J.C. Caissen

Eisblumen im Blaubeerwald


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hier oder?“ Corinna sieht ihm freudig entgegen. „Nein, keine anderen Boote, hier kannst du nackt baden. Eine Insel, nur für dich allein, von mir, mein Schatz.“ Er gibt Corinna im Vorbeigehen einen Kuss. „Jetzt will ich erst mal die Fische ausnehmen und räuchern. Komm Dennis, du kannst mir helfen.“ André balanciert über die weichen Felsen runter ans Ufer und fängt an, die Fische auszunehmen, sie zu salzen und auf den Rost des kleinen Räucherofens zu legen. Dennis hat er auch ein Messer gegeben und der macht nach, was André ihm vormacht. Er wirft die Gedärme seines Fisches ins Wasser. „Halt. Stopp. Das darfst du gleich wieder aus dem Wasser hochholen. Du willst doch hier nachher und morgen noch baden oder? Was meinst du, wie das Wasser anfängt zu stinken, wenn wir das mit allen Fischen so machen. Die Reste sammeln wir und legen sie dann dort drüben, für uns gut sichtbar, auf den Felsen. So, daß Möwen oder auch Nerze die Überreste finden, das gibt dann ein schönes Spektakel für uns.“ Dennis steigt mit nackten Füßen ins Wasser und holt alle Reste wieder aus dem Wasser. Später legen sie die Überreste aller Fische auf den Felsen, und es sollte nicht lange dauern. Noch während André, Corinna und Dennis an Land sitzen und darauf warten, daß der Fisch fertig geräuchert ist, landen erst eine, dann immer mehr Möwen auf dem Wasser vor dem Felsen. Ganz ruhig liegen sie da und schaukeln ein wenig. Noch wagen sie nicht, noch näher heranzukommen, geschweige denn den Felsen zu erobern, aber der Fischduft läßt sie verharren und aufmerksam beobachten, was diese Menschen nun weiteres tun werden.

      André hat Knäckebrot aus dem Boot geholt, Salz dazu und Butter. Eine Büchse Bier in jeder Hosentasche und seine rauchende Pfeife im Mund, kommt er zurück an Land. Ein wunderbarer Duft vom Räucherofen breitet sich bereits in der Bucht aus. Dennis läuft das Wasser im Mund zusammen. Dann geht das Feuer im Räucherofen aus – der Fisch ist gar. André öffnet den Deckel und verteilt die geräucherten Heringe auf dem gebutterten Knäckebrot. Ein wenig Salz obendrauf, fertig ist das schnelle Abendessen. „Ich habe noch nie so was Gutes gegessen“. Dennis hat den Mund voll und genießt. „Einfach richtig lecker. Und alles absolut frisch und vor allem kostenlos“, pflichtet ihm Corinna bei. André ist glücklich, daß alle zufrieden sind. Er verteilt noch viele Knäckebrote.

      Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, hebt sich plötzlich eine der Möwen in die Luft und landet auf dem Fisch- Felsen. Ein lautes Gezeter und Geschrei hebt an, alle Möwen stürzen sich nun gleichzeitig auf den Felsen, auf dem die Mutigste bereits hastig die ersten Stücke verschlingt. Ein wildes Durcheinander beginnt. Alle fangen an zu picken, zu schlingen, die Flügel immer zur sofortigen Flucht bereit, hochgestellt und ausgebreitet. Sie hüpfen auf und nieder. Einige werfen den Kopf in den Nacken und schreien nur. Ist es eine Geste der Stärke, eine Verteidigung des Reviers oder das Herbeirufen anderer Möwen 'hier gibt es was'? Sie können nur raten. Was für ein wunderbares Schauspiel. So was haben Dennis und Corinna noch nie erlebt. Und es gefällt ihnen. Corinna raucht eine Zigarette und schnipst schließlich die Kippe zwischen Mittelfinger und Daumen weit weg. André steht von seinem Kissen auf, geht ohne ein Wort der Kippe nach, öffnet eine kleine Streichholzschachtel und stopft die Kippe dort hinein. „Was sammelst du denn da?“ Corinna ist neugierig. „Ja, weißt du, so etwas machen wir hier nicht. Wir gehen sehr sorgsam mit unserer Natur um. So ein Filter aus Kunststoff braucht sehr, sehr lange, bis er endlich verrottet, wenn überhaupt.“ Corinna fehlen die Worte, so sehr schämt sie sich jetzt. Ihr kommt eine Autofahrt in den Sinn, bei der ihre Mutter bei einer Pause einfach den vollen Aschenbecher am Trittbrett ausgeklopft hat, ausgeleert in den Rinnstein und liegengelassen. Daß ihr das heute noch in Erinnerung ist, zeigt schon, daß sie das damals nicht in Ordnung fand. Und jetzt tut sie hier Ähnliches. Sie nimmt sich vor, von nun an darauf zu achten, und sowieso sollte sie eigentlich so schnell wie möglich mit dem Rauchen aufhören. Das paßte doch irgendwie nicht. Wenn es nur nicht so schwer wäre. Wie nett André ihr das eben erklärt hat. Er hat sie nicht kritisiert, nicht geschimpft, sondern einfach nur erklärt und auch kein weiteres Wort mehr darüber verloren.

      Satt und nun auch schon ein wenig müde, verkriecht sich Dennis schließlich in der Kajüte in sein Bett. Noch ein paar Seiten lesen, dann fallen ihm die Augen zu. Das Wasser gluckert gemütlich und leise an die Bootswand. Draußen versinkt langsam die Sonne glutrot am Horizont.

