Claus-Peter Bügler

Chong


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nippte gerade vorsichtig an seinem siedend heißen Kaffee. Heller war heilfroh, dass ihn der andere, der offenbar in Eile war, nicht angerempelt hatte, denn er trank seinen Kaffee lieber als ihn sich vom Jackett lecken zu müssen.

      Wenig später hörte er sich interessiert mit einem runden Dutzend weiterer Sicherheitsleute die Aufzeichnung an. Sie kam von einem Band und was den Männern spontan auffiel, war der geradezu fanatische, hasserfüllte und aggressive Klang der Stimme. Ansonsten verstand zunächst keiner auch nur ein einziges Wort.

      >>Shit ... das hört sich verdächtig nach Arabisch oder so etwas in der Art an ... Wir brauchen so schnell es geht einen Übersetzer<<, rief einer der Anwesenden schließlich und grapschte nach seinem Handy.

      >>Das war kein Verrückter ... ich glaube, wir haben ein ernstes Problem<<, warf Heller düster ein.

      Die Sicherheitsberaterin des Präsidenten starrte ihn fassungslos an. Allen steckte der Schrecken des 11. September noch tief in den Knochen und die Angst vor einem erneuten Terroranschlag wollte niemals mehr aus ihrem Bewusstsein weichen, so grausam war die Erinnerung.

      >>Informieren Sie bitte umgehend den Präsidenten ... womöglich haben wir es gerade mit einer erneuten Terrordrohung zu tun ... <<

      Einige Zeit später lag im Pentagon die schriftliche Übersetzung der Botschaft, die der offensichtlich ausländische Anrufer hinterlassen hatte, vor. Specialagent Heller griff nach dem Blatt und wurde beim Überfliegen des Textes bleich wie eine alte Leiche: Im Namen Allahs ... des Mächtigen ... des Weisen ... Wir sind die gerechten Krieger Allahs und sind bereit, für unseren Glauben und unsere Ziele zu sterben ... wenn ihr ... amerikanischen, imperialistischen Hunde ... diese Botschaft hört, ist der Tod bereits über euer Land hereingebrochen ... ihr werdet alle sterben ... Tod und Verderben euch allen ... mögen eure Seelen in der Hölle schmoren.

      Unter den Anwesenden machte sich schlagartig eine unangenehme, an den Nerven zerrende Stille breit.

      >>Diese fanatische Stimme ... das klingt nach<<, überlegte jemand.

      >>Karem-Abu Jossr.<<

      Die Sicherheitsberaterin des Präsidenten tätigte einen kurzen Anruf mir ihrem Handy und kurz darauf kam ein kahlköpfiger Mittvierziger schnaufend mit einer dicken Akte in den Raum gerannt. Sie nahm dem Mann rasch die Akte ab, überflog eilig die Seiten und wandte sich anschließend wieder an die restlichen anwesenden Pentagonmitglieder.

      >>Gentlemen ... Karem-Abu Jossr ... geboren am 10.11.1950 in Riad ... Sohn eines reichen Geschäftsmannes ... sechs weitere Geschwister ... Studium in Oxford und Harvard cum laude ... Promotion in Jura und Medizin ... hochintelligent, aber auch ebenso eiskalt, fanatisch und gewissenlos ... mit 20 Jahren bereits Extremist gewesen ... aktiver Al-Khaida-Terrorist über etliche Jahre hinweg ... wurde allerdings mit der Zeit immer machthungriger und gründete schließlich aus einer Al-Khaida-Splittergruppe eine eigenständige Terrororganisation ... wir hatten zuletzt vor Monaten was von ihm gehört ... aus Europa ... genauer aus Paris ... damals war vor einem Hotel, in dem überwiegend Amerikaner wohnen, eine Autobombe hochgegangen, nachdem uns ein arabischer Anrufer darauf hingewiesen hatte ... der Anrufer war zweifelsohne Jossr ... <<

      >>Dann müssen wir unverzüglich das ganze Land wegen der Gefahr eines drohenden Terroranschlags in Alarmbereitschaft versetzen.<<

      Die Sicherheitsberaterin nickte düster. >>Allerdings ... wenn etwas passiert, dann wissen wir momentan leider noch nicht wo ... <<

      Das Telefon läutete. Es war ein besonderes, rotes Telefon und stand auf einem dunklen Mahagonisideboard. Das Besondere daran war jedoch, dass die Leitung nur in dringenden, die innere Sicherheit gefährdenden Situationen von der jeweiligen Stelle benutzt werden durfte.

      >>Ich glaube, das ändert sich gerade<<, fügte Specialagent Heller düster hinzu, indem er auf das Telefon deutete.

      Es klingelte ein weiteres Mal, schrill und grell. Price, die Sicherheitsberaterin, fühlte wie ihr Herz zu hämmern begann. Als sie das letzte Mal jenen verdammten Hörer abgenommen hatte war es, um die Informationen über den Terroranschlag auf das World Trade Center in Empfang zu nehmen …

      Es klingelte erneut.

