Claus-Peter Bügler

Chong


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Konstruktion praktisch unerforscht. Über die tiefer in der Erde liegenden Abschnitte existieren keinerlei überlieferte Karten oder Ähnliches. Wahr ist aus eben diesem Grund, dass immer wieder Menschen in den Katakomben spurlos verschwinden, weil sie sich in den zahllosen unterirdischen Gängen verirren, ohne jemals wieder das Tageslicht zu sehen ...

      >>Hier ... in der Nähe ... Avenue St. Etienne ... dort kommt man am einfachsten rein ... <<

      ***

      Das Telefon läutete mittlerweile schon ewig. Schließlich krabbelte Su-Lin schlaftrunken unter ihrer kuscheligen Decke hervor, tapste benommen durch ihr dunkles Zimmer, betätigte unbeholfen den Lichtschalter und fragte sich fieberhaft, wieso und warum ihr Vater denn nicht ans Telefon ging. >>Immer auf die Kleinen ... ich komme ja, du dummes Telefon ... <<

      Kurz darauf nahm sie den Hörer ab und meldete sich mit einem schüchternen, zaghaften >>Hallo?<<

      >>Su-Lin?<<

      >>Mami?<<

      >>Kleines, Mami wollte eigentlich deinen Vater sprechen ... wieso bist du noch nicht in deinem Bett?<<

      >>War ich doch ... im Bett ... das Telefon hat mich geweckt<<, verteidigte sich Su-Lin entrüstet.

      >>Das tut mir leid, Liebes ... aber wieso bist du ans Telefon gegangen und nicht dein Papi? Er hat doch sicher ebenfalls das Läuten gehört, oder?<<

      Su-Lin biss sich verlegen auf die Unterlippe, während sie aufgeregt in die Stille der sie umgebenden Wohnung lauschte, die lediglich durch die Stimme aus dem Telefonhörer unterbrochen wurde. Dann kam ihr plötzlich eine Idee. Sie legte rasch den Hörer neben dem Telefon auf der kleinen Kommode ab und sauste in den angrenzenden Flur, um ihren Verdacht bestätigt zu sehen, denn mit einem Blick konnte sie feststellen, dass ein paar Schuhe — die ihres Vaters — fehlten. Auch der Wohnungsschlüssel hing nicht im Schlüsselkasten.

      >>Su-Lin? Su-Lin? Ich möchte, dass du mir auf der Stelle erklärst was hier vor sich geht ... <<

      Erschrocken hastete das Mädchen zum Telefon zurück. >>Vati ... er ... er ... also ... er wollte spazieren gehen ... genau ... er hat gesagt, dass er noch spazieren gehen wollte ... <<

      >>Um diese Urzeit? Es ist weit nach Mitternacht ... will er etwa irgendwelche Geister vertreiben? ... geht einfach fort und lässt dich allein ... na, dein Vater bekommt von mir aber gründlich was zu hören ... <<

      >>Mami, ich bin doch kein kleines Baby mehr<<, widersprach Su-Lin energisch, doch sie biss bei ihrer Mutter auf Granit.

      >>Schatz, darum geht es nicht ... es geschehen heutzutage so viele schlimme, böse Dinge auf der Welt und deine Mama hat einfach Angst, dass dir was passiert ... versteh' das bitte ... <<

      ***

      Der Mann war ziemlich ungepflegt und roch streng nach einer unangenehmen Mischung aus Schweiß, Alkohol und Nikotin. Während er sein Portemonnaie hervor fingerte warf er der hübschen jungen Frau, die vor ihm auf einem schäbigen Bett in einem winzig kleinen und spärlich eingerichteten Zimmer saß, einen verächtlichen Blick zu. >>Du dreckige, geile kleine Schlampe ... du kannst es wahrscheinlich kaum noch erwarten, du geile, kleine Sau, was?<<

      Mina schloss angewidert ihre dunklen, großen Augen, so wie sie es eigentlich immer tat, bis sich ihr jeweiliger Freier in ihr ergossen hatte. Doch diesmal war es anders, vollkommen anders sogar, denn sie hatte endgültig genug von der Prostitution und war fest dazu entschlossen auszusteigen.

      Die junge Thailänderin erinnerte sich schmerzlich daran, wie sie mit 14 Jahren bereits vergewaltigt, missbraucht und zur Prostitution gezwungen worden war. Schließlich hatte man sie kurzerhand nach Europa verschleppt, wo sie, bar jeglicher Verwandter und Freunde — ihren Zuhältern hilflos ausgeliefert war. Mina wusste, dass niemand sie vermissen würde, wenn sie einfach von der Bildfläche verschwand, so wie es ihre Zuhälter schon mit etlichen Mädchen, die genau wie sie aussteigen wollten, gemacht hatten, doch sie war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem sie lieber sterben würde, als weiter die Beine breitzumachen. >>Verpiss' dich!<<, spie sie schließlich ihrem Freier verächtlich entgegen.

