Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


Скачать книгу

auch ein kleiner, hinkender Geselle. Dieser hatte Francesca schon geliebt, ehe sie sich verheiratete, und er liebte sie nach ihrer Heirat noch ebenso treu. Raniero, der davon wußte, begann nun, ihn lächerlich zu machen, besonders bei den Mahlzeiten. Schließlich kam es so weit, daß der arme Bursche, der es nicht ertragen konnte, dem Gelächter preisgegeben zu werden, sobald Francesca es hörte, sich auf Raniero stürzte, um mit ihm zu ringen. Raniero aber stieß ihn hohnlachend beiseite. Da glaubte der arme Bursche nicht länger leben zu können, ging davon und erhängte sich.

      Damals waren Raniero und Francesca etwa ein Jahr verheiratet. Francesca glaubte noch immer, ihre Liebe als ein schimmerndes Goldgewebe vor sich zu sehen, doch nun waren bereits von allen Seiten große Streifen weggeschnitten, so daß es kaum halb so groß war wie zu Anfang. Sie war sehr erschrocken bei dieser Erkenntnis und sagte sich: »Wenn ich noch ein Jahr bei Raniero bleibe, so wird er es dahin bringen, meine Liebe gänzlich zu vernichten. Dann werde ich so verarmt sein, wie ich bisher reich gewesen bin.«

      Und sie beschloß, Ranieros Haus zu verlassen, um von nun an bei ihrem Vater zu leben, auf daß nicht der Tag käme, an dem sie Raniero ebenso sehr hassen müßte, wie sie ihn jetzt liebte.

      Jacopo degli Uberti saß im Kreise aller seiner fleißigen Gesellen arbeitend am Webstuhl, als er sie kommen sah. Er sagte, nun sei geschehen, was er längst erwartet habe, und bot ihr ein herzliches Willkommen. Dann gebot er allen seinen Leuten, sofort die Arbeit einzustellen, sich zu bewaffnen und das Haus zu verschließen.

      Er selber ging zu Raniero, den er in der Werkstatt traf, und sprach zu seinem Eidam: »Meine Tochter ist heute zu mir zurückgekehrt und hat gebeten, wieder unter meinem Dache leben zu dürfen. Und nach Deinem mir gegebenen Versprechen erwarte ich nun, daß Du sie nicht zwingen wirst, zu Dir zurückzukehren.«

      Raniero schien die Sache nicht sehr ernst zu nehmen und antwortete ganz ruhig: »Selbst wenn ich Dir keinerlei Versprechen gegeben hätte, würde ich dennoch niemals die Rückkehr einer Frau verlangen, die mir nicht länger angehören mag.«

      Er wußte jedoch, wie sehr Francesca ihn liebte, und sagte sich im stillen: »Sie ist wieder bei mir, bevor der Abend sinkt.« Aber sie ließ sich weder an diesem noch am nächsten Tage blicken.

      Am dritten Tage zog Raniero hinaus, um einige Räuber zu verfolgen, die den florentinischen Kaufleuten seit langer Zeit viel zu schaffen machten.

      Es glückte ihm, sie zu überwältigen und als Gefangene nach Florenz zu bringen.

      Nun verhielt er sich mehrere Tage ruhig, bis er sicher sein konnte, daß diese Heldentat in der ganzen Stadt bekannt geworden sei. Aber seine Erwartung, Francesca durch diese Tat zurückzugewinnen, erfüllte sich nicht.

      Raniero hatte allerdings die größte Lust, sie durch Gesetz und Recht zur Rückkehr zu zwingen, fand aber, daß er es um seines Versprechens willen nicht tun dürfe. Doch erschien es ihm als ein Ding der Unmöglichkeit, in derselben Stadt mit der Frau zu leben, die ihn verlassen hatte, und so zog er von Florenz fort.

      Er wurde zuerst Söldner, machte sich aber bald zum Anführer einer Freischar. Stets suchte er den Kampf und diente gar vielen Herren.

      Wie er immer prophezeit hatte, gewann er als Krieger Ruhm und Ehren. Er wurde vom Kaiser zum Ritter geschlagen und den hervorragendsten Männern zugezählt.

      Bevor er Florenz verließ, hatte er vor dem Bilde der Madonna in der Domkirche das Gelübde getan, von jeder Kampfesbeute, die er erringen würde, das Kostbarste und Beste der heiligen Jungfrau zu weihen. Und stets sah man vor diesem Bildnis kostbare Gaben, die er gespendet hatte.

      Raniero wußte also, daß alle seine Heldentaten in seiner Vaterstadt bekannt waren. Und er war höchlichst verwundert, daß Francesca degli Uberti nicht zu ihm zurückkehrte, obwohl sie von allen seinen Triumphen reden hörte.

      Zu jener Zeit wurde von der Kanzel ein Kreuzzug zur Befreiung des heiligen Grabes gepredigt, und Raniero zog unter der Kreuzesfahne nach dem Morgenlande. Teils erwartete er, daß er da draußen Schloß und Lehen gewinnen würde, über die er herrschen könnte, teils hoffte er, so glänzende Heldentaten zu vollbringen, daß sein Weib ihn wieder lieben und zu ihm zurückkehren würde.