      André und Corinna sitzen noch lange auf dem Felsen vor dem Boot. Stille legt sich über die Bucht und das Meer. Keine Boote, die noch ein Plätzchen für das bevorstehende Wochenende suchen, fahren mehr vorbei. Alle haben ihr Refugium gefunden. Die Höflichkeit gebietet, daß man nicht in einer Bucht anlegt, in der bereits ein anderes Boot liegt.

      Einige Wasservögel, Haubentaucher, zetern im Halbdunkel der herannahenden Nacht. Seeschwalben fliegen eilig und kreischend über die Wasseroberfläche. Von weit her hört man das Rufen der Eiderweibchen, die ihre Brut verteidigen.

      Dann ist alles still, einfach still. Das heißt, man hört nichts, absolut nichts mehr. Noch sehen sie einen hellen Streifen am Horizont und die Konturen der vorgelagerten Inseln im Inselmeer.

      André und Corinna sitzen noch am Felsen. Die Petroleumlampe gibt ein gemütliches Licht. Andrés Pfeife duftet würzig. Er schenkt nochmal nach in Corinnas Rotweinglas. „Was für ein schönes Leben, was für eine verzaubernde Natur und was für ein wunderschöner Abend. Ich liebe dich“, Corinna schmiegt sich an Andrés Schulte. Er bläst den Rauch seiner Pfeife aus „Ich liebe dich auch, ganz viel“.

      7

      Das Telefon klingelt. Corinna meldet sich. Ihr ehemaliger Chef aus Deutschland ist am Apparat. „Du, ich wollte dir nur sagen, daß mich heute die schwedische Botschaft in der Firma angerufen hat. Die haben versucht, dich zu erreichen. Ich habe gesagt, du rufst zurück.“ Corinnas Herz fing an heftig zu schlagen. Als sie sich bedankt und das Gespräch beendet ist, will sie sich erst einmal setzen, ist aber plötzlich viel zu nervös dazu. Seit sie sich vor acht Monaten entschlossen hat, nach Schweden auszuwandern, liegt ein Antrag bei der Botschaft, der jetzt wohl bearbeitet worden ist. Corinna kennt die Bestimmungen. Hat man einen Antrag gestellt, muß man in Deutschland warten, bis dieser genehmigt ist. Unter keinen Umständen darf man während der Antragszeit bereits nach Schweden einreisen, auch nicht als Tourist. Sie war jetzt schon seit drei Monaten in Schweden, arbeitete sogar schon dort, Dennis ging dort zur Deutschen Schule. Jetzt müßte sie wohl Farbe bekennen. Würde ihr Antrag dann noch genehmigt werden? Oder ging es auch anders? Sie könnte einfach so tun, als sei sie immer noch in Deutschland. Sie atmet mehrfach tief durch, nimmt den Hörer ab und wählt die Nummer der Schwedischen Botschaft in Bonn. Sie läßt sich mit der Dame verbinden, die sie heute Vormittag versuchte zu erreichen. Sie hofft, daß ihre Stimme ruhig klingt, als die Dame ihr mitteilt, sie könne morgen die Einreisegenehmigung abholen. „Morgen habe ich bereits einen anderen Termin, aber übermorgen, geht das?“ fragt Corinna. „Ja, das geht. Ich erwarte sie dann um 10 Uhr.“ Corinna legt auf und bereut sofort, daß sie nicht versucht hat, noch einen weiteren Tag an Zeit zu gewinnen, aber sie darf auf keinen Fall auffällig wirken. Abends bespricht sie den Anruf mit André. Sie beschließen, daß aus Gründen der Sicherheit, Dennis nicht mit nach Deutschland reisen darf. Was, wenn man sie dann zusammen doch festhalten würde? Dann wäre alles umsonst gewesen. Nein, das Risiko war zu groß. Corinna telefoniert noch am selben Abend mit Anjas Mutter und wie erwartet, ist es überhaupt kein Problem, daß Dennis die paar Tage bei ihnen wohnt. Am nächsten Vormittag fahren André und Corinna hastig nach Deutschland. Übermüdet kommen sie nach der langen Fahrt dort an, nehmen schnell ein Frühstück bei Freunden, machen sich frisch, dann parken sie vor der Botschaft. Corinna geht pünktlich allein in das Gebäude. Sie meint, die Sachbearbeiterin schaue sie ein wenig zu durchdringend an, aber das ist wahrscheinlich nur weil sie so gespannt ist. „Ja, hier haben wir jetzt die Papiere. Alles ist so weit klar. Sie müssen dann hier unterschreiben. Wann haben Sie vor, nach Schweden einzureisen?“ „Ja, ich dachte so schnell wie möglich“. Corinna grinst jetzt wohl ein wenig zu verschmitzt und selbstsicher, denn nun mustert sie die Dame mit kritischem Blick. „Ihre Firma konnte mir nicht sagen, wo ich sie erreichen konnte. Bei Ihnen daheim bekam ich keinen Anschluß. Sie waren doch wohl nicht zwischenzeitlich schon in Schweden? Sie wissen, daß das nicht erlaubt ist während der Prüfungsperiode.“ „Aber woher, das ist mir doch bekannt. Nein, nein, ich war nur gerade ein paar Tage bei meinen Eltern.“ Corinna unterschreibt die Papiere, bekommt ihren Pass ausgehändigt und verläßt das Gebäude so schnell wie möglich. Draußen, in Andrés Wagen, pustet sie erst einmal