Björn Ludwig

Krankes ICH


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kam ins Heim. Dem Jugendamt gegenüber empfinde ich übrigens absolut keinen Hass, denn es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem ihre Mitarbeiter reiten müssen. Dieser Lehrerin aber... ich habe ihren Namen verdrängt, um auf keine dummen Gedanken zu kommen... würde ich ohne zu zögern den Hals umdrehen, so sie noch lebte. Nun ja, Hass ist nicht gut. Schlimmer als Angst, auf Dauer.

      Im April 1976 verschwand meine Mutter spurlos. Böse Zungen behaupteten, mein Vater hätte etwas damit zu tun gehabt und sie eines Nachts im Schlachtensee ertränkt. Dem war aber nicht so, das weiß ich. Niemals war es so gewesen. Sie war einfach weg und kam nie wieder. Im Gegensatz zu der Seele meines Vaters kann ich sie in meinem Herzen nicht mehr lokalisieren. Sie ist einfach weg. Wo immer sie auch sein mag, ich hoffe, dort geht es lustig und unbeschwert zu und sie kann lachen... Jedenfalls verschwand kurz darauf auch mein Vater. Er hinterließ mir einen Zettel, auf dem stand: Ich war es nicht, ich liebe dich, bitte glaube mir. Esse immer frischen Fisch und du wirst es zu etwas bringen. Bleib gesund, du bist ein starker Junge, Dein Per-Erik

      Aus ‚ermittlungstaktischen Gründen’ wurde mir dieser Zettel erst zu meinem 18. Geburtstag ausgehändigt, nachdem ich meine Pflegefamilie verließ...

      Meine Kindheit war bizarr, nichts anderes. Einfach nur bizarr.

      Und meine eigene Ehefrau? Die kannte ich scheinbar nicht richtig. Wir übernahmen gemeinsam das Sportstudio in der Knesebeckstraße nahe Kurfürstendamm, eine sogenannte 1a-Goldgrube. Und wir machten Geld, richtig Geld. Dianas Mutter übernahm die Buchhaltung, und das machte sie gut. Korrekt. Das Geld floss, denn wir waren auch für Bodybuilder interessant, da wir einen großen Pumpraum besaßen und eine Sauna außerdem. Wir verkauften auch Substanzen für Bodybuilder, aber meines Wissens nichts Illegales. Eher Unerforschtes, zu der damaligen Zeit, würde ich mal sagen. Proteine und irgendwelche Kräuter aus Korea.

      Damit kenne ich mich im übrigen nicht aus. Jedenfalls kamen die zusätzlichen Angebote bei den Pumpern gut an und brachten Geld. Das Geschäft florierte; finanzstarke und gewiss auch prominente Klientel ging bei uns ein und aus.

      Aber meine Frau machte mir allmählich Sorgen. Anstatt um ihren Vater zu trauern, so empfand ich es wenigstens, wurde sie kalt, geizig und hartherzig. Ich verstand die Welt nicht mehr, was sollte das? Nachdem sie von mir schwanger wurde, wurde es noch schlimmer. Der Bauch schwoll an, der Ofen war aus. Wie konnte das passieren? Ich wusste mir keinen Rat. Plötzlich teilten wir nicht mehr das Bett miteinander, doch ich wartete. Schließlich steckt man als Mann nicht drin in so einer Schwangerschaft. Wir bekamen Alina. Ein Engel von einer Tochter. Und hübsch wie ihre Mutter.

      Koreanische Gene sind stark, drum wurde sie dunkelhaarig und mandeläugig. Aber irgendwie hatte sie auch etwas Halb-Schwedisches an sich, fand ich. Zwar nicht meine spärlichen, ultra-kurzen dunkelblonden Haare (Gottlob!) und auch nicht meine indifferente Augenfarbe (ihre sind dunkel wie die Nacht), aber irgendetwas in ihrer Figur finde ich von mir in ihr wieder... Waden und Popo, ja, und auch der Ausdruck in und um ihre Augen herum, da sehe ich mich ein wenig. Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber es ist da. Das Kind – es ist zweifelsohne zu 100 % mein eigenes. Na ja, das übliche väterliche Reproduktions-Denken eben.

      Ich muss mich nun wieder um meinen Beruf kümmern, nicht um die Vergangenheit.

      Nur noch eins: Ich durfte nach der Scheidung den Nachnamen Choi behalten, und dafür bin ich dankbar, denn auf diese Weise erhielt ich zumindest das starke Gefühl, meiner inneren Entwurzelung ein wenig gesunde koreanische Muttererde beimengen zu dürfen. Übrigens besitze ich einen kleinen Schrein mit Teelichtern, Orchideen und einem würdevollen Foto meines ehemaligen Schwiegervaters.

      Das war ein Mensch, den ich verstanden habe. Er hatte seinen Do, und den ging er gradlinig. Meine Ex-Frau jedoch werde ich wohl nie verstehen.

      Sie ist mir so fremd wie der Mars.

      Mindestens.

      Unterdessen erwies sich meine rein emotionale Entscheidung, meinen Nachnamen betreffend, als vortrefflicher Schachzug.

