ihm geraubt haben mochten. Als er nun einen Christen allein heranreiten sah, suchte er ihm alles erdenkliche Böse anzutun. Er stürzte auf ihn zu und schlug mit seinem Hirtenstabe nach der Kerze.
Raniero war durch die Lichtflamme so behindert, daß er sich nicht einmal gegen den Hirten verteidigen konnte. Er zog nur die Kerze dichter an sich heran, um sie zu schützen. Der Hirt schlug noch einigemal danach, blieb dann aber höchst verwundert stehen und hörte auf, nach der Kerze zu schlagen. Er sah, daß Ranieros Mantel in Brand geraten war, ohne daß dieser etwas tat, das Feuer zu ersticken, solange die Lichtflamme in Gefahr schwebte. Da schien der Hirt sich seiner Tat zu schämen. Lange folgte er Raniero nach, und an einer Stelle, wo der Weg sehr schmal war und sich zwischen zwei Abgründen hinzog, trat er hinzu und führte das Pferd am Zügel.
Raniero dachte lächelnd, daß der Hirt ihn sicher für einen heiligen Mann halte, der Buße tue.
Gegen Abend traf Raniero auf seinem Wege viele Menschen. Es hatte sich nämlich bereits in der Nacht an der Küste entlang das Gerücht von Jerusalems Fall verbreitet, und gar viele Leute hatten sich sofort angeschickt, hinauf zu wandern. Es waren Pilger, die schon jahrelang die Gelegenheit erharrt hatten, nach Jerusalem zu gelangen, und es waren frischgelandete Truppen und vor allem waren darunter Kaufleute, die mit ganzen Fuhren von Lebensmitteln dorthin eilten.
Als diese Scharen Raniero begegneten, der rücklings, mit einer brennenden Kerze in der Hand, angeritten kam, riefen sie: »Ein Wahnsinniger, ein Wahnsinniger!«
Die meisten dieser Leute waren Italiener, und Raniero vernahm es, wie sie in seiner eigenen Muttersprache riefen: Pazzo, pazzo! was bedeutet: ein Verrückter, ein Verrückter!
Raniero, der sich den ganzen Tag über so gut im Zaum zu halten gewußt hatte, wurde durch diese ständig wiederkehrenden Rufe heftig erregt. Er schwang sich plötzlich aus dem Sattel und begann mit seinen harten Fäusten die Rufer zu züchtigen. Als die Leute aber merkten, wie schwer die fallenden Schläge waren, da entstand eine allgemeine Flucht, und bald stand er ganz allein auf der Landstraße.
Nun kam er wieder zur Besinnung. »Sie hatten wahrhaftig recht, als sie Dich einen Verrückten nannten, sagte Raniero, indem er sich nach der Kerze umschaute, ohne zu wissen, was er damit angefangen hatte. Endlich sah er, daß sie vom Wege in einen Graben hinabgekollert war. Die Flamme war erloschen, aber er sah in einem dürren Grasbüschel dicht daneben Feuer glimmen und erkannte sofort, daß das Glück ihm hold sei, denn nur die Kerze konnte vor ihrem Erlöschen das Gras in Brand gesteckt haben.
»Das hätte einen erbärmlichen Abschluß nach soviel Mühe geben können,« meinte er, während er die Kerze an ihrem eigenen Feuer entzündete und wieder sein Pferd bestieg. Er war tief gedemütigt, und es schien ihm jetzt nicht mehr recht glaublich, daß seine Pilgerfahrt ihm gelingen würde.
Gegen Abend kam Raniero nach Ramle und suchte dort eine Herberge auf, in der die Karawanen zu übernachten pflegten. Es war ein großer, gedeckter Hof. Rings um ihn zogen sich kleine Holzverschläge hin, wo die Reisenden ihre Pferde einstellen konnten. Stuben gab es dort nicht, sondern die Menschen mußten neben ihren Tieren schlafen.
Es war schon alles überfüllt, aber der Wirt schaffte trotzdem noch Platz für Raniero und sein Pferd. Er brachte auch Futter für das Tier und Essen für den Ritter.
Als Raniero sich so gut behandelt fand, sagte er sich: »Ich möchte fast glauben, daß die Räuber mir einen Gefallen damit getan haben, als sie mir meine Rüstung und mein Pferd abnahmen. Sicher komme ich mit meiner Bürde leichter durchs Land, wenn man mich für wahnsinnig hält.«
Als Raniero sein Pferd in den Stand geführt hatte, setzte er sich auf ein Bund Stroh und behielt die Kerze in den Händen. Er hatte die Absicht, nicht einzuschlafen, sondern sich die ganze Nacht wach zu halten.
Aber kaum hatte er sich niedergesetzt, als er auch schon einschlummerte. In seiner schrecklichen Uebermüdung streckte er sich im Schlaf der Länge nach aus und schlief bis zum Morgen.
