Björn Ludwig

Krankes ICH


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      „J-ja... was mussisch dun..? mir iss so schlecht...“

      „Kein Wunder, du Idiot. Was musst du dich auch so sinnlos besaufen wie ein Vieh... Whiskey trinkt man eigentlich gemütlich und in vorgewärmten Gläsern, abends am Kamin. Dafür sollte man sich Zeit nehmen, und nie mehr als 2 cl, hörst du? Das war eine kranke Sache, die du da heute Vormittag abgezogen hast, verstehst du? Eigentlich hättest du heute Janina P., die Witwe des Erschossenen, aufsuchen sollen, aber ich kann dich ja wohl kaum in deinem Zustand dort hin schicken. Dazu ist die Sache viel zu brisant und erfordert höchste Aufmerksamkeit. Du warst eigentlich dran. Erinnerst du dich an die Mordsache Paulsen? Da hab ich’s dem Ehemann verklickern müssen. Jetzt ist es eine Ehefrau, der ich es sagen muss. Nach ersten Erkenntnissen ist sie gleichsam eine Verdächtige... mein Gott Werner, ich möchte mich so gern auf dich verlassen können... aber ich kann mich einfach nicht mehr auf dich verlassen... das ist heute deine allerletzte Chance, be-greifst du das?“

      Pfeffer nickte die ganze Zeit brav.

      Er war sich dunkel bewusst, welche Schmerzen er dieser Frau innerhalb der letzten acht Jahre zugefügt haben muss und war nun fanatisch dazu bereit, alles wieder gut zu machen, mit einem gewaltigen Schlag, den ihm niemand mehr zutrauen würde, der ihm aber dennoch gelingen würde... wie in Rocky Teil 1,2,5 und 6. So hoffte er.

      Petra sprach weiter:

      „Nach dieser Sache hier bist du aber zwei Mal dran mit den Todesnachrichten, ja?“

      Wow, dachte Werner Pfeffer, sie plant wieder mit mir.

      „Was muss ich tun?“

      „Pass auf, du musst was essen, am besten etwas Deftiges mit Fleisch, dann musst du Espresso trinken und unbedingt duschen!“

      „Duschen?“

      „Ja natürlich, was denn sonst, du riechst schlimmer als ne sieben Tage alte Leiche!“

      Werner lachte, Petra nicht.

      Pfeffer antwortete: „Wer innerlich in Whiskey schwimmt, der niemals eine Dusche nimmt.“

      „Bist du jetzt unter die Lyriker gegangen? Woher hast du das?“

      „Hab ich mir grad ausgedacht.“

      „Blödmann.“

      „Danke“ murmelte er noch, bevor ihn abermals der Schlaf der Trunkenen übermannte.

      Die Kriminalhauptkommissarin startete den Wagen und fuhr los. Dieses Mal in Richtung Mitte, in die Ackerstraße, wo Werner Pfeffer in einer winzigen Einzimmerwohnung hauste. Da sie den ihr verhassten Alexanderplatz umfahren wollte, fuhr sie über Friedrichstraße, obwohl diese immer dicht war, zu jeder Zeit. Aber es war eine schöne Straße mit einer schier unfassbaren Geschichte. Auch der soziographische Verlauf dieser Straße war eigentlich unfassbar. Von Süden angefangen, am Kreuzberger Mehring-Platz, befand man sich in einer trostlosen Neubauwelt, wo Arbeitslosigkeit, vor allem aber der Mangel an Perspektiven und Alternativen oftmals in brutaler Gewalt mündete. Dort fuhren sie oft Einsätze. Die eigentliche Friedrichstraße, welche nur 1.5 Kilometer weiter nördlich mit mondänen Einkaufstempeln wie zum Beispiel dem Lafayette aufwartete, war für die im südlichsten Teil der Friedrichstraße ansässigen Bewohner Lichtjahre entfernt. Sie konnten wohl dort hin laufen, nach Norden, keine Frage, aber ihre Kaufkraft war dort nicht gefragt. Sie hatten keine Kaufkraft. Sie mussten sich an den Auslagen der Schaufenster ergötzen, die meisten von ihnen jedenfalls. Der Verlauf der Friedrichsstraße war gleichsam ein Querschnitt des Berliner Sozialstrukturatlanten – eine kurze Reise durch alle sozialen Schichten und durch alle nur erdenklichen Milieus.