      Koreaner sind ziemlich finanzstark, im Durchschnitt. Der Name erwies sich also für mein Geschäft als Segen. Nordkoreaner natürlich ausgenommen. Es ging meistens um Geld, um Wirtschaftskriminalität, im kleinen sowie im großen Stil. Um bitter enttäuschten Stolz, Eifersuchtsszenarien etc. ging es seit meinem ersten tragischen Fall überhaupt nicht mehr – und dazwischen liegen immerhin 33 Fälle. 21 davon Koreaner, irgendwie seltsam. Ich war noch nie in Korea, dazu kam es nie...

      Am 14. September 2010 änderte sich wiederum alles in meinem neu etablierten Leben, als eine gewisse Janina P. in mein Büro kam, und mir verkündete, dass ihr Mann wohl fremd gehe...

       2

      Martin P. kam ins Visier seiner Waffe. Der Puls des ‚Rentners’ war normal, vielleicht etwas erhöht. Er hatte sich einen gebrauchten Hometrainer zugelegt und war pro Tag 10 bis 100 Kilometer darauf geradelt, auf acht verschiedenen Gängen. Innerhalb von 10 Tagen hatte er sich stattliche Waden und Lungen (letztere waren schon immer gut, denn er war Nichtraucher und passionierter Schwimmer) antrainiert, jetzt war er, nach zwei Ruhetagen am Wochenende, fit und ausgeruht. Sein Blutdruck war gesunken, seine Kaltblütigkeit hingegen immens gewachsen. Es fühlte sich gut an, so fit zu sein. Er beglückwünschte sich selbst, so ausgeschlafen und clever zu sein, Nichtraucher noch dazu. Am blödesten sind doch die Täter, die am Tatort eine in nervöser Hast weggeworfene Zigarette hinterlassen und somit ihr Innerstes, ihre D N A, preisgeben. So dumm war er nicht, keinesfalls, dachte er.

      Er hatte sich stark verändert, das war ihm bewusst. Angst machte ihm das nicht, denn geschehen musste etwas, soviel war klar. Das Schlimmste ist eine Unveränderlichkeit der eigenen Welt, dachte er. Der Tatort war gut gewählt, gut ausbaldowert, wie manche Leute sagen. (Gangster der alten Schule – er jedoch, obgleich er der Rentner war, gehörte der Klasse der neuen Schule an...) Ein scheinbar insolventer Bauunternehmer oder Bauherr, der ein leerstehendes Haus zunächst komplett eingerüstet hatte, mit Planen samt Werbebannern ausstattete, um dann mir nichts, dir nichts, pleite zu gehen... Eine völlig aus dem Ruder gelaufene Komplett-Sanierung. Das ist die Hauptstadt, das ist Berlin. Arm und unsexy, fand der Rentner. Nun stand dieses Haus jedenfalls verwaist da – hin und wieder von Obdachlosen genutzt, aber nicht in der Front, der Straße zu, wo Martin P. gerade an der Ampel stand und der Rentner ihn nach wie vor im Visier hatte. Der Rentner war gut vorbereitet, er hatte trainiert. Er war extra in die Schorfheide gefahren, sozusagen zu Ehren seines verstorbenen Onkels, und hatte zehn Patronen verschossen. Dabei war ihm aufgefallen, dass er scheinbar ein angeborenes Schießtalent hatte. Das machte ihn stolz. Er war eben doch vielmehr ein Krieger, denn ein Hartz-4 Empfänger. Er hatte sogar einen Hasen erwischt, und Hasen zu treffen, ist wirklich schwer! Zu Hasenbraten passen Rosmarin und Thymian – die Klöße dazu hatte seine Freundin zubereitet, auf thüringische Art, mit dunkler Bratensoße. Rotkohl aus der Dose, aufgrund der unpassenden Saison.

      Im Anschluss gab es Geschlechtsverkehr a la carte.

      Ein sogenannter 'schöner Abend', der ihn zweifeln ließ, da jener Abend ihn wieder mild stimmte. Seine Zweifel zerstreuten sich rasch. Schon am nächsten Morgen, am Briefkasten. Wieder eine Absage, okay, jetzt reichte es ihm.

      Übrigens wollte der Rentner niemanden töten. Auf seiner Liste standen jedoch vier Menschen, denen er ins Knie schießen wollte vor lauter Wut. Am Anfang seiner Liste stand Martin P., dieser Schönling und Schleimer. Er fand, dass Martin P. ihm sein Leben versaut hatte. Er war sich jetzt auch wieder ganz sicher, dass da was gewesen war, damals, im November 1975, am Schlachtensee. Töten jedoch wollte er Martin P. dafür nicht. Schmerzen sollte er spüren, dieser Hund. Lebenslange Schmerzen, wenn möglich. Und erpressen würde er ihn endlich wegen dieser Sache. Der Rentner brauchte Geld, er hatte Schulden. Danach würden seine rechte Hand – Mariella W. – und – nach einer dreimonatigen Pause – weitere zwei Menschen bestraft werden für ihr Unwesen, laut Plan des Rentners.

      Und dann sollte Schluss sein.

      Ihm fiel auf, dass der Schnürsenkel des rechten Schuhs von Martin P. offen