Björn Ludwig

Krankes ICH


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      „Ach um Gottes Willen, nein!“, unterbrach sie die Psychologin damals gut gelaunt, „Das sind doch nur ganz normale Störungen, die wir doch alle irgendwo in uns tragen... zumindest manchmal, wenn man zumindest F 10 bedenkt... wollen sie mal richtige Psychosen umschrieben bekommen, also regelrechten Wahn?“... hakte die Psychologin nach.

      „Nein danke, mir reicht das jetzt. Nur noch eine Frage: Warum konnten sie so eine genaue Diagnose aus dem Ärmel schütteln?“

      „Weil ihr sogenannter Rottweiler schon ein paar Mal hier war. Ich weiß, wen sie meinen.“

      „Aha.“

      „Finde ich übrigens gelungen, ihren Quervergleich in das Reich des Canis. Wie kommen sie eigentlich auf die Rasse Rottweiler?“

      „Hm, keine Ahnung, eigentlich...“

      Petra Hüttenberger musste sich erst einmal sammeln, all dies wühlte sie sehr auf.

      ...ja, ich denke, ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu diesen Tieren. Zum einen finde ich Rottweiler unheimlich schön, weil sie so athletisch sind und so eine schöne Farbzeichnung haben. Richtige Raubtiere voller Muskeln und Eleganz. Aber andererseits sind sie auch unberechenbar, richtige Psychos manchmal. Immer wieder gibt es Probleme mit Rottweilern, sogar mit ausgebildeten Polizei-Rottweilern...

      Sie sagte: „Weil ich Rottweiler hasse!“

      „Das glaube ich ihnen nicht“, retournierte die Psychologin sofort. Sie fragte: „Was würden sie denn bevorzugen?“

      „Einen treuen deutschen Schäferhund!“, antwortete Petra Müller spontan.

      „Dann finden sie einen.“

      „Danke.“

      Damals war sie dann, geschockt und verwirrt, am darauffolgenden Wochenende zu ihren Eltern nach Passau gefahren. Ihre Eltern und ihre Schwester gaben ihr immer Halt, in jeder Situation. Sie brauchte Beratung. Alle rieten ihr von Werner Pfeffer ab, tatsächlich alle, unisono. Sie ging dann tanzen, ja, in die Disco Schärdinger Turm. Mein Gott, sie war bereits 35 und ihre biologische Uhr tickte heftig. Sie war auch ein wenig verzweifelt, für ihre Verhältnisse. Dabei war sie doch eine ganz natürliche, noch relativ junge Frau, die ein Anrecht auf ein normales Leben hatte, denn normal war sie selbst und sie ist es bis heute geblieben. Sie denkt normal, sie sieht normal aus und sie lebt normal, sieht man von ihrem extremen Beruf einmal ab – wie könnte sie dann also unnormal sein und sich mit einem kaputten Typen wie Pfeffer einlassen?

      Und so lernte sie in jener Disco-Nacht im Schärdinger Turm Christian Müller kennen, Ölbildmaler und Fotograf, wie er angab. Er war aus Passau, genau wie sie. Alle aus ihrem Umfeld waren begeistert. Er war lieb, er war treu, er war in ihrem Alter, er war solide und hatte einen gewissen beruflichen Erfolg. Und er folgte ihr nach Berlin. Sie zogen nach Frohnau im Norden Berlins, heirateten rasch, legten sich einen Hund zu, bekamen eine gesunde Tochter, Kamilla. Christian Müller sattelte dann schnell von der Ölmalerei auf eine lukrativere Schiene um und verdient seine Brötchen heute größten Teils als Food-Fotograf. Das ist ein gutes, wirklich einträgliches Geschäft innerhalb des enormen Gastronomie-Betriebes Berlins. Garnelen, Sushi-Rollen, Schokoladentorten, eigentlich hat er eine leckere Tätigkeit, dachte die Hauptkommissarin. Leckerer als ich jedenfalls, dachte sie ein wenig bitter im Hinblick auf die Schose, die aktuell nur wenige Meter von ihr entfernt immer noch das Straßenbild dieser an sich ganz netten Gegend prägte.

      Petra Müller saß in ihrem Dienstwagen, allein, sie musste nachdenken. Sie musste es Janina P. sagen. Die Personalien des Opfers waren inzwischen geklärt, und jetzt blieb der schwerste Gang, der Gang zur Ehefrau des Opfers, an ihr haften. Von den Kindern der beiden ganz zu schweigen... Wer konnte so etwas tun? Ein Killer? Ein Serienkiller womöglich? Nun ja, noch hatte – Gott sei Dank – keine Serie begonnen, also war für’s Erste auch kein Profiler von Nöten. Nach dem ersten Augenschein ein eiskalter Auftragsmord, eine regelrechte Exekution. Es war der 22. September, Mittwoch Mittag, 12.22 Uhr. Die Leiche wurde gerade abtransportiert, Gott sei Dank, möchte man meinen. Und auch das Blut, welches geflossen war, nachdem man alle möglichen Beweise gesichert hatte, wurde nun hinweggespült in den Rinnstein.

