J.C. Caissen

Eisblumen im Blaubeerwald


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hübsch gezimmert aus dem reichlich vorhandenen Kiefernholz, viele rot mit weißen Zierstreifen, mit sprossenverglasten Fenstern, dem schwarzen Schornstein und der übergroßen Nationalflagge. Gelbes Kreuz auf blauem Grund, so flattern sie mächtig im Wind auf jedem Grundstück, dessen Besitzer etwas auf sich hält.

      Sattes Grün umgibt die Häuser, weiße Gartenmöbel, gedeckter Tisch mit wehendem, bunten Tischtuch, einer Blumenvase obendrauf mit wilden Blumen, laden zu Kaffee und Kuchen ein. Corinna kann sich nicht satt sehen an dieser Bullerbü-Idylle. Und immer wieder tauchen neue, noch schönere, noch größere, dann wieder niedlichere, idyllischere Häuser und Grundstücke auf. Sie fahren vorbei an kleinen Inseln, manchmal nur bebaut mit einem einzigen Haus und natürlich auch hier geschmückt mit der weithin sichtbaren, flatternden Nationalflagge. Ein Boot am Anlegesteg sorgt für den Transport zur und von der Insel.

      André hat die Seekarte vor sich auf dem Kartentisch oberhalb des Armaturenbretts liegen und folgt der von ihm eingezeichneten Route, die er durch Bleistiftlinien, Markierungen, Kurse mit Gradzahlen und Distanzangaben ergänzt hat. Er ist diese Strecke vorher schon mehrere hundert Male gefahren und trotzdem, nach richtiger Seemannsmanier, hält er sich immer bereit für ein eventuell aufkommendes Unwetter oder Nebel. Da hilft es dann plötzlich nicht mehr, daß man an dieser Insel schon so viele Male vorbeigefahren ist, so daß man sie auswendig kann. Kommt man im Nebel von der ausgezeichneten Fahrrinne ab, lauern Untiefen und Klippen, die das Boot schnell zum Sinken bringen können. Da helfen nur Seekarte, Kompass, Zirkel, Dreieckslineal und Distanzlog. Und André läßt sich da auch ruhig und unbeirrt von Corinna belächeln, die auf den wolkenlosen Himmel deutet und diese Vorsicht für übertrieben hält. Einige Monate später wird sie ihm noch für seine Genauigkeit dankbar sein. Dennis hält sich da völlig raus und hat sich mittlerweile unten in die Kajüte verzogen, liegt auf seiner gemütlichen Bettdecke und schmökert in alten Micky Mouse Heften aus Deutschland.

      André drosselt die Geschwindigkeit. Sie fahren durch enge Wasserpassagen, hindurch zwischen sich zu beiden Seiten erhebenden, schroffen und scharfkantigen Klippen, in deren Jahrtausende alten marmorierten Gesteinsfurchen es vereinzelten Krüppelkiefern geglückt ist, sich mit ihren verästelten Wurzeln krampfhaft festzuhalten. Hinter der nächsten Wasserkurve öffnet sich dann wiederum eine breitere, vom Sonnenlicht durchflutete, Passage, mit riesigen, flachen und weich geschwungenen Felsen, die zu einem Sonnenbad einladen. Die scharfen Strukturen in verschiedenen Sandfarben, die den ganzen Stein durchziehen, erzählen von den dramatischen und längst vergessenen Begebenheiten der letzten Eiszeit. Corinna schmiegt sich an André „Kannst du dir vorstellen, wie glücklich ich bin? Du lebst in einem wunderbaren Land. Ich kann mich gar nicht sattsehen an all der Schönheit“. „Oh ja, man sieht es dir an. Du strahlst ja nur noch. Wie schön, daß du mein Land genauso liebst wie ich“. André schaut unten in die Kajüte „Dennis, willst Du mal eine Weile steuern?“ Wie der Blitz springt Dennis vom Bett und die zwei Stufen hoch zum Steuerstand. „Au ja, meinst du denn, daß ich das kann?“ Corinna macht ihren Platz frei, so daß André neben Dennis sitzen kann, der sich jetzt hinter das Steuer schwingt. „Warum denn nicht? Andreas fährt schon seit Jahren, schon solange wie wir mit der Familie draußen ins Inselmeer gefahren sind“. Er überläßt Dennis das Steuer und erklärt die Bedeutung der verschiedenen Wasserzeichen und wie man sie auf der Seekarte findet und sich daran orientiert. Dennis steuert ruhig durch die Fahrrinne. Das Gaspedal braucht er bei der gemäßigten Fahrt nicht zu bedienen. André zeigt ihm das weiße Schild mit rotem Rand für die Geschwindigkeitsbegrenzung, das fest verankert auf einem der Felsen rechts neben der Fahrrinne steht. 7 Knoten, das ist die richtige Geschwindigkeit für Dennis, um das Steuern zu lernen. „Hier auf dem Log kontrollierst du die Geschwindigkeit des Bootes“. André zeigt mit dem Finger auf die Scheibe am Armaturenbrett. „Und, was liest du da?“ „7 oder 8 Knoten?“ „Ja, das stimmt. Das kannst du so lassen. Fahr ruhig so weiter und halte dich schön in der Mitte der Fahrrinne“. Dennis ist verdammt stolz. Ganz aufrecht sitzt er auf dem Fahrerplatz, sonst würde er auch gar nicht über das Steuer hinwegsehen können. Corinna beobachtet die beiden schweigend und denkt, daß André auch noch obendrein ein sehr liebevoller Vater ist. André schaut sie plötzlich lächelnd an - sein Blick geht ihr genau ins Herz - und sie lächelt zurück.

