Ruhm des Libanon [gilt ihm]11, der den vorläufigen Tempel [die Synagoge] baute, das Lehrhaus [Bet ha-midrasch], welches Fundament und Grundstein liefert.
Sein Dahinscheiden aus der Welt verursachte Aufsehen, im Palast und im Saal erweist man ihm Ehre. [...]
Die Häupter Israels12, im Lande Polen zerstreut und verteilt, legten die Fürsprache zu ihren Gunsten in seine Hände: Vor Königen trat er auf, an ihren Höfen und in ihren Schlössern, mit reinen Händen und reinem Herzen beim Verhandeln.
Viele Waisenknaben und –mädchen hat er mit seinem Geld verheiratet [d.h. mit der notwendigen Mitgift ausgestattet]. [...]
Geboren am 24. Nissan des Jahres [5]421 [des jüdischen Kalenders, im christlich-gregorianischen Kalender: 23.4.1661], gestorben, satt an Tagen [d.h. in hohem Alter], am 24. Tammuz des Jahres [5]490 [9.7.1730]‚ ein gerechter und reiner Mensch’.
Der Herr erinnere seine Seele mit den Seelen Abrahams, Isaaks und Jakobs, Moses‘ und Arons, Davids und Salomos und mit den Seelen aller anderen Gerechten und Heiligen, die sich im Land der Lebenden befinden, und seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens mit den anderen Gerechten des Weltfundaments im Paradies, Amen, Sela.“
Wie man sieht, stehen also im Vordergrund für die Gemeinde die Frömmigkeit des Residenten sowie die aus ihr fließenden religiös-institutionellen und sozialen Wohltaten für die eigene und für fremde jüdische Gemeinden sowie sein Erfolg und sein Ansehen in der christlichen Mehrheitsgesellschaft, welche es ihm ermöglichten, als Anwalt der jüdischen Gemeinschaft Einfluß auszuüben.
Legenden im „Maassebuch“
Eine zweite Chronik der Halberstädter jüdischen Gemeinde, das jiddisch geschriebene Maassebuch ist wie das Memorbuch mit den letzten Halberstädter Rabbinern nach Israel ausgewandert und bisher noch nicht übersetzt worden.13
Aus dem wichtigen Artikel eines Urururenkels des Residenten, Emil Lehmann, über seinen Vorfahren kann man vorläufig Inhalt und Charakter des Maassebuches annähernd erschließen.14
Danach enthält es zum Beispiel eine fromme Legende über die Prophezeiung von Lehmanns Größe schon vor seiner (fälschlich in Halberstadt angesiedelten) Geburt, und es berichtet über die mutige Erlegung eines gefährlichen Bären auf Lehmanns Geheiß und über die wundersame Errettung des großen Mannes aus einer Lebensgefahr (beides historisch nicht verifizierbar).
Benjamin Hirsch Auerbach (1808–1872)
Rezipiert worden sind die beiden oben zitierten Texte bisher nur in ihrer Spiegelung durch Benjamin Hirsch Auerbachs Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt von 1866, und in diesem seinerzeit wegweisenden, aber gerade in Bezug auf den Residenten archivalisch nur spärlich abgesicherten Buch herrscht das, was Lucia Raspe treffend die „Berend-Lehmann-Panegyrik“15 nennt: weihevolle Verehrung.
Als typisches Beispiel sei hier nur die Anekdote angeführt, nach der Kurfürst* Friedrich III. von Brandenburg bei seiner Huldigung durch die Halberstädter Stände*, 1692, auf Lehmanns „unter lauter Baracken hervorragende[s] stattliche[s] Wohnhaus“ aufmerksam geworden sei; aus Hochachtung für den erfolgreichen „polnische[n] Resident[en]“ habe er ihm die Erlaubnis zum Druck der berühmten ersten deutschen Talmudausgabe erteilt, welche dann in 5 000 Exemplaren zum Preise von 50 000 Talern in Frankfurt an der Oder gedruckt worden sei.16
Abgesehen davon, dass Lehmann erst fünf Jahre später, 1697, nach der Krönung Augusts des Starken (Friedrich August I. als Kurfürst von Sachsen, Friedrich August II. als König in Polen, 1670−1733), „Resident“17 wurde und das von Auerbach gemeinte Wohnhaus erst um 1707 seinen „stattlichen“ Ausbau erfuhr, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich der Kurfürst 1692 für die Halberstädter Juden interessiert hat. Der sehr ausführliche offizielle Bericht über die Huldigung18 erwähnt davon jedenfalls nichts.
