Björn Ludwig

Krankes ICH


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von unterschiedlicher Hautfarbe und von unterschiedlichem Gemüt. Nur eines hatten sie gemeinsam, und zwar die Ablehnung gegen den Bullen, der ihr Vater war. Was sollte Werner Pfeffer also tun? Er bestellte einen dritten Jameson, ohne alles, pur.

      Vorerst.

      Er wurde langsam betrunken, ob der frühen Uhrzeit, denn er war kein Alkoholiker, seiner Meinung nach. Er fragte den Barkeeper: „Weißt du eigentlich, dass da draußen, schräg gegenüber, eine Leiche liegt, mit nem riesigen Loch im Schädel? Erschossen? Wahrscheinlich mit nem Jagdgewehr erledigt wie irgend so ne Sau? Hä, weißt du das?“

      Der junge Mann reagierte zunächst gar nicht und es war nicht sofort klar, woran das lag. Entweder er wollte Werner Pfeffer komplett ignorieren, oder aber dessen Worte drangen aus rein akustischen Gründen nicht durch GUNS N’ ROSES relativ neues chinese democracy-Album, was hier auf mindestens 110 Dezibeln lief. Im übrigen ein schwaches Comeback, wie Pfeffer fand, dafür, dass es vierzehn Jahre gedauert hat. Ha Ha!, lachte er bitter-süß.

      Nun reagierte der Barkeeper doch, er fragte: „Passt ihnen irgendetwas nicht?“

      Pfeffer war verwirrt. Er besaß offensichtlich noch nicht einmal mehr so viel an natürlicher Autorität, um einen etwa neunzehnjährigen, zickenbärtigen... Studenten?... zu beeindrucken...

      Das war vermutlich seinen hängenden Schultern geschuldet. Er sah aus wie einer, der aufgegeben hat. Kein Rückgrat mehr. Gebrochen, verloren, haltlos. Seine Fresse jedoch war großartig. Furchen, Bartstoppeln, Narben, eine leicht schiefe Nase und dazu noch matte, grau-grüne Augen, die viel zu viel gesehen hatten. Sein Körper war für sein Alter okay. Ähnelte einem ehemaligen Halb-Schwergewichtsboxer, der in die Jahre gekommen ist. Aber seine Körper-Haltung, die war gebrochen. Eingesunken und halb betrunken. 188 cm geschrumpft auf Säuglingsgröße, so fühlte er sich.

      Deshalb erfuhr er keinen Respekt von dieser Rotznase hier.

      Unwillkürlich streckte er sich, räusperte sich. Es war klar, jetzt musste etwas kommen, ein klassischer Vorstoß aus dem Hinterhalt. Oder ein überraschender Angriff von der Flanke her, von der Seite. Er fragte: „Kennst du DEGÜELLO?“

      Sofort schien der Barkeeper interessiert, er fragte zurück. „Meinen sie so ne Art Droge aus Mexiko?“

      Erst jetzt bemerkte Pfeffer, dass der Barkeeper ihn die ganze Zeit siezte, währenddessen er selbst stur beim du blieb. Vielleicht rührten ja daher die Animositäten und verletzten Eitelkeiten?...

      „Nee“, antwortete Pfeffer gelassen, denn er war weder bei der Sitte, noch bei der Drogenfahndung, also wurde er auch nicht hellhörig. Er war vom Morddezernat, ganz einfach. Er war ein Mordbulle. Im Grunde interessierte ihn auch nichts anderes. Außer vielleicht ZZ Top und seine Kinder. Und Petra Müller, aber das schob er jetzt bei Seite. Und Irish Whiskey natürlich, ja, das auch.

      „Nee nee, lass mal gut sein, Junge – DEGÜELLO ist bloß das beste Rhythm’ and Blues / Rock-Album aller Zeiten.“

      „Echt? Von wem?“

      „ZZ Top.“

      „Welches Jahr?“

      „Das kann ich dir sagen: 1979 – das gottverdammt beste Musikjahr aller Zeiten, Mann!“

      „Sie reden wie ein Typ von früher, aus dem Fernsehen, der hieß glaube ich Humphrey Bogart oder so...“

      Werner Pfeffer lachte schallend, und der Barkeeper stimmte mit ein, zum ersten Mal.

      „Ich hab die CD übrigens mit dabei“, frohlockte Pfeffer. Er trug die CD natürlich nicht immer in der Innentasche seines leichten, beigefarbenen Sommer-Saccos, jedoch wollte er sie heute ursprünglich einem Kollegen von der Mordkommission ausleihen. Das konnte er sich ja jetzt wohl abschminken, wie es schien.

      „Na gut, geben sie her“, sagte der Jüngling, blendete das Stück SCRAPED korrekt aus und ließ verlauten: „Jetzt bin ich aber mal gespannt“, bevor Billy Gibbons blusige Akkorde des Albumstarters I WANNA THANK YOU jegliche Zweifel über guten Musikgeschmack zerstreuten.