      Nach einer guten Weile öffnet sich die Passage zu einer weiten Bucht und voraus am Horizont ist das offene Meer zu sehen. Eine gleißende Wasseroberfläche in grellen Hellblau- und Weißtönen liegt vor ihnen. Tausend funkelnde Sterne tanzen glitzernd auf den Wellen. „Ist das schön“. Corinna staunt nur. „Na, dann will ich mal wieder das Steuer übernehmen. Das hast du richtig genug gemacht, Dennis. Schau mal, da vorn biegen wir wieder in eine recht enge Passage ein. Und da werden wir eine kleine, ganz spezielle Pause machen“. Dennis schwingt sich wieder vom Sitz und bleibt gespannt im Gang stehen. André übernimmt das Steuer und gibt ein wenig mehr Gas, steuert das Boot durch die weite Fahrrinne und dann im großen Bogen nach Steuerbord zwischen zwei steil abfallende Felsen. „So, jetzt legen wir hier, genau hier in dieser 'Durchfahrt', den Anker. Dennis, holst Du bitte den Angelkasten aus dem Schrank.“ Dennis kramt in einem der Schränke und zieht einen großen Plastikkasten hervor. „Ja, wie, und wo sollen wir jetzt stehen und die Angeln auswerfen?“ Dennis hat bisher noch nicht so oft geangelt. Ja, in Deutschland schon mal, an so einem 'Put and Take'-See. Eigentlich ganz schön langweilig, wenn man die Fische herausholt und bezahlen muß, die vorher erst in den See gesetzt wurden. Aber damals war auch das schön. „Warte es ab. Ich bin gleich so weit. So, der Anker liegt perfekt und sitzt gut, den muß ich nur noch spannen. Jetzt komme ich rüber zu dir. Corinna, kannst du uns den weißen Eimer holen, der steht im Schrank unter der Spüle.“ André hat den Motor abgestellt. Das Boot liegt jetzt ganz ruhig und dreht sich nur leicht im Wind um die eigene Achse oder besser um den Anker herum, bis es schließlich still vor Anker liegt. André öffnet den Angelkasten und entnimmt ihm zwei Papprollen, auf die Angelschnur mit vielen Haken aufgewickelt ist. Vorsichtig löst er die kleine Öse und den ersten Haken, dessen Widerhaken fest in der Papprolle sitzt. Die Öse befestigt er an einer kurzen Heringsangel. Dann rollt er die Angelschnur, an der sich insgesamt sechs Haken befinden, ein wenig ab. Er reicht Dennis die Angel „Jetzt lehnst du dich hier über die Reling, ohne rauszufallen natürlich, löst hier die Sperre am Griff und läßt die gesamte Angelschnur mit allen Haken einfach im Wasser in die Tiefe gleiten. Das Bleigewicht am Ende der Angelschnur zieht sie ganz von selbst runter. Probier das mal.“ Dennis hängt die Angel über die Reling und löst die Sperre. Leise surrend senkt sich die Schnur mit den Haken in die Tiefe, weiter, immer weiter, bis die Angelschnur zu Ende ist. „So, und nun rückst du ab und zu ein wenig, damit die Haken da unten auch in Bewegung sind und schön blinken. Und dann schau'n wir mal, was sich hier so tut“. Dennis rückt ab und zu die kurze Angel etwas in die Höhe. André rollt jetzt auch die zweite Handangel aus und läßt sie in die Tiefe gleiten.„Wie tief ist es denn hier?“ fragt Corinna . „Ich schätze 40-50 Meter, wir können aber auch nachher mal in der Seekarte nachschauen.“ „Du, André, da zappelt was“. Dennis ist ganz aufgeregt. „Ja, so muß das auch sein. Jetzt warte noch eine Weile, denn an den anderen Haken sollen ja auch noch Fische anbeißen.“ Dennis schaut runter in das tief schwarze Wasser. Plötzlich ist seine ganze Hand in Bewegung. Sie rückt und zappelt. „Soll ich jetzt einziehen?“ Dennis schaut zu André rüber. „Ja, dann roll mal die Angelschnur schön langsam ein“. Je mehr Schnur Dennis aufrollt mit seiner Kurbel, um so schwerer und zappeliger wird seine Angel. Schließlich kommt der erste Haken an die Wasseroberfläche, und ein weißgrauer, fetter Hering zappelt daran. Gefräßig hat er den Haken verschluckt und versucht nun, mit hin- und her schlagenden Bewegungen ihn wieder loszuwerden. Der nächste Haken taucht auf, diesmal mit einem etwas kleineren Hering, es folgen weitere vier Heringe und nun rollt auch André seine zitternde Angel auf. Mit geschickten Handgriffen zeigt er Dennis, wie man den Haken schnell und schmerzlos aus dem Maul des Herings entfernt. Die Heringe landen, einer nach dem anderen, im Eimer. Und schon werden die Angeln wieder in die Tiefe gelassen. „Das macht ja richtig Spaß“. Dennis ist begeistert. Zwanzig Minuten genügen, um den Eimer zu füllen und für ein schönes Abendessen zu sorgen. Mittlerweile hat sich eine Schar von Heringsmöwen ums Boot herum versammelt. Deren feiner Geruchssinn hat sie hierher geleitet. Corinna wirft den kleinsten der Fische zu ihnen herüber und schon hebt sich die ganze Schar kreischend in die Luft und stürzt sich auf die Stelle, an der der Hering ins Wasser sinkt. Nur einer Möwe gelingt es, den Hering zu schnappen. Den Fisch quer