zu begrüßen,« sagte Joel.
Er fühlte sich aufs äußerste beunruhigt und auf die Folter gespannt. Die ganze Zukunft hing davon ab, ob er imstande war, seine Worte auf die richtige Art zu setzen und vorzubringen.
»Ach, wer doch hätte dabei sein und ihn vorbeikommen sehen können!« sagte Thala.
»O, du hättest wohl nicht an einer Straßenecke zu stehen brauchen,« erwiderte Joel. »In der Zeitung steht, daß für die Eltern und Verwandten ein besonderes Dampfboot zur Verfügung gestanden habe.«
Doch da verlor das Gesicht der Frau ganz plötzlich seinen frohen Ausdruck.
»O Joel!« rief sie. »Es hätte uns nichts genützt, wenn wir dort dabei gewesen wären. Weder du noch ich hätte auf dieses Dampfschiff kommen können. Das hätte sie uns nicht gegönnt.«
Mit »sie« meinte Mutter Elversson die englische Dame, die ihren Sohn mitgenommen hatte. Mutter Elversson hatte ihr nie verziehen, daß sie den Jungen nicht an seine Eltern hatte schreiben lassen. In ihren Gedanken hatte sie die Engländerin zu einem richtigen Ungeheuer gemacht.
»Doch, wir hätten gewiß dabei sein und ihn begrüßen dürfen, das glaube ich schon,« sagte der Mann.
Eigentlich war er froh, daß sich seine Frau bei so unwichtigen Sachen aufhielt. Er brauchte Zeit, seine Gedanken zu ordnen, um das Schwere zu sagen, das er auf angemessene Weise zu berichten hatte.
»Unsere ganze Zukunft hängt von diesem Gespräch ab,« sagte er sich einmal ums andere, um seine langsamen Gedanken zur Eile anzuspornen.
»Ja, das glaubst du wohl!« sagte Thala trotzig und warf den Kopf in den Nacken. »Wenn sie uns doch in all diesen Jahren nicht einmal eine Zeile von ihm gegönnt hat! Und er hat wohl auch gar kein Herz für uns. Er war neun Jahr alt, als er fortkam, und so viel Verstand hatte er damals schon, daß er uns ohne ihr Wissen hätte schreiben können. Aber sie hat ihm wohl in den Kopf gesetzt, wir seien zu geringe Leute, als daß so ein Herr nach uns fragen sollte.«
Ihre ganze Freude war in die Flucht geschlagen. Diese Gedanken, die sie in den vergangenen Jahren schon sooft gequält hatten, kehrten mit neuer Stärke zurück.
»Ja, ich muß allerdings zugeben,« sagte der Mann, »ich muß wirklich zugeben, es ist merkwürdig, daß Sven nicht ein einziges Mal geschrieben hat. Und die Pflegeeltern können schuld daran sein, das ist wohl möglich. Ich habe heute vor der Kirche etwas erfahren.«
Die Frau schwieg. Sie war sehr ärgerlich, und so mochte sie nichts mehr sagen.
»Ach, wie schlimm es geht!« dachte der Mann. »Wenn sie in diese Stimmung hineinkommt, ist alles verloren.«
»Der Pfarrer hat Nachricht aus England bekommen,« begann er wieder. O weh, da redete er schon wieder etwas, was er nicht hatte berühren wollen, ehe er seine Frau richtig vorbereitet und in der richtigen Gemütsverfassung hatte; aber er sah keinen anderen Ausweg mehr.
»Er hat mich mit ins Pfarrhaus genommen. Er ist es auch, der mir diese Zeitung hier gegeben hat.«
»Der Pfarrer?«
»Ja, er wollte von Sven mit mir reden.«
»Ach was, das ist ganz einerlei! So wie er jetzt ist, mache ich mir nichts mehr aus ihm.«
Darauf erwiderte der Mann kein Wort, und lange herrschte Stillschweigen zwischen den beiden; schließlich aber brach es bei der Frau los wie eine Explosion.
»Du bist doch der schrecklichste Mensch, den es gibt, um ein armes Weib neugierig zu machen!« rief sie. »Nun, was hat denn der Pfarrer eigentlich gehört?«
»Etwas über Sven. Der Herr Pfarrer kommt heute abend selbst zu uns, um es dir mitzuteilen.«
Jetzt sprang die Frau auf.
»Kommt der Herr Pfarrer selbst hierher?« sagte sie. »Aber um alles in der Welt! Und das sagst du mir jetzt erst?«
Sie machte einen Schritt auf die Wohnung zu, um hineinzugehen und nachzusehen, ob es drinnen in der Stube sauber und ordentlich sei. Aber plötzlich stockte ihr Fuß.
