Björn Ludwig

Krankes ICH


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er argwöhnisch beäugt. Die Atmosphäre hatte sich deutlich verkrampft, was Pfeffer nicht störte. Er war leicht amüsiert und auf einmal zu Späßen aufgelegt, was man ihm äußerlich absolut nicht ansah. Die DEGÜELLO lief übrigens immer noch, nun bereits Stück Nr. 9, CHEAP SUNGLASSES. Offenbar traute sich der Barmann jetzt nicht mehr, die Auswurf-Taste des CD-Players zu drücken, obwohl seine Braut zwischendurch irgendetwas von ‚bekloppter Mucke’ gemurmelt hatte. Pfeffer ließ ihr das durchgehen, denn sie konnte ja bestimmt nichts für ihren schlechten Geschmack. Stattdessen ließ der Kommissar jetzt, passend zum Stück, seine 10 Euro-Sonnenbrille von Rossmann in seine Visage gleiten. Nun sah er wirklich finster aus. Noch übler als sonst. Der Brille - welche vorher noch unauffällig irgendwo in Pfeffers kurzem, vollem grauen Haar gesteckt hatte - sah man ihre mindere Qualität keineswegs an. Sie hätte auch ein teures Modell von Ray Ben oder Boss sein können, dem ersten Augenschein nach. Der Barmann räusperte sich, er wollte etwas sagen. „Stop!“, fauchte Pfeffer, „erst hören wir die CD fein zu Ende. ZZ Top waren nie berühmt für ihre besonders langen Scheiben, im Gegenteil. Diese hier – die beste von allen – hat nur 34.21 Minuten. So viel Zeit muss sein.“

      „Aber...“

      „Stop habe ich gesagt!“, brüllte Pfeffer und nun gingen mit ihm scheinbar alle Gäule durch. Er war unberechenbarer denn je, zumal jetzt offenbar der Alkohol die Kontrolle über sein eigentliches Wesen zu übernehmen schien.

      „Der Typ muss zum Arzt“, meinte die Blonde.

      „Ach ja? Ich glaube eher, ihr müsst gleich zum Arzt“, zischte er düster, stand auf, öffnete schwungvoll das Sakko und ließ seine Dienstwaffe, eine walther p 99, die sich eng an seine rechte Hüfte schmiegte, aufblitzen. Dies war ein Straftatbestand. Bedrohung unbewaffneter Personen und Amtsmissbrauch. Eventuell aufkommendes schlechtes Gewissen ertränkte Pfeffer aber sogleich in einem großzügigen Schluck Jameson. Er hatte sich wieder hingesetzt und sagte: „So – jetzt gib mir mal schön die ganze Flasche ohne Glas, und dann hören wir uns in aller Ruhe den letzten Song, ESTHER BE THE ONE an, bevor sich unsere Wege trennen.“

      Und so geschah es, denn für die beiden nun völlig verängstigten jungen Menschen war die Walther p 99 keine Dienstwaffe, sondern die Waffe eines Mörders, ganz klar. Werner Pfeffer hatte eine derart schwere Verfehlung noch nie getan. Die disziplinarischen Konsequenzen, die sich aus diesem Tatbestand noch ergeben sollten, lagen für ihn Lichtjahre entfernt. In seiner momentanen Welt war das privates Pille-Palle, und überhaupt, er war ja ohnehin suspendiert, da konnte er ja wohl auch mal ein bisschen durchdrehen, wie fast alle anderen in dieser verrückten Stadt auch! Und außerdem, die beiden waren doch auch völlig breit, zugedröhnt bis zur Halskrause, oder?

      Wenn Gott in diesem Raum gewesen wäre, so hätte er ihn in jenem Moment zurechtgewiesen mit den Worten: Nein, Kommissar Werner Pfeffer, du irrst, diese beiden jungen Menschen sind vollkommen nüchtern.

      Aber Gott war nicht hier.

      Das letzte Stück war fast verklungen, da vibrierte es in seiner vorderen rechten C&A-Buntfalten-Hosentasche. Er öffnete sein vorsintflutliches Motorola-Handy und erkannte auf seinem kleinen Display zweimal verschwommen den Namen Petra. Er fokussierte seine bereits schielenden Augen noch einmal mit aller Willenskraft und konstatierte dankbar: PETRA

      Ja, bitte, hol mich raus aus dieser Hölle, murmelte er und nahm ab.

      Was er – obwohl er ansonsten eine fast neurotische Bullen-Wahrnehmung hatte – dieses Mal keineswegs bemerkte, war das leicht zitternde Sony-Ericsson-Auge, welches auf ihn gerichtet war. Das Auge der Gerechtigkeit. Die Blonde machte drei Fotos. Seine Walther p 99 war ansatzweise auf einem der Fotos zu erkennen. Er sah aus wie ein übler Gangster, keinesfalls wie ein Kommissar. Eher wie ein Mafioso, der gerade jemanden umgelegt hatte und nun Luigi anrief um ihn zu fragen, ob er nicht vielleicht Bock hätte, ne Leiche wegzuschaffen. Durch und durch unseriös, gemein und durchtrieben. So sah er auf den Bildern aus. Gemeinsam mit den nüchternen Aussagen des Paares sollte dies reichen, ihn aus Amt und Würden zu kicken.

