„möglichen“ Ahn ein Kapitel von einigen Seiten.75 Er bezeichnet ihn großzügig als „the greatest of the court Jews [...]“ und hält den Residententitel für einen „ambassadorial title“. Vom Babylonischen Talmud habe es praktisch keine Exemplare mehr gegeben, und so sei es Berend Lehmann mit seiner Neuausgabe gelungen „to single-handedly save the perpetuation of Torah learning. [...] There can be no doubt that without Behrend Lehmann, Judaism would have died out in Germany.”
In einem inhaltlich weitgehend damit übereinstimmenden Artikel, den er für eine in Halberstadt erscheinende Heftreihe über die Geschichte der dortigen Juden auf Deutsch zur Verfügung stellte,76 heißt es, er habe „für seine königlichen Herren auf dem Feld der Finanzen und der Außenpolitik [mehr] erreicht als irgendein anderer Hofjude.“77 Lehmann habe die Schlüsselrolle bei Augusts des Starken Wahl zum Polenkönig gespielt: „Das war wirklich ein Schachzug ohnegleichen in der Geschichte der europäischen Diplomatie – vollbracht von einem Juden!“78
Das Netz verwandtschaftlicher Verbindungen, das die europäischen Hofjuden des späten 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts durch gegenseitiges Einheiraten geknüpft hatten, hält Manfred R. Lehmann für eine Schöpfung des Residenten und behauptet:
“[...] ohne Zweifel nahmen die Rothschilds Behrend Lehmann und sein Familienimperium als Modell für das Operieren einer internationalen Familienbank“.79 Er bezeichnet ihn als einen dennoch „bescheidene[n] und einfache[n] Mann“ (erwähnt aber gleichzeitig, dass er mit einer sechsspännig gezogenen Kutsche gereist sei).80 „Mit Sicherheit ist zu sagen“, so beteuert er zusammenfassend, „dass in der modernen jüdischen Geschichte keine zweite Persönlichkeit solche Größe im (jüdischen) Glauben mit weltlicher Größe vereinigte.“81
Diese maßlose Übertreibung setzt der von Lucia Raspe so genannten „Berend-Lehmann-Panegyrik“ die Krone auf. Wie der Zusammenhang seines Bekenntnisbuches zeigt, benutzt Manfred R. Lehmann in einer Zeit schwindenden Herkunftsbewusstseins den Halberstädter Hoffaktor als Ikone vorbildlichen Judentums.
Einige Nach-Wende-Publikationen
Als in den neuen Bundesländern nach 12 Jahren nationalsozialistischer und 45 Jahren kommunistischer Herrschaft erstmalig wieder offen über deutsch-jüdische, jüdisch-deutsche Geschichte informiert werden durfte, galt es, schnell Nachrichten über die jeweilige lokale oder regionale jüdische Vergangenheit zu beschaffen.
In Halberstadt hatte der mutige Heimatchronist Werner Hartmann schon zu DDR-Zeiten Material gesammelt, von dem er sogar 1988 schon etwas veröffentlichen durfte. In seiner Heftreihe Juden in Halberstadt erwähnt er Berend Lehmann sehr bald, verständlicherweise recht pauschal und auf Auerbach basierend, als bedeutenden fürstlichen Geldbeschaffer und als Gemeindewohltäter. 1996 kann er sodann auf einen längeren Text zurückgreifen, unglücklicherweise den des eben erwähnten „Panegyrikers“ Manfred R. Lehmann.
In einem seriöser angelegten Sammelband über die jüdische Geschichte in Sachsen-Anhalt von 1998 schreibt der Germanistikprofessor Michael Schmidt einen 13-seitigen Beitrag über Lehmann, Hofjude ohne Hof. Er akzeptiert voll das Gegensatz-Klischee Jud Süß/Berend Lehmann und, statt sich etwa auf die Recherchen Sterns und Schnees zu beziehen, nimmt er bedauerlicherweise Mutmaßungen Savilles als das Ergebnis von „sorgfältigen Quellenstudien“.82 Der erfolgreiche Erwerb der polnischen Königskrone für August den Starken wird nämlich hier ausnahmsweise einmal nicht auf Lehmanns Finanzierungskünste zurückgeführt, sondern auf „eine[...] der Diplomatie des Abbé [des französischen Botschafters Polignac] überlegene[...] diskrete[...] Rhetorik [...], mittels deren es ihm [Berend Lehmann] gelang, das Vertrauen der einflussreichen Danziger Bankiers zu gewinnen.“83
Schmidt reiht sich damit unter diejenigen Lehmann-Biographen ein, die den gewiß nicht kleinen politischen Einfluss des Hofjuden überschätzen.
