Berndt Strobach

Privilegiert in engen Grenzen


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Korn herbeiführten. Daß ihre Unternehmungen Neid und Anfeindungen begegneten – wen sollte das Wunder nehmen?“34

      Zwar wusste man auch vor Emil Lehmann schon manches über den Mäzen, den Geschäftsmann, den Verhandlungsdiplomaten, aber beinahe nichts über den Menschen Berend Lehmann. Jetzt war für den sensiblen Leser aus den von Emil Lehmann publizierten Eingaben und Briefen durchaus Persönliches herauszulesen: Neben Berend Lehmanns Stolz auf Herkunft und Leistung sprechen sie von dem deutlichen Bewusstsein der Beschränkung, der er als Jude unterworfen war, sogar als einer der Höchstprivilegierten.

      Die Briefe offenbaren zudem eine große taktische Beweglichkeit im Umgang mit den christlichen Herrschern: Einerseits pocht er darin auf Recht und Verdienst, andererseits findet sich der ständige klagende Hinweis auf die Gefährdungen für Ruf und Kredit, bis hin zu einem demütigen Jammern mit Floskeln vom darbenden Weib und den Kindern. Das will zwar gar nicht in das innerjüdisch tradierte Bild des stolzen Fürsprechs passen, aber es war wohl ein Verhaltensmuster, das in den Jahrhunderten des Ausgeliefertseins als ultimative Rettungsmaßnahme erlernt worden war.

      Diese Fähigkeit des berühmten Hofjuden, sich im Notfall auch selbst zu verleugnen, wurde denn auch von nachfolgenden Autoren weitgehend ignoriert.

      Max Freudenthal (1868–1937)

      Dort wird die von Auerbach bereits angedeutete Fürsorge, mit der Lehmann die Werke seiner Klausgelehrten zum Druck brachte und finanzierte, ausführlich dokumentiert. Bei Freudenthals Charakterisierung der Werke wird allerdings klar, daß der Halberstädter Hofjude hebräische Literatur hauptsächlich nach ihrem traditionellen Ruf bewertete, ohne ihren Wert selbst beurteilen zu können oder zu wollen. Das Mäzenatentum war für ihn die selbstverständliche Konsequenz seines Reichtums, und je größer die rabbinische Gelehrsamkeit, so schien es Lehmann nach der Darstellung Freudenthals, desto nützlicher und förderungswürdiger war sie für die jüdische Gemeinschaft.

      Josef Meisl (1882–1958)

      Der Berliner Archivar Josef Meisl, nach seiner Emigration Begründer der Jerusalemer Central Archives for the History of the Jewish People, veröffentlichte 1924 sechzehn Briefe aus dem Dresdner Staatsarchiv, die Berend Lehmann zwischen 1697 und 1704 aus Halberstadt und Leipzig, teils aber auch während des Nordischen Krieges von den baltischen Kriegsschauplätzen an einen einflussreichen Dresdner Hofbeamten geschickt hatte (die so genannten Bose-Briefe). In ihnen geht es hauptsächlich um von Lehmann gegebene oder vermittelte Anleihen und um deren Sicherheit, gelegentlich auch um die militärische und politische Lage.

      Meisls einleitender Kommentar zu diesen Dokumenten ist knapp und distanziert, hier ist keine Spur mehr von „Lehmann-Panegyrik“. So steht Meisl zum Beispiel der Auerbachschen Behauptung, Lehmann habe die Krönung Augusts des Starken zum Polenkönig im Wesentlichen finanziert, skeptisch gegenüber und versucht, den wirklichen Anteil des Residenten an dem Kollektivunternehmen auszumachen.

      Wichtig für ein erweitertes und ungeschminktes Bild des berühmten Hofjuden war der Ton der originalen Brieftexte. Lehmanns hier nun in größerem Umfang vorliegende schriftliche Äußerungen konnten dem aufmerksamen Leser zum Beispiel ein Leitmotiv seines Lebens bestätigen, das sich schon in den Zitaten bei Emil Lehmann angedeutet hatte: die bohrende Sorge um die Erhaltung des Reichtums, die ständige Unruhe angesichts der selbst für ihn als Bankier schwer zu überschauenden, risikoreichen Geschäftsvorgänge.

      Die von Meisl veröffentlichten Briefe sind übrigens, soweit sie aus Halberstadt stammen, in gutem Französisch abgefasst und möglicherweise von einem Sekretär konzipiert. Diejenigen aus dem Baltikum, sicherlich von ihm selbst verfasst, sind in einem recht unbeholfenen und grammatisch fehlerhaftem Deutsch geschrieben. Das hätte denjenigen Lehmann-Verehrern, die seit Marcus Lehmann einen von Leibniz persönlich in Philosophie unterrichteten Hochgebildeten vor Augen hatten, zu denken geben müssen. Aber ähnlich wie Emil Lehmanns Aufsatz ist auch Meisls Beitrag offensichtlich nur selektiv zur Kenntnis genommen worden.

      Ernst Frankl (geboren 1909)

      Mit den „anderen Hofjuden“ ist sicherlich in erster Linie Joseph „Süß“ Oppenheimer gemeint, der bereits 1827 von Wilhelm Hauff und dann natürlich 1925 in Lion Feuchtwangers Erfolgsroman als zwielichtige Figur gezeichnet worden war. Lehmann als Lichtgestalt mit dem berüchtigten „Süß“ zu kontrastieren, war psychologisch verständliche Halberstädter Lokalüberzeugung, basierend auf Auerbach und Marcus Lehmann. Auch ausgewachsene, seriöse Historiker erlagen einer solchen Versuchung, wie die folgenden Beispiele zeigen werden.

      Selma Stern (1890–1981)