      „Ich glaub ich kenn ZZ Top“, meinte der Barmann, während er mit einem muffigen Lappen, der nach nassem Hund roch, nachlässig über die Theke wischte, „Ham die nich so Bärte?“

      „Ja, die Frontleute Dusty Hill und Billy Gibbons haben meterlange Bärte, Mann. Nur der Drummer hat keinen. Weißt du, wie der heißt?“

      „Nee.“

      „Frank Beard ! Ha Ha Ha Ha Ha! Ha Ha Ha Ha Ha!”

      Entweder der Barkeeper verstand den Witz nicht oder er war unter dessen Niveau. Jedenfalls verzog er nur leicht die linke Augenbraue. Pfeffer war es egal. Scheißegal. Solange ihm ZZ Top ein wenig Trost spendete, war er zufrieden. Er wurde sentimental, dachte an Petra Müller. Sie war die einzige Frau, die er kannte, die etwas mit ZZ Top anfangen konnte. Sie war sowieso einzigartig. Sanftmütig, weiblich, ein wenig mütterlich, tolerant, sensibel und doch – wenn es drauf ankam – hart wie ein Shaolin-Mönch. Oder Mönchin, müsste man sagen, dachte er. Gab es Mönchinnen? Und intelligent war sie... und... (es lief mittlerweile bereits Stück 4, A FOOL FOR YOUR STOCKINGS)... außerdem sah sie einfach geil aus, so’n richtiges Rasseweib, fand Pfeffer. Alles drum und dran an ihrem 168 cm großen Körper war einfach lecker, immer noch. Nicht so eine, bei der man sich alle Knochen bricht, wenn man mit ihr ins Bett steigt. Große und schwere Brüste... es gibt nichts Besseres... und auch fest... slawisches Feuer... yeah! sinnierte Pfeffer. Er war sich selbst nicht sicher, ob er diese erotischen Gedankenfetzen nicht sogar deutlich hörbar murmelte, er war scheinbar nicht mehr ganz bei Trost. Und auf einmal legte sich eine schwere, schier untröstliche Traurigkeit wie ein dicker schwarzer Wintermantel über seine Seele. Er dachte an ihre haselnussbraunen, gutmütigen Augen, an ihre langen und echten Wimpern, dann an den kräftigen Schwung ihrer relativ dunklen Augenbrauen, die so gut zum brünetten, halblangen Haar passten, welche sie im Dienst immer streng nach hinten zum Zopf bündelte... Und dann dieser leichte slawische Einschlag von großmütterliche Seite, der ihre Wangenknochen markant veredelte. Er konstatierte innerlich: Hätte mich die Petra damals nicht für diesen Hans Wurst verlassen, dann wäre alles anders gekommen... für einen Typen, der hauptberuflich Essen fotografiert, das darf doch wohl nicht wahr sein...

      Während Jameson Nr. 4 seine durstige Kehle hinunterrann, erfasste ihn eine heftige Reue. Warum hatte er sie bloß so derbe beschimpft, wieso? Wieso gerade sie? Er hatte sie unmöglich gemacht, vor allen Leuten. Erniedrigt. Schlimm war das, er war ein Scheusal. Ein gemeines Schwein.

      „Ich bin ein gemeines Schwein“, sagte er zum Barkeeper.

      „Wenn sie es sagen“, lautete die lakonische Antwort.

      In diesem Moment kam eine große falsche Blondine in den Laden gestöckelt, der Begrüßung nach zu urteilen die Freundin des jungen Mannes. Sie hatte etwa fünf Piercings im Gesicht und einen riesigen Indianerkopf auf ihrem kalkweißen linken Oberarm eintätowiert. Während die beiden sich inniglich umarmten und sich gegenseitig ihre Zungen in die Hälse stopften, bemerkte Pfeffer auch ihr klassisches Arschgeweih am unteren Rücken, Höhe L 5 und R 5, seinen beiden Bandscheiben-Sorgenkindern. Ne richtige Szenebraut, dachte Werner Pfeffer.

      „Schatz, da draußen haben sie einen erschossen.“, verkündete sie ihrem Freund. Und nun geschah psychologisch etwas äußerst interessantes in der Mimik des Barkeepers.

      Der leicht pikierte, stets etwas arrogante Gesichtsausdruck, den er auch während ihrer spärlichen Kommunikationsversuche zur Schau gestellt hatte, wich nun etwas anderem: Verblüffung und eine Spur von Angst huschten über sein junges Gesicht wie ein Schatten, der von einem ICE im Vorbeirasen an eine frisch sanierte Häuserfassade geworfen wird.

      „Hab ich dir doch gesagt.“

      Punkt für Pfeffer.