Franziska Frey

Sein letzter Cache


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und trat sie überall. Sie versuchte sich ihm zu entziehen, hatte aber keine Chance und er schlug wieder und wieder zu. Als sie wimmernd auf dem Boden lag, brüllte er: „Und jetzt nimm deine Sachen, verpiss dich und lass dich hier nie wieder blicken! Du hast fünf Minuten, sonst schlag ich wieder zu! Und glaub ja nicht, dass du mich anzeigen kannst, du hast nichts in der Hand! Ich habe die besseren Anwälte, ich kenne die entscheidenden Leute in dieser Stadt, ich bin hier jemand und würde dich in Grund und Boden stampfen. Du bist ein Nichts!!!!“ In Panik versuchte sie sich so gut wie möglich anzuziehen, was bei ihrem völlig schmerzenden Körper nicht einfach war und schwankte schluchzend hinaus. In ihrer Wohnung zog sie sich wieder aus und sah, was er angerichtet hatte: Ihr Gesicht war zugeschwollen und am gesamten Körper hatte sie rote Flecken und Beulen, die garantiert grün, blau und lila werden würden. Gebrochen schien nichts zu sein.

      Sie verbrachte die nächste Woche in ihrer Wohnung, schwänzte die Uni und hielt nur über Internet und Telefon zu ihren Freunden Kontakt. Die körperlichen Wunden verheilten zum Glück in diesen Tagen problemlos.

      Das Schlimme war, dass Clemens Recht hatte. Sie konnte ihn nicht anzeigen. Sie hatte keine Chance, ja länger sie es hin und her drehte. Geschlagenen oder vergewaltigten Frauen wurde eh nicht geglaubt und das Verfahren würde sie nicht überstehen. Also ließ sie es bleiben und hatte diese riesige seelische Narbe in sich, die sie ab der unsagbaren Nacht allen Männern gegenüber misstrauisch bleiben ließ.

      Gleichzeitig wuchs ihr Hass auf Clemens in Unermessliche. Was konnte sie nur tun, um es ihm heimzuzahlen? Ihr fiel beim besten Willen nichts ein. Sie ging ihm aus dem Weg, hörte nur durch eine Kommilitonin, dass er eine Neue hatte – wieder eine Studentin. Woher er die nur immer so schnell kennen lernte? Sie tat ihr jetzt schon unendlich Leid. Ihr war klar, dass es höchstwahrscheinlich ähnlich mit ihr enden würde. Wie krank war dieser Mann, dass er seine Macht gegen Wehrlose so brutal psychisch und physisch ausspielen musste? Das Unglaubliche war, dass er zwei Seiten hatte: die wunderbare und die grauenvolle. Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Sie recherchierte und lernte, dass es tatsächlich ein Krankheitsbild gab, das dem von Clemens entsprach: Er war ein Sadist, wie er im Lehrbuch stand.

      Das erleichterte sie seltsamerweise ein wenig. Es lag nicht an ihr, dass das Ganze so katastrophal geendet hatte. Sie neigte wie alle Frauen dazu, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Vielleicht sollte sie doch mal zu einer Psychologin gehen, um das Ganze zu verarbeiten? Aber so weit war sie noch nicht und stellte im Laufe der Monate erleichtert an sich fest, das sich ihr Leben und ihre Psyche zu normalisieren schienen. Nur eine Beziehung zu einem Mann war für sie momentan noch unmöglich. Schon gar kein „One-night-stand“. Sie nahm ihre alten Kontakte und Freundschaften neu auf, ging wieder öfter mit Matthias cachen und fand zu ihrer alten Fröhlichkeit zurück.

      Matthias wusste nichts von ihrer Beziehung zu Clemens. Sie hatte nie mit ihm über ihre Männerbekanntschaften gesprochen und in dem Fall fand sie es ganz wichtig, ihn im Dunkeln zu lassen – immerhin war „bigC“ ja ihr direkter Konkurrent.

      Sie trickste es jetzt absichtlich so, dass sie und Matthias etwas verzögert zu einem FTF aufbrachen, indem sie trödelte, was Matthias zu manchen bösen Bemerkungen hinriss, aber das war ihr egal, Hauptsache, sie trafen Clemens nicht beim Cache.

      Glücklicherweise begegneten sie ihm nur einmal – da hatten sie den FTF gemacht. Clemens war wohl morgens arbeiten, es war bereits früher Nachmittag. Sie hatte das schon befürchtet und konnte sich zusammenreißen. Er war freundlich-locker wie immer. Sie schaffte es, ihn kaum anzusehen und redete so wenig wie möglich, sodass Matthias ihr Verhalten nicht als seltsam auffiel.

