Claus-Peter Bügler

Chong


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die Schwärze, was ihm gar nicht gefallen wollte. Offensichtlich trat er über steiniges Geröll, sodass man jeden seiner Schritte weithin hören konnte, wodurch er sich selbst verriet. Er kam nicht sehr weit, denn eine kalte, metallische Fläche versperrte ihm plötzlich den Weg. Er stieß einen unterdrückten Schmerzlaut aus, als er in der Dunkelheit mit der Schulter gegen die Stahltür knallte. Irgendjemand rief unverständliche Worte jenseits der Tür, die sich überraschend und unerwartet öffnete, wodurch Chong vorwärts strauchelte und den Mann vor sich fast umgerempelt hätte, wenn dieser nicht gerade noch rechtzeitig zur Seite gesprungen wäre.

      >>Die Tür<<, keuchte Chong, als auch schon die Hölle losbrach.

      Er musste mit ansehen wie der junge Mann der ihm geöffnet hatte blutüberströmt zusammensackte ... wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Eine MP-Salve hatte ihm den halben Unterkiefer weggerissen. Es war ein scheußlicher Anblick.

      Die Kugeln rissen den Putz von den Wänden, unzählige Querschläger pfiffen höhnisch durch den Raum. In einer Ecke der gut und gerne sechsmal vier Meter großen Kammer kreischte eine Frau. Eine verirrte Kugel hatte sie getroffen und ein fingergroßes Fleischstück aus ihrem Oberarm gerissen.

      >>Die Tür!<<

      Einer der Anwesenden begriff schlagartig und trat mit aller Wucht gegen den schweren Stahl. Krachend donnerte die Tür ins Schloss und von einem Moment zum anderen verstummten die Schüsse.

      >>Scheiße ... das ist alles die Schuld von diesem dummen Wichser da. Wir sollten ihn lieber gleich umlegen<<, schrie einer der Junkies aufgebracht. >>Dieses dumme Arschloch hat die Typen da draußen schließlich hierher geführt ... <<

      Erst jetzt hatte Chong Gelegenheit, sich umzusehen. Er befand sich in einer Art Kammer, die von mehreren Petroleumleuchten sanft erhellt wurde. Auf dem Boden waren etliche schmutzige Decken ausgebreitet worden. Darauf erblickte Chong jede Menge einschlägiger Drogenutensilien wie Haschpfeifen, Spritzen, Zigarettenschachteln, sowie ein immenses Bataillon Wodkaflaschen. Chong sah sich von etwa 15 Männern und Frauen umgeben, von denen die meisten allerdings völlig zugedröhnt am Boden hockten und mit glasigem Blick in die Gegend glotzten. Kaum jemand nahm Notiz von der verletzten jungen Frau in der Ecke.

      Der Wortführer fischte plötzlich aus seiner Jacke eine Waffe hervor und fuchtelte damit wie wild vor Chongs Nase herum. >>Sind das Bullen?<<, stieß der Junge fast schon hysterisch hervor, wobei er Chong mit seinen glasig-trotzigen Augen förmlich durchbohrte.

      Chong vermutete, dass der Junkie genug Rauschgift in den Venen hatte, um eine ganze Kleinstadt zu beglücken, aber deswegen war dieser Kerl nicht ungefährlich — im Gegenteil. Er wusste nur zu gut, dass gerade unter Alkohol- und Drogeneinfluss das Schmerzempfinden nahezu ausgeschaltet sein konnte, während diese unliebsamen Zeitgenossen kurzfristig geradezu übermenschliche Kräfte entwickelten. Jeder, der schon einmal erlebt hat, wie Drogensüchtige — vor allem im Entzug — wütend können weiß, wovon die Rede ist. Es wäre Chong zwar ohne Weiteres möglich gewesen den Junkie auszuschalten, doch er konnte schwer abschätzen, wie sich die restliche Clique dann verhalten würde. Sicher waren so gut wie alle auf die eine oder andere Art bewaffnet, also würde er versuchen noch eine Weile zu pokern.

      >>Sieh' dich um. Würden die Bullen so etwas tun? Hier aufkreuzen und gnadenlos alles niedermähen?<<, erwiderte er betont ruhig, wobei er seinem gegenüber fest und ohne Angst in die Augen blickte.

      >>Scheiße ... << Der andere spuckte fluchend auf den Boden.

      >>Was ist mit Marcel? Wo steckt er? Wo zum Teufel bleibt er? Wann, verdammt, trifft er endlich hier ein?<<

      Chong musste an den Jungen denken, der da draußen in jenem dunklen Gang vor nicht allzu langer Zeit niedergemetzelt wurde. Langsam schüttelte er den Kopf. >>Ich glaube nicht, dass er jemals wieder auf eure Party kommen wird<<, entgegnete Chong leise, wobei er auf den am Boden liegenden Toten deutete.

