Claus-Peter Bügler

Chong


Скачать книгу

glotzt du so dämlich, du Schlitzauge? Willst du was aufs Maul?<<, hörte Chong einen anderen rufen.

      Er lächelte gelassen über das ganze Gesicht, während er langsam an die Gruppe herantrat. >>Bitte, ich bin bereit ... <<

      Der Wortführer der Bande, ein langhaariger, unrasierter Schmuddeltyp in Jeans und Lederjacke, beäugte Chong wie einen Geistesgestörten. Ein leises Klicken ertönte und schon lugte zwischen den Fingern des Langhaarigen die silbrig-glänzende Klinge eines Stiletts blutgierig hervor. Die Spitze deutete auf Chongs Brust. >>Du bist offensichtlich nicht ganz normal, Alter ... wir sind zu fünft ... und wir werden dir gleich deinen gelben Arsch aufreißen, dass du es dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst ... <<

      Aus den Augenwinkeln konnte Chong nun erkennen, dass seine Gegner sich langsam verteilten, um ihn einzukreisen. Die meisten waren mit Flaschen und Messern bewaffnet, während ein dicker, rundlicher Kerl eine umgeschmiedete Fahrradkette in seinen fleischigen Wurstfingern umklammert hielt. Sein verschwitztes, rosafarbenes Gesicht versuchte zu grinsen, während der über seinem Gürtel schwabbelnde Fleischberg mit jedem Atemzug auf und nieder hüpfte.

      Dann ging es los ...

      Chong sah gerade noch rechtzeitig das Messer auf sich zuschießen, hörte das bedrohliche, böse Zischen der Klinge und duckte sich. Das Messer schoss über seinen Kopf hinweg und bohrte sich dem Kerl, der hinter ihm stand, bis zum Schaft ins rechte Auge. Der stieß einen markerschütternden Schrei aus und sackte zusammen, doch Chong hatte keine Zeit auf ihn zu achten. Er hechtete zur Seite, rollte sich ab, um aus dem Zentrum der Schläger herauszugelangen.

      Der Langhaarige starrte fassungslos auf die blutige Klinge in seiner Hand, dann wieder auf den sich vor Schmerzen am Boden krümmenden Mann und urplötzlich spiegelte sich in seinen Zügen grenzenlose Wut. >>Macht den Scheißkerl fertig ... legt das Arschloch um ... reißt ihm seine verdammten Eier ab ... lasst ihn nicht entkommen ... <<, schrie er hasserfüllt.

      Schon stürzten sich die verbliebenen vier gleichzeitig auf Chong.

      Mit einem blitzschnellen, rückwärts gedrehten Fußtritt trat Chong einem der Schläger die Bierflasche aus der Hand und setzt ihn mit einem hammerharten Kick zum Kopf außer Gefecht, als ihn die Fahrradkette mit aller Wucht im Rücken traf. Ein wahnsinniger Schmerz jagte wie ein Expresszug durch Chongs Körper, lähmte ihn förmlich, ließ ihn für ein paar Sekunden straucheln.

      >>Ich hab' ihn erwischt<<, jubelte der Dicke.

      >>Und jetzt ... <<

      Chong spürte, dass sich etwas Kaltes, Unnachgiebiges um seinen Hals legte und fühlte das Blut in seinen Schläfen hämmern und klopfen. Es dauerte eine Weile, bis sein Gehirn registrierte was sich abspielte, bis ihm klar wurde, dass gerade jemand dabei war, ihn unbarmherzig und eiskalt mit einer Fahrradkette zu erwürgen. Unzählige Schläge und Tritte prasselten unaufhörlich auf seinen Körper nieder. Vor seinen Augen begann sich bereits alles zu drehen, während seine Finger sich an der seinen Hals umschließenden Fahrradkette entlang tasteten und fieberhaft nach den Händen seines Würgers suchten. Chong wusste, dass dies seine einzige Chance war.

      Endlich ertastete er etwas, das sich wie Daumen anfühlte. Es gab ein ekelhaftes, hässliches Geräusch, als der Knochen brach, wie ein dürrer Zweig der zerknackt.

      Der Dicke stieß einen grellen Schrei aus und Chong konnte spüren wie sich der Druck, den die Kette auf seinen Hals ausgeübt hatte, schlagartig auflöste. Blitzschnell schlug er dem Dicken seinen Ellbogen ins Gesicht, wich geschmeidig dem Angriff des Kerls rechts vor sich aus, dem er mit einem Seitwärtstritt den Kiefer brach, als auch schon eine Messerklinge über Chongs Oberarm schrammte, den Stoff auftrennte und eine zehn Zentimeter lange, haarnadelfeine rote Linie auf der Haut zurückließ. Der Messerstecher stieß mit einem lauten, wütenden Aufschrei erneut zu, doch Chong war auf den Angriff vorbereitet. Er wich zur Seite aus, ließ die Messerklinge an sich vorbeizischen, ergriff das Handgelenk des Angreifers und führte einen harten Kniestoß zu dessen Ellbogen aus. Der brüllte wie ein wilder Stier, als sein Arm wie ein Streichholz brach.

