Franziska Frey

Sein letzter Cache


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ihrem Vater“, sagte Eva und wischte sich mit der Hand über die Augen.

      Torsten und Günnur schauten Eva Berger mitfühlend an. Sie konnten sich vorstellen, wie die nächste Zeit dieser beiden Frauen verlaufen würde. „Scheuen Sie sich nicht, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen“ sagte Günnur zu ihr. „So ein plötzlicher Tod eines Menschen kann ein Trauma auslösen, gerade wenn Ihre Tochter so an ihrem Vater gehangen hat. Das können Sie als Mutter und Mitbetroffene alleine nicht unbedingt stemmen.“ „Da mögen Sie Recht haben“, nickte Eva Berger.

      Als ein Schlüssel im Haustürschloss knackte, sprang sie auf, rannte zur Tür, schlang die Arme um ihre Tochter und schluchzte: „Papa ist tot!“ „Was?“ sagte ihre Tochter Katharina laut. „Das kann doch nicht sein! Wieso denn?“ „Er ist im Wald beim Cachen tot aufgefunden worden!“ Die beiden Frauen standen eine Weile eng umschlungen da und auch Katharina weinte und schluchzte jetzt laut. Günnur und Torsten ließen sie in Ruhe. Sie fanden es beruhigend, dass doch so etwas wie Trauer aufkam. Bei dem, was Eva erzählt hatte, schien es unwahrscheinlich, dass auch nur irgendeine Frau in der Lage war, um Clemens Berger zu trauern – abgesehen von seiner Tochter.

      Nach endlos erscheinenden Minuten gingen beide eng umschlungen ins Wohnzimmer, wo Eva Berger ihrer Tochter die beiden Kommissare vorstellte.

      „Was wollen Sie denn hier?“ fragte Katharina völlig verweint. „Papa ist doch beim Cachen... also das war doch ein Unfall!“

      „Wahrscheinlich“ sagte Günnur vorsichtig. „Das müssen wir herausbekommen, deswegen wollten wir mit Ihnen und Ihrer Mutter sprechen.“

      „Was denn?“ schrie Katharina plötzlich laut. „Wollen Sie sagen, dass irgend so ein Schwein Papa ermordet hat? Hauen Sie ab, Sie spinnen ja komplett! RAUS!!!!“ schrie sie Günnur und Torsten an. „Katharina, bitte....“ sagte ihre Mutter.

      Torsten winkte ab. „Lassen Sie nur“ sagte er zu Eva und stand mit Günnur zusammen auf. „Das ist ihre Art, das Gehörte zu verarbeiten. Wir melden uns noch mal bei Ihnen, damit wir in den nächsten Tagen ein ausführliches Gespräch führen können. Jetzt geht das nicht und Sie beide haben mit sich genug zu tun, denke ich. Können wir Sie alleine lassen? Haben Sie Unterstützung von Freunden oder Verwandten?“

      „Jaja, wir sind nicht allein, ist schon in Ordnung, Sie können gehen“, antwortete Eva und versuchte, sich ein tapferes Lächeln abzuringen. „Geben Sie uns ein bisschen Zeit, dann geht’s schon wieder. Jetzt ist das alles ein bisschen viel“ sagte sie die beiden zur Haustür begleitend.

      Draußen ließ Günnur zischend die Luft aus dem Mund. „Verdammt“ sagte sie. „Immer wieder. Das hasse ich am meisten an meinem Beruf.“ Torsten nickte wortlos. „Meinst du, die haben was damit zu tun?“ fragte er sie, als sie im klapprigen Dienstwagen saßen, den er zurück zum Büro steuerte.

      „Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen“, erwiderte Günnur.

      Sie grinste dünn. „Aber du weißt ja: Man hat schon Pferde kotzen sehen....“ „DIREKT VOR DER APOTHEKE!!!“ brüllten sie beide laut durch das Wageninnere und grinsten sich breit an. Das war ihr Insiderspruch und es tat immer wieder gut, ihn nach einer belastenden Situation gemeinsam laut rauszuschmettern.

      eine Stunde später

      Dr. Robert Beierlein, der Leiter der Schulinspektion, atmete tief durch. Der Anruf der Polizei vor einigen Minuten war von der Art, die ihn nach einem doppelten Cognac gelüsten ließen. Der war in seinem Büro natürlich nicht vorhanden. Also musste er sich bis zum Feierabend mit einem fiktiven Genuss begnügen. Und die Zeit bis zum Feierabend wäre ohnehin schon mit genügend Arbeit gefüllt gewesen - aber nun auf eine ganz andere Art und Weise, als er sie sich morgens beim Betreten seiner Behörde vorgestellt hatte.