      Und nun nach fast einem Jahr das. Als sie Clemens am Boden liegen sah, stürzte alles wieder auf sie ein und blubberte sekundenschnell wie ein Vulkanausbruch hoch. Alles, was er ihr angetan hatte, mischte sich mit ihrer Erleichterung, dass er tot war und gleichzeitig der Panik, dass jemand sie in Verdacht haben könnte, ihn ermordet zu haben. Sie wusste noch, dass sie geschrien hatte und Matthias ihr eine geknallt hatte. Danach hatte sie einen Filmriss – mitten im Wald. Sie wusste gar nicht mehr, dass die Polizei gekommen war und sie etwas gefragt hatte. Alles lag im Nebel. Sie erinnerte sich auch nicht, wie sie ins Krankenhaus gekommen war. Morgens war sie in einem Krankenhausbett aufgewacht und ließ sich alles erzählen. Glücklicherweise war sie jetzt ganz ruhig, man musste ihr wohl irgendwas gespritzt haben. Egal, Hauptsache, es ging ihr besser und sie konnte nach Hause.

      22. November, etwas später

      Günnur stand mit Torsten vor der Haustür von Eva Berger, der Exfrau des Toten. Sie hoffte, dass die um diese Uhrzeit zu Hause war. Eine zierliche dunkelhaarige sympatisch aussehende Frau Anfang 50 öffnete ihnen. Todesnachrichten an Angehörige zu überbringen war eine der schlimmsten Aufgaben ihres Berufs. Glücklicherweise waren sie durch ihr hervorragendes Polizeipsychologenteam geschult und konnten sich jederzeit an sie wenden, wenn es ihrer eigenen Seele zuviel wurde, mit dem Schmerz der Angehörigen umzugehen.

      Das würde heute nicht unbedingt der Fall sein. Sie sagte ihr vorsichtig, dass ihr Exmann tot im Wald aufgefunden wurde und dass es wahrscheinlich ein Unfall beim Geocaching war. Eva Berger war sprachlos über das, was Günnur ihr mitteilen musste und setzte sich auf das Sofa, wo sie den Kopf in die Hände stützte. Sie seufzte schwer. „Frau Berger, können wir etwas für Sie tun?“ sagte Günnur mitfühlend und setzte sich neben sie.

      „Nein, nein, schon in Ordnung,“ sagte sie und Tränen rollten ihr aus den Augen. „Er war mein Exmann und das nicht ohne Grund, aber dass er tot ist...“ sie holte schwer Luft. „... das schockt mich nun doch zutiefst. Aber es wundert mich nicht. Er war als Sportler immer schon risikobereit und das, was er über seine Cacher-Aktivitäten erzählt hat – ich hab mich immer schon gefragt, wann er sich da mal schwerer verletzt als ein paar Schrammen...“ Sie überlegte kurz und fragte: „Kann es Mord gewesen sein?“

      „Wie kommen Sie auf diese Annahme?“ fragte Günnur zurück.

      „Kann ich meine Tochter anrufen?“ sagte Eva Berger als Erwiderung. „Ich möchte, dass sie so schnell wie möglich herkommt.“

      „Selbstverständlich!“ versicherte Günnur. „Das ist auch gut für Sie beide, dass Sie dann nicht alleine sind. Aber erzählen Sie ihr bitte nichts vom Tod ihres Vaters am Telefon.“

      „Sie wohnt sowieso bei mir, sie studiert Jura hier an der Uni, es ist einfach günstiger, für mich, wenn sie hier wohnt, außerdem verstehen wir uns wirklich sehr gut“, erzählte Eva Berger, nachdem sie ihre Tochter Katharina erreicht hatte, die sofort aufbrechen wollte.

      „Wir haben ungefähr eine halbe Stunde, bis sie hier ist, die möchte ich nutzen, um Ihnen einige Dinge zu erzählen, die Katharina nicht weiß oder die sie nicht hören soll“, sagte Eva Berger. „Bevor Sie es von anderer Seite erfahren oder lange rumrecherchieren, erzähle ich es Ihnen lieber selber. Dann ahnen Sie vielleicht, warum ich Sie gefragt habe, ob es auch Mord gewesen sein könnte.“

      Günnur und Torsten setzten sich ebenfalls und sahen die Frau erwartungsvoll an.

      „Ich bin seit 16 Jahren von meinem Mann geschieden.“ begann sie. „Es war die absolute Ehehölle, wie es schlimmer nicht hätte sein können. Vor 16 Jahren hätte ich wirklich Mordmotive haben können, so wie Clemens mich behandelt hat. Er hat mich während unserer siebenjährigen Ehe unzählige Male brutalstens vergewaltigt und geschlagen. Als ich von ihm so schlimm zugerichtet wurde, dass ich ins Krankenhaus musste, war es vorbei mit meiner Geduld. Ich musste auf mich und Katharina achtgeben. Die war damals sechs Jahre alt und es war schwierig genug, diese Szenen vor ihr zu verbergen.“

      Sie holte tief Luft. „Aber die Scheidung war ebenfalls die Hölle. Er hat hier aus der Sportszene so viele Freunde, dass darunter auch der Staranwalt der Stadt war, der die Scheidung so gedreht hat, dass er völlig ungeschoren herauskam, trotz meiner körperlichen Blessuren. Auf gut deutsch gesagt,“ fuhr sie fort, „er musste noch nie etwas für mich zahlen. Für Katharina natürlich schon. Aber das war mir dann auch egal, Hauptsache, ich war geschieden. Als Rechtsanwältin verdiene ich genug, um selbst für mich und Katharina sorgen zu können.“

      Günnur schaute Eva Berger an.