      All dies war grausam, gewiss.

      Aber es musste auch weitergehen.

      Wieder dachte sie an Werner Pfeffer und empfand gerade in dem Moment, da die Hintertüren des Pathologiefahrzeuges der Gerichtsmedizin sich öffneten und sie Martin P. auf seine letzte Reise schickten, eine tiefe Dankbarkeit gegenüber ihrem eigenen Leben. In ihrem Leben gab es keine Abgründe. Ihre Psyche war stark, wohl eingebettet in eine geradezu tradierte Familienform: Vater, Mutter, Kind und Hund. Dazu ihren Dienstwagen, den sie auch privat nutzen durfte (ein übertrieben großer Ford Kuga mit getönten Scheiben und allem technischen Schnickschnack, den man sich nur vorstellen konnte). Und einen kleinen Honda Civic für Christian. Am Wochenende war sie glücklich, total glücklich. Während der Woche funktionierte sie gut, immer. Wenn sie sonntags mit ihrer kleinen Familie und ihrer Labradorhündin Peggy Sue durch das Tegeler Fliess wanderten, dann konnte Petra Müller gar nicht anders, als Gott zu danken. Sie dankte dann Gott für ihre offensichtliche Normalität. Ihr Leben verlief im übertragenen Sinne in sanften pastellfarbenen Linien und unter Einfluss von gemäßigten Ebbe- und Flut-Verhältnissen. Nichts brachte ihren weiblichen Zyklus durcheinander, kein Raub, kein Mord, kein Totschlag. Sie war schier unerschütterlich, obwohl sie angeblich einen eher schwachen Muskel-Tonus hatte, wie ihr ihr Waffentrainer einmal anvertraut hatte. Was nicht bedeutete, dass sie irgendwie schlaff war... Ihr körperliches Geheimnis waren übrigens ihr ruhiger Puls und ihr konstanter Blutdruck von 120 / 80, was wiederum auf eine jahrzehntelange gesunde und konsequente Lebensführung zurückzuführen war. Sie schlief gut, träumte nie schlecht. Das muss ein Segen sein, dachte sie, wenn sie an all die Menschen dachte, die ihr Gegenteiliges berichteten, und das waren viele.

      Eigentlich die meisten.

      Insofern war Petra Müller, diese normale Frau, eine absolute Exotin.

      Doch jetzt war sie in der Klemme. Neue Indizien waren hinzugekommen, der Polizeifunk lief fast Amok. Ein Privatdetektiv namens Nils Choi lag mit Jochbein-Prellung und Gehirnerschütterung, letzteres verursacht durch einen Polizeiknüppel, im Urban Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg; ebenso der mögliche Scharfschütze von heute Vormittag, Dragan Vukovic, ein Kosovo-Albaner, mit einem zweifachen Rippenbruch, verursacht wiederum durch jenen Nils Choi. Freilich hatte man die beiden in verschiedenen Etagen untergebracht.

      Nils Choi... Nils Choi... sinnierte die Hauptkommissarin was für ein bescheuerter Name übrigens... ein Künstlername etwa?... irgendjemand muss sich um ihn kümmern, er ist der vorerst wichtigste Zeuge, ja, er ist unser Mann, den wir zuerst vernehmen müssen...

      Und wer sollte dies sein, wenn nicht Pfeffer. Er war genau der richtige Mann für solcherlei kuriose, verrückte Verstrickungen. Denn dass es Verstrickungen geben würde, dies war ihr jetzt schon klar. Es gibt immer Verstrickungen, sobald auch Privatdetektive involviert waren. Verstrickungen, Konflikte und unterschiedliche Interessenlagen. Von rechtlichen Dingen einmal abgesehen, Himmel, das würde kompliziert werden, sie spürte das!

      Das schien der richtige Stoff für Werner Pfeffer zu sein. Sie brauchte Werner. Sie missbrauchte ihn auch nicht, wie sie fand, nein, denn immerhin hatte er sie schwer beleidigt mit einem Wort, das sie niemals aussprechen würde... (laut Duden von 1983 hatte er sie mit etwas tituliert, was hier so schön als derb, für weibliches Geschlechtsorgan umschrieben wurde). Ein bisschen hallte das noch nach in ihren Ohren. Nun würde sie ihm jedoch die Chance geben, sich ganz schnell und aus eigener Kraft zu rehabilitieren. Sie sah auf ihre Uhr. 12.31 Uhr. Höchste Zeit.

      Sie wählte seine Nummer, und er ging nach dem dritten Freizeichen ran.

      „Petra?“

      „Werner? Ist das ZZ Top da im Hintergrund?“

      „Ja, du Engel.“