Als er erwachte, sah er weder die Lichtflamme noch die Kerze. Er durchsuchte das Stroh, fand sie aber nirgends und sagte sich: »Irgend jemand wird sie mir abgenommen und verlöscht haben.«
Und er wollte sich selber glauben machen, daß er froh sei, weil nun alles aus und vorbei wäre und er ein an sich unmögliches Vorhaben nun endlich aufgeben mußte.
Aber bei diesem Gedanken empfand er zugleich eine gewisse Leere und eine tiefe Sehnsucht.
Er glaubte, noch niemals ein stärkeres Verlangen nach dem Gelingen eines Unternehmens gehabt zu haben als eben jetzt.
Er führte sein Pferd hinaus, striegelte es und legte ihm den Sattel an.
Als er fertig war, kam der Wirt der Karawanserei mit einer brennenden Kerze auf ihn zu und sagte in fränkischer Mundart: »Ich mußte Dir gestern Dein Licht aus der Hand nehmen, weil Du fest eingeschlafen warst, aber hier gebe ich es Dir zurück.«
Raniero ließ ihn nichts von seinen Empfindungen merken, sondern sagte ganz ruhig: »Du hast klug daran getan, das Licht auszulöschen.«
»Ich habe es nicht ausgelöscht,« sagte der Mann. »Ich sah, daß Du es brennend herbrachtest, und so dachte ich, es könnte für Dich Gewicht haben, daß es weiter brenne. Wenn Du siehst, wieviel kürzer es geworden ist, wirst Du erkennen, daß es die ganze Nacht durch gebrannt hat.«
Raniero strahlte vor Freude. Er belobte den Wirt recht herzlich und ritt in bester Stimmung weiter.
4
Als Raniero von Jerusalem aufbrach, beabsichtigte er, den Seeweg von Jaffa nach Italien zu nehmen. Er änderte jedoch diesen Beschluß, nachdem die Räuber ihn seines Geldes beraubt hatten, und wählte den Weg über Land.
Es war eine lange Reise. Von Jaffa nordwärts zog er an der syrischen Küste entlang. Dann ging die Reise nach Westen, längs der Halbinsel von Kleinasien. Und wieder ging es nördlich nach Konstantinopel hinauf. Von dort hatte er noch eine reichlich lange Strecke bis nach Florenz zurückzulegen. Während dieser ganzen Zeit lebte Raniero von milden Gaben.
Zumeist waren es Pilger, die nun in Massen nach Jerusalem strömten, die ihr kärgliches Brot mit ihm teilten. Obwohl Raniero oft ganz allein ritt, wurde ihm niemals die Zeit lang, auch verstrichen seine Tage nicht einförmig. Er mußte stets die Lichtflamme schützen, die ihn nie sorglos sein ließ. Nur eines Windstoßes oder eines Regentropfens bedurfte es ja, und es wäre aus und vorbei mit ihr gewesen.
Während Raniero auf einsamen Wegen ritt und nur daran dachte, die Lichtflamme am Leben zu erhalten, fiel ihm plötzlich ein, daß er schon früher einmal etwas Aehnliches beobachtet haben müsse. Er hatte einst einen Menschen über etwas wachen sehen, was ebenso schonungsbedürftig war wie eine Lichtflamme. Das Ganze stand ihm vorerst so unklar vor Augen, daß er sich fragte, ob er es vielleicht nur geträumt hätte. Aber während er einsam durch das Land zog, kam ihm unablässig der Gedanke wieder, daß er bereits früher einmal Aehnliches beobachtet haben müsse.
»Es ist, als hätte ich Zeit meines Lebens von gar nichts anderem reden hören,« sagte er.
Eines Abends ritt Raniero in eine Stadt hinein. Es war Feierabend, und die Frauen standen in den Türen und schauten nach ihren Männern aus. Eine unter ihnen war hochgewachsen und schlank, sie hatte tiefernste Augen. Bei ihrem Anblick dachte er an Francesca degli Uberti.
Und nun wurde ihm plötzlich klar, worüber er vorher nachgegrübelt hatte. Er mußte daran denken, daß Francescas Liebe sicherlich einer Lichtflamme geglichen hatte, die sie stets brennend erhalten wollte, in steter Furcht, daß Raniero sie in ihrem Herzen auslöschen könnte. Er wunderte sich selber über diesen Gedanken, war aber mehr und mehr davon durchdrungen, daß es sich ganz so verhielt. Und er begann zum erstenmal zu begreifen, weshalb Francesca ihn verlassen hatte, und daß Waffenruhm sie ihm nicht wiederzugewinnen vermochte.
Die Reise Ranieros ging nur sehr langsam vonstatten. Und nicht zum wenigsten deshalb, weil er sie bei jedem ungünstigen Wetter unterbrechen mußte. Er saß dann in irgend einer Karawanserei und bewachte die Lichtflamme, das waren sehr schwere Tage.
Als nun