach, diese Stelle zu verlassen, konnte aber die Füße nur langsam bewegen und ging strauchelnd weiter. Sie blickte ringsumher, um etwas zu finden, was ihr als Stab dienen könnte.

      Dennoch gelang es ihr nach einigen Augenblicken, mit ungeheurer Willensanspannung ihre Mattigkeit zu überwinden. Sie richtete sich wieder auf und zwang sich, mit festen Schritten durch die volksbelebten Straßen zu gehn.

      Eine Woche später erstieg die alte Faustina die steilen Abhänge der Insel Capri. Es war ein heißer Tag, und das entsetzliche Gefühl des Alters und der Mattigkeit überkam sie wieder, während sie auf gewundenen Stegen und auf den in die Felsen gehauenen Stufen sich zu der Villa des Tiberius emporschleppte.

      Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie zu merken begann, wie sehr sich alles während ihrer Abwesenheit gewandelt hatte. Auf diesen Treppen waren früher stets große Scharen von Menschen hinauf und hinab geeilt. Hier hatte es von Senatoren gewimmelt, die sich von riesenhaften Libyern tragen ließen, und hier erschienen Sendlinge aus den Provinzen, die von langen Sklavenzügen begleitet waren, es kamen Aemter suchende und vornehme Männer, die zu den Festen des Kaisers eingeladen waren.

      Heute waren diese Treppen und Pfade gänzlich verödet. Die graugrünen Eidechsen waren die einzig lebenden Geschöpfe, welche die Greisin auf ihrem Wege sah.

      Sie war bestürzt, daß alles bereits dem Verfall nahe schien. Die Krankheit des Kaisers konnte höchstens einige Monate gedauert haben, und dennoch wucherte schon Gras in den Spalten zwischen den Marmorfliesen.