Jutta Dicks Berend-Lehmann-Kurzbiographie für die Festschrift zur Eröffnung des Dresdner Synagogenneubaus, drei Jahre nach Schmidt geschrieben84, beruht auf den älteren Standardwerken; sie enthält aber in bewundernswerter Komprimierung eine große Menge Informationen, und zwar sowohl Fakten (von denen manche überholt sind)85 wie Legenden (die man nicht immer als solche klar genug erkennt).86
Sie äußert aber – entgegen Marcus und Manfred R. Lehmann, Stern und Schmidt – Zweifel an der Bescheidenheit und dem unauffälligen Bürgerleben des Residenten, indem sie auf einen aufwendig geschmückten Pokal hinweist, dessen symbolische Darstellungen den Auftraggeber Berend Lehmann als Teil der biblischen Geschichte erscheinen lassen wollen. Auch weist sie auf die Gefährlichkeit der Tradition hin, nach welcher der zurückhaltende Berend Lehmann dem hochmütigen Jud Süß oder gar seinem angeblich angeberischen Schwager Jonas Meyer entgegengesetzt wird. Insofern öffnet ihr Beitrag den Blick auf einen kritischen Neuansatz in der Betrachtung des Residenten.
Ein ähnlich klingender Hinweis auf „a degree of hubris on [Berend Lehmann’s] part“ im Katalog der New Yorker Hofjuden-Ausstellung von 199687 stellt sich bei näherem Zusehen als Fehlinterpretation des Levitensymbols eines Lammes auf dem Frontispiz der Lehmannschen Talmudausgabe von 1697−1699 heraus: Mann und Cohen interpretieren es als einen Bären und meinen, es sei sein Wappentier, der Talmud also sozusagen eine Leistung Issachar Bär-manns.
Der Katalog dieser repräsentativen Ausstellung bringt im übrigen keine über die gängige Literatur hinausgehenden Informationen, die dem Bild Lehmanns irgendetwas Neues hinzufügen würden.
Die Dresdner Online-Zeitschrift medaon veröffentlichte 2007 einen Aufsatz der jungen Historikerin Cathleen Bürgelt über Berend Lehmann, der offenbar auf ausführlicher Lektüre der einschlägigen Literatur beruht. Da Bürgelt aber nur das antisemitisch gefärbte Hofjudenbild Schneescher Prägung kritisiert, im Übrigen aber die alten Elogen über den Residenten wiederholt, ohne die Rezeptionsprobleme zu reflektieren, kann der Beitrag nur als eine erste Information über Lehmann und als Literatursammlung gelten.88
Lucia Raspe
Die an der Universität Frankfurt forschende und lehrende Judaistin Lucia Raspe hat in einem 2002 verlegten Sammelband über den Stand der Hofjudenforschung einen knapp gefassten Aufsatz über Berend Lehmann als Gründer und Stifter der Klaus, als Mäzen der ersten deutschen Talmudausgabe und als Finanzier der berühmten Halberstädter Barocksynagoge geschrieben. Dessen Fußnotenapparat verzeichnet konzentriert einen Großteil der bisherigen Berend-Lehmann-Literatur, und vor allem bewertet er sie.
Raspe vergleicht darin die tradierten Legenden mit den juristischen und geschäftlichen Fakten, wobei auch nach der von ihr vorgenommenen Entmythologisierung ein höchst positives Image des Residenten bestehen bleibt. Sie lobt dabei vor allem die Vorausschau, mit der Lehmann seine Stiftung nicht auf seine Familie, sondern auf die Halberstädter Gemeinde als Institution von einigem Bestand fokussiert hat. Zusammen mit einer klugen Politik des neoorthodoxen Kuratoriums im 19. Jahrhundert, welche trotz großer Versuchungen diesem gemeinnützigen Prinzip treu geblieben ist, konnte – wie Raspe darlegt – in der Tat das Erbe des Residenten bis zum nationalsozialistisch verursachten Ende der Gemeinde lebendig weiterwirken.
Entscheidend für die Frage nach dem sich wandelnden