Björn Ludwig

Krankes ICH


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neige nicht zum Drogenkonsum, stattdessen stürzte ich mich nach dem Desaster meines ersten Falles in ein paar Affären, denn auch ich wollte irgendwie vergessen. Wieder ins Leben zurückkehren. Was mir zum Glück auch gelang.

      Danach ging es einfach weiter mit meiner Detektei. Vor allem koreanische Kunden fanden den Weg in mein Büro, aufgrund meines Nachnamens. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erklären, was es mit jenem Namen auf sich hat. Vor zwölf Jahren, mit dreißig, war ich ein durch und durch austrainierter und harter Tae-Kwon-Do-Ka, was meinem Trainer, Herrn Großmeister Choi, offensichtlich sehr gefiel. Ich konnte einiges einstecken und blieb beim Austeilen fair, denn ich hatte schon immer Respekt vor dem Leben und der Kampfkunst. Was für mich in gewisser Weise ein und dasselbe ist. Na jedenfalls hatte der Herr Choi eine wahnsinnig schöne Tochter – sie hieß (und heißt heute immer noch so) Diana Choi! Sie war Inhaberin des ersten Dans, vierundzwanzig Jahre alt und dementsprechend austrainiert, was nicht heißt, dass sie unweiblich war. Das wurde sie erst später. Sie hatte, im Gegenteil, einen recht üppigen Busen, eine schmale Taille, aber wiederum einen schönen großen Schwung in der Hüftgegend und dazu ziemlich lange und nicht allzu dünne Beine. Ihre Gesamterscheinung war sehr weiblich und gleichzeitig energisch, fast gefährlich. Ein bisschen hart, ja, das muss ich zugeben, schon damals. Aber auch zart, gefühlvoll, wenn man sich ein paar mal mit ihr unterhalten hatte und in ihrer Gunst stand. Und das tat ich. Vor allem, als ich die Prüfung für meinen eigenen 1. Dan bestand. Im Nachhinein denke ich, dass meine Motivation, diese schwere Prüfung zu bestehen, vielleicht in aller erster Linie daher rührte, Diana zu beeindrucken, sie für mich zu gewinnen und attraktiv für sie zu sein. Denn Tae Kwon Do ist und bleibt ein hartes Geschäft. Es folgt der Tradition und dem Do, dem Weg. Und dieser Weg ist schwer. Die Kwon, die Faust, ist beim Tae Kwon Do lange nicht so wichtig wie beim Boxen, jedoch hatte gerade meine rechte Faust es dem Großmeister Choi sehr angetan. Vor allem, wenn es darum ging, Bruchtests zu bestehen (ich bestand sie alle, ohne Knochenbrüche). Er sagte dann immer „Nils – du hast Eisenpaust“ (Er konnte, wie fast alle Koreaner, das ‚f’ nicht richtig aussprechen, vor allem dann nicht, wenn dem ein ‚n’ vorausging). Wahrscheinlich hatte ich damals auch nicht wenig Wut in den Knochen, aber das verbarg ich durch gutmütige, blau-grün-graue Augen. Ich war und bin gesund, habe nachweislich gute Kalzium/Magnesium/Zink/Eisen und Vitamin-Depots in meinem Körper.

      Mein zweites Steckenpferd beim Tae Kwon Do war übrigens die Poomse (Bewegungsform) Taeguk 6 (yuk) Chang, was soviel bedeutet wie das Wasser, das immer bergab fließt. Jahre später, kurz nach meiner zweiten Scheidung, habe ich mich so manches Mal gefragt, ob diese Bewegungsform ein mögliches Äquivalent zu meinem eingeschlagenen Lebensweg alles geht den Bach runter sein könnte, verwarf diese Theorie aber wenig später wieder, denn fernöstliche und europäische Umschreibungen von Lebensformen aller Art sind so unterschiedlich wie Hund und Katz.

      Wir heirateten dann, Diana und ich. (Hatte ich sie mit meiner Taeguk 6 (yuk) Chang oder mit meiner ‚Eisenpaust’ schwach gemacht? – Ich will es nicht hoffen.) In ihren fast schwarzen Augen lag ein Ausdruck von... Liebe. So habe ich es jedenfalls interpretiert. Ihre vollen Lippen mündeten in einem positiven Mundwinkel, der direkt in einen Himmel voller roséfarbener Kirschblüten überzugehen schien. Ich war aufgeregt während der Zeremonie vor dem Traualtar. Noch viel mehr als während meiner Prüfung zum ersten Dan. Heimlich wünschte ich mich zurück auf die Kampfmatte. Jedoch konnte ich schlecht eine Poomse vor 160 erwartungsvollen koreanischen Augen vollführen. Ich musste aber JA! sagen, was ich denn auch tat. Diana Choi und Nils Schröder wurden Frau und Mann, und ich nahm ihren Namen an. Ich wollte kein Schröder mehr sein.