      In der ersten Nacht nach der Eroberung Jerusalems herrschte im Lager der Kreuzfahrer, das sich außerhalb der Stadt befand, große Freude. Fast in jedem Zelt wurde der Sieg durch Trinkgelage gefeiert, und in weitem Umkreise vernahm man Lärm und Gelächter. Auch Raniero di Ranieri saß trinkend mit einigen Kriegskameraden beisammen, und in seinem Zelt ging es fast noch wilder zu als in den anderen Zelten. Die Diener hatten kaum die Becher gefüllt, so waren sie auch schon wieder leer.

      Raniero hatte allerdings den triftigsten Grund, ein großes Fest zu feiern, weil er an jenem Tage höhere Ehren errungen hatte denn jemals zuvor. Am Morgen, als die Stadt erstürmt wurde, war er, nächst Gottfried von Bouillon, der erste, der die Mauer erstieg, und am Abend war er angesichts des ganzen Heeres um seiner Tapferkeit willen hoch geehrt worden. Denn als das Plündern und Morden endlich aufgehört hatte und die Kreuzfahrer in Bußgewändern und mit noch unentzündeten Wachskerzen in die heilige Grabeskirche eingezogen waren, hatte Gottfried ihm verkündigt, daß er als erster seine Kerze an den heiligen Flammen entzünden solle, die vor Christi Grab brennen. Raniero erkannte daran, daß Gottfried auf diese Weise zeigen wollte, er betrachte ihn als den tapfersten Helden des ganzen Heeres, und er war hocherfreut über einen solchen Lohn seiner Heldentaten.

      Gegen Mitternacht, als Raniero und seine Gäste in bester Laune waren, kam einer der Narren mit mehreren Spielleuten die in dem ganzen Lager umhergelaufen waren und die Leute mit ihren Possen ergötzt hatten, in Ranieros Zelt, wo der Narr um Erlaubnis bat, ein lustiges Abenteuer zu berichten.

      Raniero wußte, daß jener Narr wegen seines Witzes sehr gerühmt wurde, und er versprach, die Erzählung anzuhören. Da sprach der Narr:

      »Es geschah einmal, daß unser Heiland und Sankt Peter einen ganzen Tag auf dem höchsten Turm der Burg des Paradieses saßen und zur Erde hinunter blickten. Dort gab es für sie so viel zu begucken, daß sie kaum Zeit fanden, ein Wort zu wechseln. Unser Heiland hatte sich die ganze Zeit über ruhig verhalten, aber Sankt Peter hatte bald vor Freude in die Hände geklatscht, bald aber wieder voll Abscheu den Kopf hinweggewendet. Bald hatte er gejubelt und gelacht, dann wieder geweint und geklagt. Endlich, als der Tag sich neigte und Abenddämmerung auf das Paradies niedersank wandte sich unser Heiland an Sankt Peter und meinte, nun müsse er doch wohl froh und zufrieden sein. ›Womit soll ich denn eigentlich zufrieden sein?‹ fragte nun Sankt Peter in heftigem Tone. – ›Ja, ich glaubte, Du seiest mit dem, was Du heute gesehen hast, zufrieden,‹ entgegnete unser Heiland sanftmütig. Doch Sankt Peter wollte sich nicht beschwichtigen lassen. – ›Freilich, seit Jahr und Tag beklage ich, daß Jerusalem sich in der Gewalt der Ungläubigen befindet, aber nach alldem, was heute geschehen ist, finde ich, es hätte ebensogut alles bleiben können, wie es war.‹«

      Raniero merkte bald, daß der Narr von den Geschehnissen des verflossenen Tages redete. Er und die anderen Ritter hörten nun aufmerksamer zu als am Anfang.

      »Als Sankt Peter also gesprochen hatte,« fuhr der Narr in seiner Erzählung fort, indem er einen verschmitzten Blick auf die Ritter warf, »lehnte er sich über die Turmzinnen hinaus und wies auf die Erde hin. Dort zeigte er unserem Heiland eine Stadt, die auf einem mächtigen, einsamen Felsen lag, der aus einem Gebirgstal emporragte. ›Erkennst Du diese Leichenhaufen?‹ fragte er, ›und siehst Du, das Blut, das durch die Straßen rinnt, und siehst Du die nackten, elenden Gefangenen, die in der Nachtkälte jammern, und siehst Du all die rauchenden Brandstätten?‹ Unser Heiland schien nichts entgegnen zu wollen, so daß Sankt Peter in seinen Klagen fortfuhr. Er sagte, wohl habe er dieser Stadt oft heftig gezürnt, aber niemals habe er ihr dermaßen übel gewollt, daß es dort einmal so aussehen solle. Da endlich antwortete unser Heiland und versuchte eine Einwendung zu machen. – ›Du kannst doch nicht leugnen, daß die christlichen Ritter mit der größten Unerschrockenheit ihr Leben gewagt haben.‹«

      Hier wurde der Narr durch Beifallsrufe unterbrochen, aber er beeilte sich fortzufahren.

      »Nein, unterbrecht mich nicht. Jetzt erinnere