Berndt Strobach

Privilegiert in engen Grenzen


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„möglichen“ Ahn ein Kapitel von einigen Seiten.75 Er bezeichnet ihn großzügig als „the greatest of the court Jews [...]“ und hält den Residententitel für einen „ambassadorial title“. Vom Babylonischen Talmud habe es praktisch keine Exemplare mehr gegeben, und so sei es Berend Lehmann mit seiner Neuausgabe gelungen „to single-handedly save the perpetuation of Torah learning. [...] There can be no doubt that without Behrend Lehmann, Judaism would have died out in Germany.”

      Das Netz verwandtschaftlicher Verbindungen, das die europäischen Hofjuden des späten 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts durch gegenseitiges Einheiraten geknüpft hatten, hält Manfred R. Lehmann für eine Schöpfung des Residenten und behauptet:

      Diese maßlose Übertreibung setzt der von Lucia Raspe so genannten „Berend-Lehmann-Panegyrik“ die Krone auf. Wie der Zusammenhang seines Bekenntnisbuches zeigt, benutzt Manfred R. Lehmann in einer Zeit schwindenden Herkunftsbewusstseins den Halberstädter Hoffaktor als Ikone vorbildlichen Judentums.

      Einige Nach-Wende-Publikationen

      Als in den neuen Bundesländern nach 12 Jahren nationalsozialistischer und 45 Jahren kommunistischer Herrschaft erstmalig wieder offen über deutsch-jüdische, jüdisch-deutsche Geschichte informiert werden durfte, galt es, schnell Nachrichten über die jeweilige lokale oder regionale jüdische Vergangenheit zu beschaffen.

      In Halberstadt hatte der mutige Heimatchronist Werner Hartmann schon zu DDR-Zeiten Material gesammelt, von dem er sogar 1988 schon etwas veröffentlichen durfte. In seiner Heftreihe Juden in Halberstadt erwähnt er Berend Lehmann sehr bald, verständlicherweise recht pauschal und auf Auerbach basierend, als bedeutenden fürstlichen Geldbeschaffer und als Gemeindewohltäter. 1996 kann er sodann auf einen längeren Text zurückgreifen, unglücklicherweise den des eben erwähnten „Panegyrikers“ Manfred R. Lehmann.

      Schmidt reiht sich damit unter diejenigen Lehmann-Biographen ein, die den gewiß nicht kleinen politischen Einfluss des Hofjuden überschätzen.

      Sie äußert aber – entgegen Marcus und Manfred R. Lehmann, Stern und Schmidt – Zweifel an der Bescheidenheit und dem unauffälligen Bürgerleben des Residenten, indem sie auf einen aufwendig geschmückten Pokal hinweist, dessen symbolische Darstellungen den Auftraggeber Berend Lehmann als Teil der biblischen Geschichte erscheinen lassen wollen. Auch weist sie auf die Gefährlichkeit der Tradition hin, nach welcher der zurückhaltende Berend Lehmann dem hochmütigen Jud Süß oder gar seinem angeblich angeberischen Schwager Jonas Meyer entgegengesetzt wird. Insofern öffnet ihr Beitrag den Blick auf einen kritischen Neuansatz in der Betrachtung des Residenten.

      Der Katalog dieser repräsentativen Ausstellung bringt im übrigen keine über die gängige Literatur hinausgehenden Informationen, die dem Bild Lehmanns irgendetwas Neues hinzufügen würden.

      Lucia Raspe

      Die an der Universität Frankfurt forschende und lehrende Judaistin Lucia Raspe hat in einem 2002 verlegten Sammelband über den Stand der Hofjudenforschung einen knapp gefassten Aufsatz über Berend Lehmann als Gründer und Stifter der Klaus, als Mäzen der ersten deutschen Talmudausgabe und als Finanzier der berühmten Halberstädter Barocksynagoge geschrieben. Dessen Fußnotenapparat verzeichnet konzentriert einen Großteil der bisherigen Berend-Lehmann-Literatur, und vor allem bewertet er sie.

      Raspe vergleicht darin die tradierten Legenden mit den juristischen und geschäftlichen Fakten, wobei auch nach der von ihr vorgenommenen Entmythologisierung ein höchst positives Image des Residenten bestehen bleibt. Sie lobt dabei vor allem die Vorausschau, mit der Lehmann seine Stiftung nicht auf seine Familie, sondern auf die Halberstädter Gemeinde als Institution von einigem Bestand fokussiert hat. Zusammen mit einer klugen Politik des neoorthodoxen Kuratoriums im 19. Jahrhundert, welche trotz großer Versuchungen diesem gemeinnützigen Prinzip treu geblieben ist, konnte – wie Raspe darlegt – in der Tat das Erbe des Residenten bis zum nationalsozialistisch verursachten Ende der Gemeinde lebendig weiterwirken.