Michaela Santowski

Brich mein Herz


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nicht.“

      Zum zweiten Mal an diesem Tag sah es aus, als würde er sie einfach stehen zu lassen. Bevor sie darüber nachdenken konnte, legte Larissa ihre Hand auf seinen Arm. „Aber ich trinke gerne Sekt.“

      Nico wandte sich ihr wieder zu und reichte ihr das Glas erneut, das sie diesmal ergriff. Sie warf ihm einen verführerischen Blick zu, während sie langsam ihre Sonnenbrille wieder nach oben schon. „Ich hatte gehofft, dass du wiederkommst.“

      Nico betrachtete sie schweigend. Er war gut einen Kopf größer als sie. Der intensive Blick, mit dem er sie musterte, machte sie unsicher. Und das mochte sie gar nicht.

      „Was starrst du mich so an? Habe ich einen Fleck im Gesicht?“

      „Du bist wunderschön, Lara.“

      Larissa warf den Kopf in den Nacken und lachte, um ihre Unsicherheit zu verbergen. Nico machte sie eindeutig nervöser als andere Männer das je getan hatten.

      „Das habe ich schon öfter gehört. Und nochmal, mein Name ist Larissa.“

      „Es gibt Dinge, die kann eine Frau nicht oft genug hören“, ignorierte er ihre Bemerkung.

      „Das stimmt.“ Ihre Stimme klang wie ein Schnurren.

      Nico verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“ Er machte Anstalten, zu gehen.

      „Wo willst du denn hin? Die Party hat doch gerade erst angefangen.“

      „Das stimmt. Aber ich muss morgen früh aufstehen.“

      „Warum das? Es ist Sonntag.“

      „Ich muss arbeiten.“

      „Was arbeitest du denn?“ Sie runzelte die Stirn. Da lernte sie endlich mal einen Mann kennen, der kein Student mehr war, und dann hatte er einen Job, bei dem er so wenig Geld verdiente, dass er am Wochenende einen weiteren Job ausüben musste. Verdammt! Irgendwie hatte sie einfach kein Glück mit den Männern.

      Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte dich nicht langweilen. Genieß die Party, Lara!“ Damit ging er endgültig.

      „Mein Name ist Larissa!“, rief sie ihm ärgerlich hinterher. „Ignorant“, murmelte sie.

      „Wer war das denn?“ Ihr Bruder trat neben sie und blickte Nico hinterher.

      „Jemand, der anscheinend nicht versteht, was ich sage!“

      „Hört, hört. Ein Mann, der nicht an den Lippen meiner Schwester hängt.“

      „Und sie bereits das zweite Mal hat stehen lassen“, mischte sich Mareike ein, die hinter ihr auftauchte.

      „Wer hat euch denn gefragt?“ Larissa ließ die zwei stehen.

      „Schön, dass du noch gekommen bist“, sagte Mareike an Samuel gewandt.

      Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie kameradschaftlich an sich. „Klar. Ich liebe Studentenpartys.“

      Mareike, deren Herz so laut schlug, das sie sich sicher war, er würde es hören, gab sich betont gelassen. „Im Gegensatz zu Larissa. Sie wäre lieber auf einer Dinner Party.“

      „So kennen wir sie.“

      „Wie können Geschwister nur so unterschiedlich sein?“

      Samuel lachte auf. „Eigentlich ist Larissa gar nicht so, wie sie sich in der Öffentlichkeit gibt. Da wir beide das genau wissen, kann sie froh sein, uns zu haben.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Und jetzt folge mir zum Buffet, holde Maid. Ich verhungere gerade.“

      „Guten Morgen, Hübscher“, begrüßte Paula Nico als er das Büro betrat. „Ich hoffe, du hattest einen schönen Samstag. Der Sonntag wird nämlich anstrengend. Hier ist die Hölle los.“

      Nico zog die etwa sechzigjährige Frau in eine sanfte Umarmung und entgegnete: „Mit einer Tasse von deinem extra für mich aufgebrühten Kaffee kann mir gar nichts passieren.“

      „Charmeur“, murmelte Paula und boxte ihm spielerisch gegen den Arm, bevor sie ihm den bereits eingeschenkten Kaffee reichte.