      Die Nachricht über den Tod eines seiner Schulinspektoren hatte mehreren Dingen schlagartig einen ganz anderen Verlauf gegeben. Zunächst hatte er mehrere organisatorische dicke Probleme vor sich. Berger war momentan in drei Schulinspektionen federführend, in vier weiteren war er Co-Inspektor. Das hieß, dass so schnell wie möglich sieben Schulen und insgesamt fünf Inspektorinnen und Inspektoren benachrichtigt werden mussten, mit denen Berger im Team eingesetzt war. Er konnte sich vorstellen, was das für eine Empörungslawine nach sich ziehen würde. Seine Behörde war mit Abstand die sensibelste im Bereich Schule des Bundeslandes. Sie hatten die meisten Klagen und Dienstaufsichtsbeschwerden zu bearbeiten und wurden in ihrem eigentlichen Arbeitsauftrag, die Schulen zu inspizieren, immer wieder behindert. Er selbst war an einem Punkt angekommen, an dem er weitgehend resigniert hatte. Vor vier Jahren hatte er mit großem Elan seinen neuen Job angetreten und war davon überzeugt, dass sich durch sein Mittun einiges an den Schulen ändern würde. Der Idealismus, mit Hilfe der Inspektion gute Schule machen zu können und Schule positiv zu verändern, beflügelte ihn und er war mit vielen innovativen Ideen an den Start gegangen, unterstützt von einem auserlesenen Team an Schulinspektoren, die einen mehrwöchigen Lehrgang absolvieren und sich am Schluss einer eigens konzipierten anspruchsvollen Prüfung stellen mussten. Nicht wenige waren schon im Voraus abgesprungen. Er war nahezu mit dem besten Team gestartet, das er sich vorstellen konnte. Fast alle aus seinem Inspektorenteam kamen aus der Schulleitung und somit aus der Praxis. Sie konnten sich vorstellen, was für eine Empörung durch die Schulen gehen würde, wenn sie als Außenstehende kommen und jeden Winkel der Schulen unter die Lupe nehmen würden. Sein Team war von den besten externen Trainern aus der Wirtschaft, bestehend aus Psychologen, Rhetorikern und weiteren fachkompetenten Coaches aus dem In- und Ausland, geschult worden. Sie waren auf alles vorbereitet worden und bereit, sich den Herausforderungen zu stellen, weil sie von der Sache überzeugt waren. Zumindest dachte Beierlein das. Was den Inspektoren aber an Gegenwind, um nicht zu sagen, Hass aus den Schulen entgegenwehte, ließ schon im ersten Jahr fünf von ihnen das Handtuch werfen. Sie hatten sich mit offenen und heimtückischen Angriffen herumzuschlagen – nicht zu vergessen die Stapel an schriftlichen Beschwerden, Dienstaufsichtsbeschwerden und sogar Klagen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten. Schnell wurden die Arbeitsbedingungen geändert, wonach die Inspektoren sich nach ihrer Ausbildung verpflichten mussten, mindestens fünf Jahre in der Schulinspektion zu arbeiten. Die Ausbildung war schließlich teuer und der Staat konnte sich keine unnötigen Ausgaben leisten. Das hatte allerdings leider zur Folge, dass weitere drei Inspektoren von Psychologen dienstunfähig geschrieben wurden – sie fielen ein Jahr lang vollkommen aus und danach hatten sie eine schrittweise Wiedereingliederung in ihren ursprünglichen Lehrberuf. Auch verloren für die Inspektion.

      Übrig blieben hartgesottene Kollegen, die sich durch nichts beirren ließen. Die die Fragebögen, die aus den Schulen mit vernichtenden Urteilen über die Inspektion im Allgemeinen und die Inspektoren im Besonderen zurückkamen, nicht mal mehr lasen. Die gelassen wieder mal eine Dienstaufsichtsbeschwerde mit einem Formbrief abtaten und in ihrer Personalakte verschwinden ließen. Wie Berger eben.

      Die Situation des Todes eines seiner Inspektoren und somit seines plötzlichen Totalausfalls hatte er seit Bestehen seiner Behörde noch nie. Er hatte es mit einigen Frühpensionierungen und leider auch freiwilligen Rücktritten zu tun gehabt. In den Fällen konnten die Inspektionen nach und nach abgewickelt werden, sodass seine Inspektoren ein geordnetes Feld hinterließen. Das war sogar bei seinen Burnoutfällen in gewissem Maß möglich. Aber jetzt ... er seufzte und sehnte sich heftig nach einem Cognac.

      Gepaart mit der Trauer über den Tod Bergers war allerdings auch eine gewisse Erleichterung. Berger war sein schwierigster Inspektor gewesen. Das begann schon bei seinem Bewerbungsverfahren, denn seine Akte sprengte schon damals den Umfang eines üblichen Aktendeckels. Schon während seiner Tätigkeit als Rektor eines Gymnasiums hatte er massenhaft Beschwerdematerial angesammelt. Es liefen diverse Dienstaufsichtsbeschwerden und Disziplinarverfahren gegen ihn, die er mit Hilfe seines Anwalts und der Schulbehörde allesamt geschickt abgewimmelt hatte. Sogar ein Teil seines Kollegiums hatte eine Beschwerde gegen ihn gerichtet, weil er sie in einer Gesamtkonferenz vor der Schulöffentlichkeit als faul und inkompetent bezeichnet hatte. Einige hatten sich erfolgreich an andere Gymnasien versetzen lassen, als sie merkten, dass ihre