      >>Ich hör' wohl nicht recht ... pass auf was du sagst, du Schlampe, sonst ... <<

      Mina erkannte, wie die Schläfenarterien des Freiers energisch zu arbeiten begannen und ihm förmlich das Blut ins Gesicht schoss, während seine rechte Hand weit zum Schlag ausholte.

      >>Sonst was? Willst du mich schlagen, du Schwein? Versuch' es ... dann kannst du danach ziemlich sicher sein, dass man dich aus diesem Haus raus tragen wird ... aber in einer dieser grauen Metallbüchsen ... <<

      Minas Stimme hatte einen warnenden, gefährlichen Unterton, den der Mann klugerweise nur zu gut verstand. Da er absolut keine Lust verspürte, sich mit irgendwelchen Zuhältern anzulegen, ließ er schließlich seine Hand wieder sinken.

      >>Ich hab' dir Geld gegeben ... <<

      >>Schieb' es dir in deinen fetten, verdammten Arsch und verschwinde ... hau' endlich ab<<, schrie die junge Frau aufgebracht, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und sich vier massige Männer, von denen jeder mehr Tätowierungen besaß als ein Maori, in das ohnehin schon enge Zimmer hineinzwängten.

      >>Mina, du solltest dich etwas gastfreundlicher verhalten ... das kann so nicht weitergehen <<, sagte einer der Kerle, ein bulliger Kleiderschrank mit kahlrasiertem Schädel.

      >>Die Schlampe ist einfach bockig ... ziert sich wie 'ne Jungfrau<<, warf Minas vermeintlicher Freier ein, doch unter den drohenden Blicken der ihn umgebenden Männer steckte er schnell zurück und machte sich aus dem Staub.

      Der Glatzköpfige kramte plötzlich ein Stilett hervor. Die junge Thailänderin zuckte unwillkürlich zurück, als die Spitze der kalten, glänzenden Klinge sanft über ihre Wange strich. >>Mina ... Schätzchen ... du und deine süße, kleine Muschi ... ihr seid mir in all den Jahren richtig ans Herz gewachsen ... und es täte mir in der Seele weh, wenn ich mit meiner Klinge die hübsche Haut in deiner schönen Hurenvisage ein bisschen peelen müsste ... nur ein wenig — allerdings: Danach wirst du nicht mehr hübsch sein ... <<

      >>Bertrand, du kannst dir dein beschissenes Gesabber sparen<<, erwiderte Mina heftig, wobei sie wütend mehrmals nach der Messerhand schlug, bis sie kurzzeitig aus ihrem Blickfeld verschwand. >>Du kotzt mich ganz einfach nur an ... ihr alle kotzt mich an ... ich habe genug, jeden Tag eure erbärmlichen Visagen sehen zu müssen<<, schrie sie nun fast schon hysterisch und sprang auf, um einem der Männer, der versuchte, sie an den Haaren zu zerren, hart zwischen die Beine zu treten.

      >>Okay, okay ... wir kotzen dich also an, du dreckige Schlampe? Und du würdest gerne aussteigen, oder wahrscheinlich einfach so von hier verschwinden, was? Das kannst du haben, du ausgelutschte Nutte<<, warf der Kerl, der auf den Namen Bertrand hörte, leise und emotionslos ein. Der Zuhälter tauschte mit den anderen Männern eindeutige Blicke aus, dann wandte er sich wieder an die junge Frau: >>Du bist ab sofort draußen ... für immer und ewig. Allerdings wirst du niemals mehr dazu kommen, deine neue Freiheit zu genießen, weil wir dich noch heute Nacht kalt machen werden ... ich weiß auch schon einen netten, gemütlichen Ort, wo wir dich abladen werden, wenn wir mit dir fertig sind ... dir wird es sicher ganz gut dort gefallen ... du wirst um deinen Tod noch betteln, das schwör' ich dir ... <<

      Minas Gesichtsfarbe mutierte zu einem käsigen Weiß, denn sie ahnte, wohin man sie verschleppen würde. — In die Katakomben, tief unter der Stadt ... Niemand würde sie schreien hören, nicht einmal, wenn sie sich die Seele aus dem Leib schrie. Niemand würde jemals ihre Leiche finden, oder das, was die Ratten davon noch übrig lassen würden ...

      ***

      Zur gleichen Zeit im Pentagon, dem amerikanischen Verteidigungsministerium: >>Schon wieder so ein beschissener Anruf von irgendeinem Verrückten. Das müssen Sie sich anhören ... vermutlich irgend so ein Drogenfreak<<,