Franziska Frey

Sein letzter Cache


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Ort. Zudem schienen ihre Tränen und ihre Bestürzung echt zu sein – trotz ihrer leidvollen Erfahrungen. Manchmal konnte die Zeit zum Glück doch helfen, Wunden zu heilen, dachte sie.

      „Was ich sagen will“, setzte Eva ihren Bericht fort, „durch verschiedene Quellen weiß ich, dass Clemens’ Liebesleben durchaus turbulent weitergegangen ist. Er hatte unzählige kürzere oder auch längere Beziehungen zu Frauen. Die waren eigentlich immer sehr viel jünger als er. Wir wurden geschieden, da waren wir beide Ende dreißig. Ich weiß nicht alles, aber alle Beziehungen, von denen ich wusste, auch meistens durch meine Tochter, waren Studentinnen oder auf jeden Fall junge Frauen so um die Zwanzig. Immer gutaussehend, immer jung, immer sportlich. Auf das Äußere hat er großen Wert gelegt, nicht nur bei sich selber, sondern eben auch bei seinen Geliebten. Was er hatte, war neben seinem guten Aussehen Charme und Geld. Mit Aussehen und Charme hat er mich damals rumgekriegt. So wird das auch mit seinen anderen Beziehungen gewesen sein. Und wenn er den jungen Mädchen dann noch ab und an eine Markenklamotte spendiert hat... Sie verstehen?“ sagte sie zu Günnur.

      Die verstand natürlich, ebenso wie Torsten, der murmelte: „Frauen können echt naiv sein...“ Günnur musste innerlich grinsen, denn Torsten hatte mit seinem doch eher mittelmäßigen Aussehen und Einkommen einen einfach goldenen Charakter und war seit Jahren glücklich mit seiner Frau und seinen beiden Kindern.

      „Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass er mit all diesen jungen Frauen das Gleiche gemacht hat wie mit mir“, fuhr Eva fort. „Frauen zu erniedrigen war einfach lebenswichtig für ihn und seinen richtigen sexuellen Kick hat er scheinbar nur durch Gewalt bekommen.“

      Ohne es zu bemerken bekamen sowohl Günnur als auch Torsten einen angewiderten Gesichtsausdruck. Wenn Günnur etwas leidenschaftlich hasste, war es Gewalt gegen Frauen, egal, welcher Art. Sie hatte beruflich leider viel zu viel mit diesem Gebiet zu tun. Dass es Torsten ähnlich ging, wusste sie aus ihrer Zusammenarbeit und ihren Gesprächen. In diesen Fällen hatte sie immer besonders akribisch recherchiert und die meisten auch zu ihrer Zufriedenheit aufgeklärt.

      „Ich weiß nicht, ob eine dieser Frauen sich mit Rachegedanken trug“, sagte Eva. „Bei dem, was mir mit Clemens passiert ist, würde es mich nicht wundern. Er kann ja nicht immer nur an den Typ Frau geraten, der sich nicht wehrt, obwohl er dafür ein gutes Händchen zu haben schien. Ich will um Gotteswillen niemanden verdächtigen, sondern Ihnen nur die Lage um Clemens herum offen erläutern.“

      Günnur schoss sofort Barbara Groß in den Kopf. Sie musste sie unbedingt noch einmal sprechen, am besten offiziell vernehmen. Das, was Eva Berger erzählte, ließ Barbara Groß sofort in den engen Verdächtigenkreis kommen. Aber was sollte sie gemacht haben? Ihn von der Buche runterschubsen? Von unten an seinem Seil ziehen? Das wäre eine Möglichkeit. Aber zunächst musste sie auf das Obduktionsergebnis warten, dass hoffentlich heute oder morgen vorlag. Vorher war alles wilde Spekulation.

      „Dann ist da noch das Schlachtfeld seines Berufes“ sagte Eva. „Er ist seit einigen Jahren Schulinspektor und da hat er sich auch nicht gerade beliebt gemacht, was man so hört. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal was von der Schulinspektion gehört haben?“ wandte sie sich an Günnur und Torsten.

      Günnur erinnerte sich vage, dass die Grundschule ihrer Kinder vor ungefähr zwei Jahren inspiziert wurde. Auf jeden Fall war Lale da noch im Kindergarten und Serdar war in der zweiten Klasse. Sie mussten in der Phase vor der Inspektion als Eltern einen seitenlangen Fragebogen mit gefühlten hundert Fragen ausfüllen, was Günnur absolut nervte, aber weil sie die Lehrerinnen unterstützen wollte und gut fand, nahm sie sich die Zeit. Die Schule hatte gut abgeschnitten, was sie dem Brief der Rektorin nach der Inspektion entnahm. Ihr war das nicht wichtig. Viel wichtiger war, dass Serdar gut klarkam mit seiner Klassenlehrerin, sich wohlfühlte und genug lernte. Das war alles der Fall. Also wozu dieser Aufwand? Sie fand, dass auch in ihrem Arbeitsbereich die Verwaltung und Kontrolle überhand nahmen und daher taten ihr die Lehrkräfte Leid, die zusätzlich zu ihrem harten Job auch noch solchen Schwachsinn machen mussten.