      >>Ich finde, wir sollten endlich rangehen<<, hörte Price jemand sagen und fasste sich ein Herz. Schweigend nahm sie den Anruf entgegen, holte tief Luft und wandte sich kurz darauf wieder an die sie umgebenden Männer: >>Gentlemen ... es hat eine heftige Explosion gegeben ... im New Yorker Hauptbahnhof ... die Lage vor Ort scheint ziemlich übel zu sein, denn die Sicherheitskräfte haben derzeit noch keinen Überblick über mögliche Opfer oder Verletzte ... offensichtlich hat sich irgendjemand selbst in die Luft gesprengt ... <<

      ***

      >>He Sie, hallo Sie ... kommen sie da weg ... gehen Sie runter von den Schienen ... mein Gott hören Sie nicht? Runter von den Schienen! Sind Sie noch normal?<<

      Der Mann, der da so stillschweigend auf den Gleisen stand, reagierte nicht. Lächelnd wie eine unbewegliche Statue stand er da, als würde er es genießen, von dem in irrsinnigem Tempo heranrasenden Schnellzug in Stücke gerissen zu werden. Er hatte schulterlanges, schwarzes Haar, die mit seinen dunklen, intensiven Augen harmonierten. Niemand konnte ahnen, dass sich unter dem nachtschwarzen Mantel des Mannes — ganz offensichtlich ein Orientale — rund 20 Kilogramm Sprengstoff versteckten. >>Tod ... Tod ... Tod über euch alle ... ihr werdet alle sterben ... ihr habt den Tod verdient ... <<, schrie er plötzlich und riss ruckartig die Hände in die Höhe. Im gleichen Augenblick wurde sein Körper von dem heranpreschenden Zug erfasst und hart durch die Luft geschleudert, als es auch schon einen ohrenbetäubenden Knall gab und ein widerlicher Regen aus Blut und Fleischfetzen auf die in Panik an den Bahnsteigen umherrennenden, schreienden Menschen niederging. Die Nase des Schnellzugs hob fast zwei Meter vom Boden ab, bis die Lok ächzend und stöhnend beinahe auf der Seite zu liegen kam und von den dahinterliegenden Waggons mit immer noch enormer Geschwindigkeit weitergeschoben wurde, geradewegs auf einen Güterzug zu, der 100.000 Liter hochexplosives Kerosin geladen hatte ...

      >>Raus hier ... schnell ... hier wird gleich alles in die Luft fliegen<<, schrie irgendwo ein Mann, während woanders Frauen und Kinder weinten und blutüberströmte Verletzte mit abgerissenen Gliedmaßen sich im Todeskampf verzweifelt auf dem Boden wälzten.

      Es war ein einziges Bild des Grauens.

      Specialagent Jamal hatte an jenem Tag eigentlich dienstfrei und nun fand er sich wider Erwarten in einem unfassbaren, katastrophalen Inferno wieder. >>Sieht aus wie nach einem Bombenangriff ... bin mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort<<, seufzte er.

      Die Explosion des Sprengstoffes, den der Selbstmörder am Leib gehabt hatte, war so immens gewesen, dass sie einen Teil des Bahnsteiges förmlich weggerissen hatte. Ein grauer Totenteppich aus Staub und Betonsplittern bedeckte den Boden, über den augenblicklich eine völlig verstörte, verängstigte Herde dahin rannte. Die Lok des entgleisten Zuges ragte über dem Kerosin-Zug auf, wie der schiefe Turm von Pisa, Flammen schlugen aus dem Motorblock.

      >>Du lieber Himmel ... meine Tochter ... meine Tochter ist in dem Zug ... <<

      >>Madam ... es tut mir leid ... sie können nicht weiter ... bitte kehren sie um ... bringen Sie sich in Sicherheit<<, gab Jamal ihr zu verstehen und bemühte sich seine Stimme ruhig und unbeteiligt klingen zu lassen, doch er spürte, wie seine eigenen Worte ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagten, denn unwillkürlich musste er an seine eigene Tochter Cathy denken ... Jamal drängte die Frau sanft aber bestimmt zurück. >>Ich werde versuchen, ihnen zu helfen ... aber Sie müssen mir versprechen — auch, wenn es schwerfällt — vernünftig zu bleiben ... versprechen Sie mir das?<<

      Sie nickte schwach.

      >>Okay, dann begeben Sie sich bitte zum Ostausgang ... dort sind Sie in Sicherheit.<< Jamal ließ sie stehen, ohne ihre Antwort abzuwarten, denn er hatte keine Zeit zu verlieren. Die brennende Lok zitterte und es machte den Eindruck, als wolle sie jeden Moment auf den Güterzug kippen.