Björn Ludwig

Krankes ICH


Скачать книгу

      „Spar dir deine Entschuldigungen, wir haben zu tun... hast du getrunken?“

      „Ja.“

      „Das habe ich mir gedacht. Anders gefragt, bist du einsatzfähig, wenn ich fahre?“

      „Selbstverständlich! Bin ich also wieder im Dienst?“

      „Davon kannst du ausgehen, es wird aber Stress geben, wo bist du?“

      „Schräg gegenüber, ich kann deine fette Karre von hier aus sehen, mein Engel.“

      „Mach dich nicht interessant, komm schon, wo bist du, Werner?“

      „Im Alptraum 2, du kennst den Laden vom Sehen...“

      „Um Himmels Willen, in dieser Drogenhöhle?“

      „Du bist voller Vorurteile, Petra.“

      „Bin gleich da.“ Ihr 200 PS starker Motor startete bereits, ohne Zündschlüssel übrigens, sondern mit Power-Knopf wie bei einer Stereoanlage.

      „Ich liebe dich!“, schrie er noch in den Hörer.

      Die Antwort Ich dich nicht! hörte er nicht mehr, aber er interpretierte das Quietschen der Reifen, verursacht durch den unerhört starken Allradantrieb, als Juchzen in sein Ohr. Vielleicht wurde ja jetzt doch endgültig alles gut?, fragte er sich.

      Er knallte einen 50 Euroschein auf die Theke und sparte sich dieses Mal irgendwelche Abschlussworte, sondern ging einfach, schnurstracks und seltsamer Weise ohne zu wanken, aus dieser Bar hinaus.

      Draußen stand der anthrazitfarbene Super-Bullen-Wagen bereits, sauber abgestellt auf einem Behindertenparkplatz. War ja nicht von Dauer. Das Fahrerfenster sauste hinunter. „Steig ein, los!“

      „Ich komm ja schon.“ Das klang kleinlaut, zugegeben. Er umkurvte umständlich den Kuga, der die Ausmaße eines Range Rovers besaß, und stieg ein. Sofort sagte er: „Entschuldige Petra, es tut mir l...“

      „Ich bitte dich, spar dir das.“ Sie fuhr rasant an und mit etwas göttlichem Wohlwollen schaffte sie es noch über eine dunkelorangefarbene Ampel, um unmittelbar danach links in die Yorckstraße einzubiegen. Der Wagen lag wie ein T 34-Kampfpanzer auf der Straße und hielt sauber die Spur Richtung Hermannplatz. Pfeffer war beeindruckt.

      „Wohin fahren wir?“, fragte er, „bitte nicht nach Neukölln. Fahr mich nach Tegel, zum Flughafen!“

      „Du hast hier keine Ansprüche zu stellen, du Narr!“

      „Tschuldigung... aber wo fahren wir jetzt hin?“

      „Wir fahren ins Urban Krankenhaus und du übernimmst die Krankenzimmerüberwachung von Privatdetektiv Nils Choi. Er ist ein überaus wichtiger Zeuge und muss zunächst geschützt werden. Später muss er vernommen werden. Nils Choi ist ein...“ - an dieser Stelle, sie waren bereits in der Blücherstraße, entschied sie sich für das Blaulicht, um dem schier abartigen Verkehrsteilnehmerverbund Berlins zumindest ein ganz klein wenig mehr Respekt einzuhauchen.

      Ein wenig wirkte dies, ein wenig. Das war übrigens auch so ein Qualitätsmerkmal der Hauptkommissarin: Sie steigerte ihre Mittel immer kontinuierlich und sanft, anstatt alles gleich auf eine Karte zu setzen, so wie Werner Pfeffer es getan hätte. Werner wäre jetzt gleich mit Blaulicht, Sirene, Hupe und penetriertem Fernlicht losgefahren. Nicht so die Hauptkommissarin. Sparen, hoffen, warten, glauben, fest glauben, Geduld beweisen, analysieren, Intuition und Verstand gleichermaßen berücksichtigen, schweigen, ohne unter den Umständen ihres Berufslebens zu leiden oder gar zu verzweifeln – um dann im richtigen Moment zuzuschlagen! So wurden Fälle gelöst, so und nicht anders.