      „Klar“, grinste Torsten. „Das Gymnasium meines Sohnes ist durchgefallen, was glauben Sie, was das für einen Aufstand gab! Hat aber nichts genützt, die mussten zur Nachinspektion antreten. Die hat gut geklappt, aber das muss ein Riesenarbeitsaufwand für die Lehrer gewesen sein! Totaler Blödsinn, wenn Sie mich fragen, die arbeiten genauso gut wie jedes andere Gymnasium auch, finde ich.“

      „Ja, außer den Inspektoren und dem Kultusministerium gibt es anscheinend niemanden, der die Inspektion gut findet, scheint mir“, sagte Eva. „Clemens war als besonders hart verschrien. Unsere Stadt ist ja nicht besonders groß und so bin sogar ich mehrmals von aufgebrachten Schulleitern angerufen worden. Die haben versucht, mich zu beschimpfen, was ich denn für einen miesen Mann habe. Aber die sind schnell still geworden, als ich ihnen erzählt habe, dass ich seine EX-Frau bin. Einige wurden dann besonders redselig und haben ihren Kummer von der Seele geredet. Und ich sage Ihnen, das hat mir durchaus gut getan zu hören, wie sie unter ihm gelitten haben. Es waren in gewisser Hinsicht Leidensgenossinnen für mich. Ach...“ sie hielt inne. „Mir fällt gerade auf, dass mich noch nie ein Mann angerufen hat! Es waren immer Frauen, die mit ihm Probleme hatten. Aber das wundert mich nicht. Wie gesagt, er hat wirklich viele Freunde – also Männerfreunde, Kumpels eben. Immer schon.“

      Innerlich stöhnte Günnur auf. Das, was Eva ihnen erzählte - wenn es denn stimmte - machte immer deutlicher, dass sie da einen besonderen Fiesling als Toten hatten. Das machte ihre Arbeit nicht einfacher, denn außer der Tatsache, dass es nach wie vor ein Unfall sein konnte, wuchsen die Kreise der Tatverdächtigen an. Torsten und sie würden ordentlich recherchieren und viele Gespräche führen müssen. Sie war froh, dass sie Eva nicht die genauen Todesumstände ihres Exmannes gesagt hatten.

      „Na ja, aber ich weiß nicht, ob das ausreicht, um Mordgelüste zu bekommen und dann auch wirklich durchzuführen“ überlegte Eva laut. „Job ist Job und dafür riskiere ich doch nicht einen Gefängnisaufenthalt und meinen Arbeitsplatz! Der war denen ja weiterhin sicher, auch wenn ihre Schule geschlossen wurde.“

      „Wie jetzt?“ fragte Günnur nach. „Wieso wurden nach Inspektionen Schulen geschlossen?“

      „Das müssen Sie mich nicht fragen“ erklärte Eva. „Ich weiß nur von drei kleinen Grundschulen in Nachbardörfern, die recht schnell nach einer Inspektion durch Clemens geschlossen wurden. Sie waren durchgefallen und es schien mir so, dass die Gemeinden darauf nur gewartet hatten und die Inspektion als letzten Vorwand benutzt haben, um Schulen zu schließen beziehungsweise zusammenzulegen. Die waren wegen der sinkenden Schülerzahlen sowieso schon ganz klein geworden. Das ist damals auch ordentlich durch die Presse gegangen damals“, schloss sie an. „Die drei Schulleiterinnen sind an Schulen weit weg versetzt worden. „Amtsangemessene Unterbringungsmöglichkeit“ nennt man das im Behördendeutsch.“

      Günnur bedauerte wieder mal, dass sie eine so miese lokale Zeitungsleserin war. Den Lokalteil überflog sie eigentlich nur und las die für sie interessanten Artikel. Das waren meistens die, die mit ihrer Arbeit zu tun hatten. Alles andere an lokalen Ereignissen interessierte sie nicht und das Überregionale war besser in den Fernsehnachrichten zu verfolgen. Sie hatte also von dem, was Eva erzählte, keinen blassen Schimmer, notierte sich aber „Pressearchiv Schulschließungen“. Gute Recherchearbeit für den Praktikanten! Es würden Gespräche mit den Schulleiterinnen und den Gemeinden folgen. Die Liste wurde immer länger...

      „Übrigens, bevor sie kommt“ sagte Eva, „zu unserer Tochter Katharina hat er eine ganz besondere Beziehung gehabt. Und trotz allem, was er mir angetan hat – wie kritisch ich auch geschaut habe und wie viel Angst ich um sie ausgestanden habe - auf sie hat er all das Frauenverachtende nicht projiziert. Er war wirklich ein Bilderbuchvater, egal in welchem Alter Katharina war. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich ihm ein Stück weit verziehen habe. Zu sehen, dass er ein wirklich guter Vater war und versucht hat, alles richtig zu machen, war beruhigend für mich. Katharina weiß auch nichts über unsere Probleme in der Ehe und den wirklichen Scheidungsgrund,“ schloss sie an. „Allerdings kann sie auch eins und eins zusammenzählen und ich glaube, sie hat so Einiges an seinen Beziehungen mitbekommen. Inzwischen ist sie fast in dem Alter seiner Freundinnen. Da schien