      Man bedroht keine unschuldigen Leute mit der Waffe, das tut man einfach nicht.

       5

      Petra Müller, geborene Hüttenberger aus Passau, steckte mitten in einem Dilemma an diesem strahlenden September-Vormittag. Einerseits konnte sie diese bodenlose Frechheit, die Werner Pfeffer ihr an den Kopf geknallt hatte, noch dazu vor all den Leuten, niemals durchgehen lassen. Deshalb auch die mündliche Suspendierung, die eigentlich keine Substanz hatte, denn das funktionierte anders, schriftlich, auf dem Dienstwege... Andererseits mochte sie den Menschen Pfeffer von ganzem Herzen, wenn dieser einigermaßen bei sich war. Liebe empfand sie nicht mehr für ihn, aber große Zuneigung und so etwas wie Mit...gefühl. Außerdem war er ein großartiger Bulle, ein Bluthund, dem man nur einmal eine hunderttausendfach verdünnte Geruchsspur unter die Nase reiben musste, und schon nahm er die Spur auf. Wie auch immer. Und in 90% aller Fälle von Erfolg gekrönt, ein Natur-Bulle, gewissermaßen. Sein Lebenswandel jedoch war unstet, ungesund, seit jeher. Etwas Dunkles, Destruktives schlich sich immer dann in sein Gemüt, wenn er die Chance dazu hatte, dass alles Gut werden würde. Ein ganz unheimlicher und unbegreiflicher Mechanismus, wie Petra Müller fand. Zum Beispiel hatten sie damals, vor acht Jahren, einmal eine traumhaft schöne Woche zusammen auf Zypern verbracht. Im Hotel Aphrodite, in der Nähe der gleichnamigen Quellen an der Süd-West-Küste. Alles war geheim, keiner ihrer Kollegen wusste davon.

      Was zusätzlich einen besonderen Reiz auf sie beide ausübte. Damals hatte sie ihn geliebt, ja, das kann sie sagen. Er war einfühlsam und auch gut im Bett, ließ sich immer etwas einfallen. Der Sex mit ihm war richtig gut und erfüllend. Sie kam immer, manchmal mehrfach hintereinander. Und das ist wohl mehr, als die meisten Frauen in den meisten Beziehungen von sich behaupten können, seien wir doch mal ehrlich. Oder? Vielleicht bin ich ja auch im Unrecht, ich hatte ja noch nicht so viele Männer, nur 4 Stück. In jenem weit entfernt liegenden Urlaub jedenfalls war am letzten Abend (an welchem sie sich eigentlich schon für ein Leben mit Werner entschieden hatte), etwas vorgefallen, was sie zurückschrecken ließ. Es geschah in einer kleinen Diskothek in dem kleinen pittoresken Fischerdorf Polis. Bis nach Mitternacht schienen die Sterne für sie beide, für eine gemeinsame Zukunft, zu leuchten. Aber dann geschah etwas Unfassbares. Ein harmloser, leicht angetrunkener US-Amerikanischer Tourist hatte sie auf der Tanzfläche ein wenig angeflirtet, vielleicht auch ein wenig angetanzt, mehr nicht. Werner Pfeffer war daraufhin urplötzlich, wie aus dem Nichts, komplett ausgerastet und hatte sich wie ein wild gewordener Rottweiler auf den jungen Mann gestürzt und ihn krankenhausreif geschlagen. Das wurde nie aktenkundig, aber Geld floss reichlich. An das Krankenhaus, an die zypriotische Polizei, an das Opfer. Schmiergeld. Petra Hüttenberger hatte ihm finanziell ausgeholfen, da Werner damals schon notorisch pleite war.

      So etwas wollte Petra Hüttenberger nicht haben, nein, das ging nicht, ließ sich nicht vereinbaren mit ihrer Vorstellung von Liebe und Vertrauen. Dieses unberechenbare Biest in Werner Pfeffers Seele gehörte eigentlich therapiert. Zurück in Berlin, lieferte eine von ihr konsultierte Betriebspsychologin (der Name Werner Pfeffer wurde nie genannt, er lief unter dem Synonym Rottweiler) folgende niederschmetternde Ferndiagnose: Das von dir geschilderte Phantom Rottweiler, liebe Petra, leidet leider an einer verhängnisvollen Kombination aus F 40 , einer phobischen Störung, die besonders korreliert mit F 40.1, also mit sozialen Phobien, in erster Linie also ein dominierender Angst-Faktor. Hinzu kommt ganz sicher F 10, welches durch Alkohol Abusus verursacht wird und Wahrnehmungsstörungen beinhaltet. Außerdem vermute ich schlussendlich – als kausalen Auslöser all dieser Faktoren – F60.0,, eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Dieser sogenannte Rottweiler hat auch Schwierigkeiten, was seine Impulskontrolle betrifft, und...

      „Danke, mir reicht’s“ lautete ihre damalige Antwort, „das hört sich ja furchtbar an...

      äh, Scheiß Kindheit gehabt?“ fragte Petra Hüttenberger vorsichtig.

      „Wer? Rottweiler?“

      „Ja?“

      „Ja.