      Das waren übrigens nicht ihre eigenen Gedanken gewesen, nein, denn die Kriminalhauptkommissarin selbst blieb stets bescheiden. Es waren natürlich die Gedanken ihres Beifahrers. Der sie bewunderte und gleichermaßen begehrte und liebte. Dumm nur, dass es einseitig war.

      „... Nils Choi ist ein – wie gesagt – überaus wichtiger Zeuge und scheint auch ein seriös ermittelnder Privatdetektiv zu sein, auch wenn sein Name irgendwie unecht klingt... der scheint den direkten Draht zum Opfer und vielleicht sogar zum Täter zu haben, jedenfalls musst du dich an diesen Choi heften, unbedingt... hey, hörst du mir überhaupt zu?“

      „Aber claro, ich höre dir immer gern zu. Dein Akzent – dein zartes gerolltes „R“ und dein klein wenig österreichisch... ah, da schau her!“

      Die Kriminalhauptkommissarin rümpfte nun die Nase und reichte ihrem Kollegen ein Pfefferminzbonbon.

      „Hier, nimm das, du riechst wie eine komplette Fußballmannschaft nach der Meisterfeier.“

      „Ach, Fußballer vertragen doch nichts.“

      „Dann eben schlimmer!“

      Pfeffer nahm das Bonbon an. Dann faselte er weiter dummes Zeug. Er sagte:

      „Du fährst schlimmer, als die Polizei erlaubt, Petra... du hast da 200 PS unter deinem Luxushintern... kannst du überhaupt damit umgehen? Wollen wir nicht tauschen... du bekommst meinen 98er Opel Corsa, der hat immerhin 60 PS, und du gibst mir dieses Monster hier...“

      „Ich glaub’, die Sache mit meinem Wagen kratzt am stärksten an deinem männlichen Ego, kann das sein?“

      „Nein, das da mit dem Essen-Knipser...“

      „Werner, so kann ich nicht arbeiten, das geht so nicht. Ich bin bereit, mich für dich stark zu machen, aber ich kann keinen besoffenen Kerl gebrauchen, der in Selbstmitleid versinkt. Das geht einfach nicht. Wie viel hast du getrunken?“

      „Über ne halbe Flasche Jameson.“

      „Was ist Jameson?“

      „Irish Whiskey.“

      „Oh Gott, wie krank, um diese Uhrzeit... und du lallst noch nicht mal... Werner, du hast ein ernsthaftes Alkoholproblem, da musst du was tun. Sonst verlierst du deine fantastischen Sinne, die Grundlagen deiner Arbeit.“

      „Ich kann jeder Zeit aufhören.“

      „Stereotyp, passt ins Bild.“

      „Was?“

      „Ach, vergiss es“

      Sie waren da. Vor dem Haupteingang tummelten sich Süchtige auf Entzug, die mal eine rauchen durften, sowie Verunfallte in Rollstühlen und Gipsverbänden oder seelisch Erkrankte. Werner Pfeffer sah nicht viel anders aus, als eine skurrile Mischung aus allen drei geschädigten Fraktionen. Kurz überlegte Petra, ob sie den Kommissar nicht lieber doch in eine Ausnüchterungszelle stopfen lassen sollte. Er schnarchte bereits, war nicht einsatzfähig. Jetzt war rasches Handeln angesagt, Flexibilität. Sie rief im Präsidium in der Friesenstraße an und veranlasste, dass der Polizeibeamte Köhler die Überwachung von Nils Choi bis 15.30 Uhr übernehmen sollte. Um Punkt 15.30 Uhr würde dann Werner Pfeffer übernehmen. Sie verbürgte sich für Pfeffer.

      Sonst tat es keiner mehr.

      Absolut niemand.

      Werner schnarchte, Petra dachte angestrengt nach und ließ frische Luft in das verpestete Innere des Wagens. Ein paar Schwäne flogen tief über den Landwehrkanal Richtung Admiralsbrücke. Sie hatte Schwäne nie gemocht, weil sie einer mal gebissen hatte, als sie fünf war. Aber jetzt tat ihr dieser Anblick gut. Sie dachte an ihren Mann, an ihren letzten Urlaub im Bayerischen Wald... Ein brutales Martinshorn eines Rettungswagens riss sie aus ihren privaten Gedanken und Werner Pfeffer aus seinen Whiskeyträumen.

      „Werner?“

      „Ja?“

      „Ich gebe dir zweieinhalb Stunden Zeit, dich selbst irgendwie wieder