Vor allem hat nicht Berend Lehmann, sondern der christliche Frankfurter Professor Johann Christoph Beckmann das Talmud-Druckprivileg für sich und den Drucker Michael Gottschalk erwirkt, dem Lehmann es, in einer finanziellen Notsituation als Auftraggeber einspringend, 1697 abkaufte. Auch betrug die Auflage (was immer noch beachtlich ist) nur 2 000 Exemplare, dem Drucker bezahlte Lehmann nur 28 000 Taler.19
Auerbachs Autorität in Sachen Berend Lehmann ist so groß, dass erstaunlicherweise gerade diese Angaben über die Entstehung des Talmud-Neudrucks immer wieder unkritisch übernommen wurden, so z.B. im Katalog der New Yorker Hofjuden-Ausstellung von 199620 und in der Lehmann-Biographie für die Eröffnung der neuen Dresdner Synagoge 200121. Dabei waren sie bereits im Jahre 1900 von Max Freudenthal angezweifelt und teilweise korrigiert worden22.
Auerbach hat an anderer Stelle die klare Einsicht: „Solche Apotheosen, womit in der Regel ganz nebulistische Geister als Ersatz für gründliche Charakterzeichnung [...] uns aufzuwarten pflegen, sind oft sehr ergötzlich und geeignet, fromme Gemüther zu erheben und dem Erfinder Dank zu zollen für die Wärme seines Herzens und die lebendige Phantasie, die seinen Helden so überaus schön und beneidenswerth zu verklären vermochte.“ Er hat offenbar nicht gemerkt, dass er, trotz weiser Erkenntnis im Allgemeinen, im Speziellen mit seinem Berend-Lehmann-Kapitel selbst eine solche „Apotheose“ geschaffen hat.
Psychologisch ist das gut zu verstehen: Die Emanzipation* der deutschen Juden war noch nicht einmal ganz vollendet, und die Erinnerung an die Zeiten der Ausgrenzung und Bedrückung war noch höchst lebendig. Da musste ein mutiger Vertreter der Protoemanzipation* wie der Resident als Vorkämpfer und Heiliger in strahlendem Licht erscheinen.
Marcus Lehmann (1831–1890)
Des Residenten Namensvetter, der Mainzer Rabbiner Marcus Lehmann, als Herausgeber der Zeitschrift Der Israelit führender Vertreter der jüdischen Orthodoxie*, benutzte offenbar dieselben Halberstädter jüdischen Quellen wie Auerbach, und er kannte dessen Gemeinde-Geschichte. In seinem Roman Der Königliche Resident23 (vgl. Abb. 1-2) ist Berend Lehmann nicht nur der Resident des Königs; er ist selbst eine königliche Figur. In seiner Jüdischen Volksbücherei brauchte Marcus Lehmann seiner Fantasie noch weniger Fesseln anzulegen als der Lokalpatriot Auerbach. Als Vorbild für die jüdische Jugend schildert er einen klugen und erfolgreichen, gleichzeitig aber einen bescheidenen Helden. Er malt besonders Lehmanns Eintreten für die bedrückten polnischen Glaubensbrüder in spannenden Episoden aus.
Ein interessantes Zeugnis für die Wirkung, die Marcus Lehmanns Buch noch im 20. Jahrhundert ausgeübt hat, gibt der Enkel Benjamin Hirsch Auerbachs,
Abb. 1 (oben) und 2 (unten): Der legendenhafte Roman ‚Der königliche Resident’ des Mainzer Rabbiners Marcus Lehmann aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte nachdrücklich das Berend-Lehmann-Bild orthodoxer Juden. Er wurde in englischer und hebräischer Sprache bis ins späte 20. Jahrhundert neuaufgelegt.
Hirsch Benjamin Auerbach (1901−1973) in einem Aufsatz über