»Warum kommt der Pfarrer hierher?« fragte sie. »Es ist wohl irgend etwas Schlimmes geschehen?«
Sie sah ihren Mann scharf an, als wollte sie mit ihrem Blick in seinen Kopf hineindringen und die Gedanken lesen, die sich da drinnen bewegten.
»Vielleicht ist Sven weicher gesinnt geworden, seit er da droben im Eis gelegen und Lederfetzen gekaut hat? Vielleicht will er hierherkommen, um uns zu besuchen? Aber das sag' ich dir, jetzt bin ich diejenige, die nein sagt. Sind wir früher nicht gut genug gewesen, dann sind wir es jetzt auch nicht.«
»Ich hielte es für besser, du nähmest den Mund nicht so voll,« warnte der Mann. In seinem Herzen wurde er allmählich ärgerlich über sie, weil sie so widerspenstig war und alles gar nicht so aufnahm, wie er es getan hätte.
Die Frau vergaß ihre Absicht, hineinzugehen und ihre Stube aufzuräumen, vollständig. Ihres Mannes letzte Worte konnten nichts anderes bedeuten, als daß sie recht geraten hatte.
»Weißt du, was der Pfarrer für Nachrichten erhalten hat?«
»Ja, ziemlich viel davon.«
»Hat er dich gebeten, mit mir über das, was in der Zeitung stand, zu sprechen?«
»O nein, ich glaube, es war seine Absicht, dir alles miteinander selbst mitzuteilen. Aber ich dachte, es wäre besser, wenn ich dich ein wenig vorbereitete.«
»Ja, nun hab' ich Zeit vor mir, das ist gut. Sonst hätte ich ihn am Ende in der ersten Eile willkommen geheißen. Und darüber hätte ich mich nachher sehr geärgert.«
Der Mann fühlte, wie der Zorn in seinem Herzen zunahm.
»Es ist ihre Absicht, unsere ganze Zukunft zu zerstören,« dachte er. »Sie wird doch niemals klug, sondern es wird bei ihr mit jedem Jahr schlimmer und schlimmer.«
»Ich glaube, der Herr Pfarrer wird sich freuen, wenn er hört, daß du dir gar nichts aus Sven machst. Dann ist es keine Kunst für ihn, dir das zu sagen, was er dir mitteilen muß.«
»Keine Kunst!« versetzte die Frau, und sie wurde gleichsam noch härter. »Was meinst du damit?«
»Nun, es scheint ja, als sei Sven ins Unglück geraten. Dieser Einzug in London sollte am letzten Sonntag stattfinden, und er wurde auch mit allem Pomp gefeiert. Auch am Montag noch gab es Feste und Veranstaltungen, aber dann hörten sie ganz plötzlich auf. Über die Nordpolfahrer waren böse Gerüchte in Umlauf gekommen.«
Das Gesicht der Frau wurde starr.
»Soll ich nun etwa hören, daß er etwas Unrechtes getan hat?« murmelte sie zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen.
»Alle Blumen und Flaggen wurden heruntergerissen, alles wurde eingestellt. Am Montag hatte man auf den Straßen kaum vorwärtskommen können vor all den Menschen, die die Nordpolfahrer sehen und begrüßen wollten, am Dienstag aber hätte man ihnen gern Fußtritte versetzt und sie geschlagen.«
Mutter Elversson reckte den Kopf immer höher.
»Was du nicht sagst!« rief sie. »Da wäre es doch vielleicht besser für ihn gewesen, er hätte sich zu seinen richtigen Eltern gehalten.«
»Du mußt nämlich wissen,« sagte der Mann mit lauterer Stimme als vorher, »es ist nicht das erstemal, daß so etwas da droben im Norden vorkommt. Sie hatten Hungertyphus, und sie waren verrückt und wußten nicht, was sie taten. Und dann hat sich einer von ihnen in seiner Verzweiflung den Hals abgeschnitten. Und dann...«
»Nun, dann haben die anderen ihn wohl aufgegessen?« warf die Frau ein.
Sie war vollständig kalt und ruhig. Unendlicher Zorn und Ekel erfüllte sie.
»Sie waren ebensowenig zurechnungsfähig wie solche, die in einem Krankenhaus sind,« sagte der Mann. »Hier in der Zeitung steht übrigens, sie hätten nicht mehr als einen Arm genommen. Mehr brachten sie nicht