      In Höhe des Kulturkaufhauses Dussmann dachte Petra Müller sehnsüchtig, fast schon wehmütig an das Wochenende, welches noch so unendlich weit entfernt zu sein schien. Sie liebte es, sich mit ihrem Mann durch die drei Etagen des Kaufhauses durch zu schmöckern, einzulesen, einzuhören, dem Schönen zu frönen gewissermaßen. Um am Ende dann – nach zwei oder drei schöngeistigen Stunden – ihre Kreditkarten zu belasten. Reiseliteratur und Fachliteratur (Psychologie, Kriminologie, Garten und Haus etc.), standen bei den Eheleuten genauso hoch im Kurs wie Psychothriller, die ein gewisses Niveau erreichten (und nicht unbedingt in jeder Bahnhofshalle der Welt zu kaufen waren), sowie klassische Musik. Werner Pfeffer schien in Höhe der Invalidenstraße kurz aufzuwachen und brabbelte irgendetwas von Petra be the one! Sie nahm ihn schon gar nicht mehr Ernst.

      Hauptsache, er funktionierte demnächst.

      Das war die Hauptsache. Denn sie steckten mitten in einem Fall, der sehr unangenehm werden könnte.

      Sehr, sehr unangenehm.

      Sie bog rechts in die Ackerstraße ab, vorbei an der historischen Ackerhalle und parkte in zweiter Spur.

      „Pfeffer, aufwachen!“ sagte sie sehr laut und trocken und ohne Mitgefühl, wie sie hoffte. Pfeffer erwachte, schnaufte, hustete, und fragte wiederum: „Was soll ich tun?“

      „Essen, Anti-Alkoholische Getränke zu dir nehmen, duschen, Espresso trinken... und dann um 15 Uhr in ein Taxi steigen, das dich ins Urban Krankenhaus bringt, zu Nils Choi.“

      „Okay, Schatz, wo sind wir eigentlich?“

      „In der Ackerstraße.“

      „Endlich. Kommst du noch mit rauf?“

      „Nein.“

      „Ich könnte...“

      „Die Antwort lautet NEIN!“

      „Okay.“

      Er wagte nur einen seitlichen Blick auf das Gesicht der Kriminalhauptkommissarin, welches jetzt hart und entschlossen wirkte. Er öffnete die Tür, und als er einen Fuß auf den Bürgersteig setzte, strauchelte er schwer, denn sein rechtes Bein war bis zur Kniekehle eingeschlafen. Er versuchte das zu kaschieren, indem er laut über die Hundekacke fluchte, die hier angeblich überall herumläge, aber dieser aufgesetzte Hokuspokus war nur allzu durchschaubar. Die Ackerstraße war eine extrem gepflegte Straße, das wusste natürlich auch Petra. Hier gab es überhaupt keine Hunde. Werner Pfeffer drehte sich noch einmal herum und sagte „Du kannst dich auf mich verlassen, Petra.“

      „Beweise es mir“, sagte sie halblaut, startete den Motor und gab Gas. Viel Gas.

      Jetzt ist sie weg, sinnierte Pfeffer, von einer plötzlichen, alles in den Schatten stellenden Übelkeit geplagt. Das ist das Ende... Kalter Schweiß trat auf seine Stirn und ein lang anhaltender Stich in der Herzgegend erinnerte ihn brutal an die allzu menschliche Vergänglichkeit. Das ist das Ende, oh Gott... Er taumelte gegen den erstbesten Edelholztürrahmen und stützte seinen schwachen schweren Körper etwa eine Minute lang in einem statisch fragwürdigen Balanceakt. Für seinen Schwächeanfall hatte er sich ausgerechnet ein italienisches Feinschmecker Restaurant ausgesucht, in dem sogar Tom Cruise schon mal gespeist hat. Es dauerte auch nicht lange, da erschien ein pikierter livrierter Kellner und fragte mit gespielter Höflichkeit: „Sie wünschen?“

      Pfeffer gelang es, dank seiner doch irgendwo in seiner Substanz verhafteten Willensstärke, sich nicht zu übergeben. Stattdessen zog er seine Marke und eröffnete dem Kellner. „Ich ermittle – stören sie mich nicht!“

      Eine Mutter mit Kind querte die Szenerie; das Kind, eine etwa fünfjährige Göre mit schiefem Pony und Nerd-Brille merkte an: „Schau mal Mama, dieser Penner da!“

      Das war der Tiefpunkt. Der absolute Tiefpunkt. Entweder das ist das Ende, oder der Anfang.

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