      Nico strich sich mit der freien Hand durch die Haare. Er war zu früh dran, hatte nicht wirklich gut geschlafen. Immer wieder sah er grüne Augen und rote Haare vor sich. Irgendwann hatte er dann aufgegeben und war zum Confianza gegangen. Das Confianza war eine Auffangstation für Straßenkids. Obwohl niemand vom Personal es je als Auffangstation bezeichnet hätte. Es war eine dreistöckige Villa mitten in Wiesbaden, die die Streetworker von einem unbekannten Gönner geerbt hatten. Im Keller waren die Büros fürs Personal. Im Erdgeschoss hatte man den Speiseraum, die Küche, ein Spielzimmer mit Billardtisch, Dartscheibe, Flipperautomaten und Tischkicker und insgesamt vier Toiletten mit teilweise Duschen eingerichtet. Die anderen drei Etagen bestanden aus Einzel oder Doppelzimmer, in denen die Kids Zuflucht finden konnten. Den Dachboden hatten sie ausgebaut und mit Matratzen ausgelegt. Insgesamt konnten sie fünfzig, wenn sie zusammenrückten auch sechzig Jugendliche aufnehmen. Das reichte zwar bei weitem nicht, war aber immerhin ein Anfang. Die einzige Regel: keine Waffen, keine harten Drogen. Alkohol in Maßen war erlaubt. Man konnte nicht erwarten, dass die Jugendlichen auf alles verzichteten, nur, um einen Schlafplatz zu haben. Da waren sie realistisch. Aber bei Kokain, Heroin und Schlimmerem hörte der Spaß auf.

      „Mein Samstag war interessant“, beantwortete Nico die Frage und stellte die Tasse auf seinen Schreibtisch. „Ich arbeite an einem neuen Projekt.“

      „Du arbeitest zu viel. Männer in deinem Alter sollten eine hübsche junge Frau an ihrer Seite haben, die sie den ganzen Stress hier vergessen lässt.“

      „Mach dir keine Sorgen. Mein neues Projekt ist eine hübsche junge Frau, die leider völlig verwöhnt und arrogant ist. Ich denke, ein Einblick in das wahre Leben könnte ihr nicht schaden. Und was meinen Job und den Stress, den er mit sich bringt, angeht: ich arbeite sehr gerne hier. Wenn wir nur eine Einzige retten können, ist das jeden Stress wert.“

      „Du bist zu gut für diese Welt.“

      „So wie du. Du machst das immerhin schon fast dreißig Jahre.“

      „Ja, ja, wir müssen unseren Beruf wirklich lieben“, seufzte Paula.

      „Das tun wir. Und dein Kaffee macht ihn noch erträglicher.“ Nico zwinkerte ihr zu und stellte amüsiert fest, dass Paula rot wurde. Schnell verließ sie sein Büro.

      Nico setzte sich und nahm sich Astrids Akte vor, eine Zwölfjährige, die niemals wirklich eine Chance gehabt hatte. Ihre Mutter war bereits drogenabhängig, als sie mit Astrid schwanger wurde. Der Vater war unbekannt. Astrid verdankte ihr Leben einer aufmerksamen Nachbarin, der aufgefallen war, dass „die Nutte“ von nebenan nicht mehr fett war. Sie hatte das Jugendamt benachrichtigt, und die hatten das Baby fast verhungert und verdurstet, völlig verdreckt aus der Wohnung geholt. Astrid geriet in die Mühlen der Bürokratie. Trotzdem hatte sie Glück. Man fand eine liebevolle Pflegefamilie. Astrids Pech war, dass ihre Mutter, als Astrid gerade sechs war, ihren Anspruch auf ihre Tochter geltend gemacht hatte. Sie absolvierte erfolgreich ein Entzugsprogramm. Astrid kam zurück zu ihrer Mutter. Nico wurde immer noch schlecht, wenn er darüber nachdachte, dass so etwas rechtens war. Aber da Astrids Mutter nie auf ihr Sorgerecht verzichtet hatte, konnte ihre Pflegefamilie nichts machen. Obwohl sie es weiß Gott versucht hatten. Das ganze ging ein halbes Jahr gut. Dann erlitt Astrids Mutter einen Rückfall. Mittlerweile war Astrid acht Jahre alt und in den Augen ihrer Mutter eine gute Geldquelle. Sie verkaufte ihre Tochter an Freier. Nico wollte sich gar nicht vorstellen, was die Kleine alles durchgemacht hatte. An ihrem zehnten Geburtstag war Astrid schließlich abgehauen und schlug sich seitdem auf der Straße durch. Eine Freundin hatte ihr vom Confianza erzählt. Eines Tages stand Astrid vor der Tür. Nico hatte Dienst an diesem Tag. Er ließ sie rein, setzte sich mit ihr in die Küche, trank einen Kaffee und stellte keine Fragen. Astrid musterte ihn nur, stand auf und ging. Aber sie kam wieder. Es dauerte zwei Wochen, bis sie überhaupt mit Nico sprach.

      „Du