      >>Na, was ist? Ist dir die Lust schon vergangen? Wolltest du mir nicht eben noch aufs Maul hauen, oder irre ich mich da?<<, wandte sich Chong gefährlich ruhig an den Langhaarigen.

      Der blickte unschlüssig zwischen dem Messer in seiner Hand und Chong hin und her. Dann wischte er sich plötzlich die blutige Klinge kurzerhand am Hosenbein ab, klappte das Messer zusammen und rannte wie vom Teufel gejagt davon. Chong wollte hinterher, doch der Dicke warf sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn und sie stürzten beide zu Boden.

      Chong hatte keine große Mühe seinen korpulenten Gegner, der durch seine unlängst gebrochenen Daumen sichtlich gehandicapt war, unter Kontrolle zu bekommen. Der Dicke schwitzte und ächzte, zappelte wie ein Fisch, winselte vor Schmerz und Erschöpfung, als Chong ihm hart den Ellbogen in die Leber rammte.

      >>Jetzt wirst du am eigenen Leib erfahren wie es ist, wenn man gewürgt wird ... merk' dir die Lektion gut<<, sagte Chong kühl, während er dem Dicken dessen ledernen Gürtel aus der Hose zog.

      Das Pfannkuchengesicht mutierte schlagartig von rosarot in eine fahlgraue Leichenblässe, denn der Dicke ahnte nur zu gut, was ihm bevorstand.

      >>Ich werde dir jetzt aus deinem Gürtel eine hübsche, nette, kleine Schlinge machen und sie dir um deinen fetten Hals legen. Vorher ... << Chong lächelte sanft. >> … hätte ich ganz gerne ein paar Fragen von dir beantwortet ... <<

      >>Einen Scheiß werde ich tun<<, schnaubte und keuchte der Dicke. >>Du wirst es nicht wagen ... <<

      >>So, meinst du wirklich? Wie du willst ... ganz offensichtlich stehst du auf die harte Tour — hätte ich eigentlich nicht von dir erwartet, aber ... wenn du es so willst — bitte ... << Chong zerrte seinen weitaus schwereren Gegner mühelos zu der gut hüfthohen Brüstung am Wegrand, die das Ufer von der Seine abgrenzte. Mit leisem, gedämpftem Murmeln trieb der Fluss dahin, wobei er immer wieder kleine schaumige Wellen gegen das Ufer warf. Chong knotete das andere Ende des Gürtels an der Brüstung fest und stemmte schließlich seinen massigen Gegner wie ein Spielzeug in die Höhe, um ihn über das Geländer zu wuchten.

      Der war mittlerweile von Panik und Erschöpfung geradezu gelähmt.

      >>Also ... bist du jetzt endlich bereit, mit mir ein bisschen zu plaudern? Oder soll ich loslassen und zusehen wie du dich strangulierst?<<

      Der Dicke schüttelte heftig den Kopf.

      >>Na endlich wirst du vernünftig ... wird aber auch Zeit<<, sagte Chong lächelnd, doch registrierte, dass die Augäpfel des Kerls zitterten und nervös, geradezu suchend hin und her wanderten. >>Falls du nach deinen Freunden Ausschau hältst ... wie es aussieht haben sie dich im Stich gelassen ... genauso wie dein langhaariger Boss, der ebenfalls längst auf und davon ist.<<

      Langsam aber unaufhörlich begann die Abenddämmerung den Tag aufzufressen.

      >>Was ... was willst du von mir?<<, röchelte der Dicke schwerfällig.

      >>Nun ... sagen wir mal eine kleine Auskunft. Wer ist der langhaarige, zottelige Typ — und vor allem: wo finde ich ihn?<<

      >>Marcel, sein Name ist Marcel ... es gibt da ein Versteck ... tief unter der Erde ... in den Katakomben unter der Stadt ... dort halten wir uns oft auf ... <<

      >>Die Katakomben ... das klingt ja richtig romantisch.<<

      Als Geschichtsprofessor kannte Chong das viele Jahrhunderte alte riesige Labyrinth aus Stollen, Gängen und Höhlen tief unter Paris nur zu gut, wenngleich er noch nie die Gelegenheit gehabt hatte, jene berüchtigten Katakomben persönlich zu begutachten, doch das sollte sich schon bald ändern. Um die Katakomben, das wusste Chong, rankten sich unzählige schaurige Sagen und Legenden. Wahr ist, dass ein Teil jener unterirdischen Gewölbe in früheren Zeiten als eine Art Friedhof genutzt worden war. In manchen Abschnitten stapeln sich heute noch Skelette und Knochen bis unter die Decke. Für Touristen finden