      Europäische Augenpaare waren übrigens nur acht dabei, meine engsten Freunde, keine Eltern, keine Verwandten. Ein wenig schmerzte es mich, dass mein Stern bei einigen anwesenden Choi-Koreanern dadurch wohl möglich sank. Aber nicht so bei meinen Schwiegereltern. Sie mochten mich, vor allen Dingen Großmeister Choi. Und er tut es noch heute. Von da oben. Bei meiner Ex-Frau Diana bin ich mir da nicht so sicher. Während unserer knapp dreijährigen Ehe hatte sie sich stark verändert. Das erste halbe Jahr jedoch war von einer schier surrealer Schönheit. In ihrer Wilmersdorfer 3-Zimmer-Wohnung in Berlin bestellten wir oft Sushi – vor allem mit Lachs (Maki Sake), Thunfisch (Maki Tekka), Flussaal (Nigiri Unagi und nur für mich, denn das war Diana zu fettig) und – für uns beide – Maki Nordsee-Krabben. Frischkäse-ummantelte Sushi-Rollen lehnten wir übrigens beide ab. Im Nachhinein frage ich mich oft, wenn ich melancholisch und ein wenig sarkastisch bin, ob dies wohl die einzige Prämisse war, die uns wirklich einte: Stil- und Geschmacksfragen.

      Doch damals... dieses halbe Jahr lang... da fanden sinnliche Lust-Fest-Spiele statt, auf die wir nichts kommen ließen. Kein Anrufer hatte da eine Chance. Ich liebte ihren Geruch und ihren Geschmack. Das alles war, wenn ich es heute recht bedenke, nicht von dieser Welt und infolgedessen auch nicht von Dauer. Diana hatte so wenig Ausdünstungen, dass ich mich heimlich freute, wenn sie mal nicht duschte. Die Bettwäsche, die sie freilich viel zu oft wusch, duftete auf ihrer Seite (nach ca. einer Woche) nach Kräutern, nach frischen Kräutern. Thymian, Oregano, Basilikum und Rosmarin, ein wenig Koriander noch dazu, so ungefähr duftete ihr Kissenbezug.

      Ich sollte aufhören, zu schwelgen. Das bringt Unglück.

      Dann, nach etwa sieben Monaten, war es auch schon wieder vorbei mit der Leidenschaft. Wir übernahmen das Fitness-Center des Vaters, der – wie dereinst Bruce Lee – an einer Gehirnblutung gestorben war. Mit zweiundsechzig, viel zu früh. Einer seiner Musterschüler hatte dies versehentlich bei einem Schaukampf durch einen furchtbaren, und in seiner Einfachheit einfach unwürdigen Palkup (Ellenbogen-Schlag) verursacht. Am Grab trauerte ich sehr, und – nach Meinung einiger anwesender Koreaner – unverhältnismäßig. Ich weinte, obwohl ich nicht von ihrem Blute war. Und da erst wurde ich mir unserer familienhistorischen Unterschiede vollkommen bewusst: Sie waren Koreaner, Süd-Koreaner, durch und durch, und ich war ein Halb-Schwede, der noch nicht mal seine eigenen Eltern richtig kannte. Mein Vater gilt als verschollen, irgendwo oben in Nordschweden. Aber ich spüre, dass er noch lebt. Er ist Freiheitsliebend, wie ich, er lebt bestimmt noch und hat einfach nur eine andere Identität angenommen, ohne viel Verantwortung. In Jokkmok oder so, ganz sicher. Ich empfinde keinen Hass ihm gegenüber. Aber Trauer. Ich vermisse ihn. Vielleicht hätte ich es sogar genauso gemacht. Meine Mutter hatte immer Depressionen. Ich kannte sie nur traurig. Mein Vater hingegen war ein lustiger Kerl, ein bisschen verrückt wohl auch. Er hatte keinen Führerschein und fuhr immer Taxi. Er konnte nicht mit Geld umgehen, aber für uns Drei reichte es immer, ich habe nie gelitten. Er handelte mit Antiquitäten, Geld kam und ging. Er spielte auch, drehte vielleicht auch hin und wieder das eine oder andere krumme Ding... aber da spekuliere ich. Wenn mal gar kein Geld in Aussicht war, dann hatte mein Vater immer noch seine Angeln. Darin war er passioniert. Die Taxifahrer rümpften immer mit der Nase, aufgrund der riechenden Köder und Lockstoffe, die mein Vater mitnahm, wenn wir raus fuhren zum Schlachtensee. Mit ihm fing ich immer etwas, das war ein Phänomen. Ohne ihn nie, auch später nicht, selbst in Schweden nicht. Komisch. Wir brachten immer Karpfen und Barsche mit nach Hause, einmal sogar einen schier gigantischen Wels. Dafür hatte er ein Händchen, mein Vater. So entstand meine Liebe zum Fisch.

      Dann kam dieser Tag, der alles änderte.

      Ich war erst gut sieben Jahre alt, als er mich eines Morgens um 3.30 Uhr weckte und mir sagte, ich müsste den größten Mann der Welt sehen, unbedingt, im Fernsehen. Und wer war der größte, the greatest, am 30. September 1975? Antwort: Muhammad Ali im thriller of manila versus Joe Frazier. So entstand meine Hingabe zum Kampfsport. Aber für die Reputation meines Vater war dieses sportgeschichtliche Ereignis nicht vorteilhaft, denn natürlich erzählte ich alles sehr stolz in meiner Grundschule weiter. Ich ging damals auf die liberale Kronach Grundschule im West-Berliner Bezirk Lichterfelde. Jedoch eine Lehrerin, (Religion und Mathematik), so eine alte Jungfer, meldete den angeblichen Sachverhalt, dass ich nachts gezwungen werden würde, brutale Boxkämpfe anzuschauen, dem Jugendamt. Und das Jugendamt schlug in einem denkbar ungünstigen Moment zu. An einem verregneten November-Nachmittag, als meine Mutter besonders starke Depressionen hatte und – mit Psychopharmaka vollgedröhnt – auf der Wohnzimmercouch dahinvegetierte, während mein Vater und ich uns gerade einen Showkampf a la Bruce