      Der andere verstand die Botschaft und schluckte hörbar. >>Wir sollten diese Schweine dort draußen plattmachen ... umlegen ... alle ... <<

      >>Womit? Mit euren lächerlichen Schießeisen gegen ein paar Maschinenpistolen? Das wäre ungefähr so, als ob man versuchen wollte mit einer Schleuder einen Panzer aufzuhalten ... <<

      Zeitlupenartig ließ der Junkie schließlich seine bewaffnete Hand sinken, als wäre ihm plötzlich das Gewicht unerträglich geworden, doch das Blatt wendete sich schlagartig zu Chongs Ungunsten, als draußen jemand forsch mit den Fäusten gegen die Tür hämmerte.

      >>Wir bieten euch einen Tausch an ... gebt uns diesen verdammten Chinesen und ihr erhaltet von uns eine hübsche, schnuckelige Schlampe, mit der ihr euren Spaß haben könnt ... solange ihr wollt<<, brüllte jemand hinter der Tür.

      Ein unrasierter, schmuddeliger Typ, der sich unbeholfen um die verletzte junge Frau kümmerte, nickte dem bewaffneten Wortführer schwach zu. >>Wir sollten ihnen diesen Flachwichser ... <<, er spie verächtlich aus, >>ausliefern ... schließlich ist dieser Typ an allem schuld.<<

      >>Du hast recht, Roger<<, erwiderte der andere ohne Zögern und Chong musste unwillig mit ansehen, wie sich die Hand mit der Pistole nach und nach wieder anhob, bis der schwarze Lauf direkt auf seine Stirn zeigte.

      >>Glaubt ihr wirklich, die Jungs da draußen werden euch auch nur eine Sekunde am Leben lassen, wenn ihr ihnen die Tür öffnet und sie hier hereinspazieren lasst? Das sind ziemlich abgebrühte, eiskalte Killer. Die werden keine Zeugen am Leben lassen ... die werden euch ohne mit der Wimper zu zucken ausknipsen ... und zwar alle<<, warf Chong ein, doch es war vergeblich.

      >>Halt' dein gottverfluchtes, verdammtes Maul, Mann!<<, herrschte der Kerl mit der Pistole ihn bissig an.

      >>Roger ... behalte diesen Wichser im Auge. Ich werde jetzt die Tür öffnen ... <<

      Aus den Augenwinkeln heraus erkannte Chong, dass der Junkie namens Roger nun mit einer Art Pumpgun — eine dieser großkalibrigen mit abgesägtem Lauf — auf seine Brust zielte, wobei er ihn mit kaltem, starrem Blick fixierte.

      >>Wenn dieses schlitzäugige, kleine Arschloch auch nur ein bisschen mit dem Schwanz zuckt, pustest du ihn um.<<

      Roger nickte grinsend. >>Mit Vergnügen ... <<

      Chong war sich darüber im Klaren, dass der Typ mit der Pumpgun eiskalt abdrücken würde, falls er sich bewegte, wodurch sich sein Gehirn hässlich an den Wand verteilen würde, da kam ihm beim Anblick der Petroleumlampen die rettende Idee.

      >>Einverstanden ... ich werde jetzt öffnen<<, schrie der bewaffnete Junkie, der Stahltür zugewandt.

      >>In Ordnung wir werden nicht schießen. Wir schicken euch zuerst die Nutte rein. Wenn sie drin ist, gebt ihr uns den Chinesen. Kommt bloß nicht auf die Idee, uns zu verarschen ... <<

      Chong musste mit ansehen, wie die Tür langsam aufschwang und den Blick auf eine verschüchterte, junge Thailänderin freigab. Langsam und zögernd trat sie näher ...

      Hinter ihr standen drei massige Kerle, groß und breitschultrig, die Finger am Abzug ihrer Maschinenpistolen, bereit, alles, was sich bewegte, auszulöschen. Sie würden hier unten niemanden am Leben lassen, davon war Chong felsenfest überzeugt. Jetzt trat die junge Frau durch die Tür und Chong verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als er einen Stoß zwischen die Rippen erhielt.

      >>Beweg dich, du chinesische Missgeburt!<<

      Als sicher war, dass sich die junge Frau außerhalb der Schusslinie befand, blinzelte Chong dem Kerl, der ihm die Pumpgun in die Rippen geknallt hatte, lächelnd zu. Der glotzte ihm dummerweise aus nächster Nähe ins Gesicht. Als ihm klar wurde, dass er sich hatte ablenken lassen, war es bereits zu spät, denn Chong hatte blitzschnell eine der Petroleumlampen umgetreten. Der Effekt war fatal, die austretende Flüssigkeit entzündete stichflammenartig die schmutzige Stoffdecke. Roger stöhnte und schrie verzweifelt, als die Flammen erbarmungslos seine Kleidung auffraßen. Die Pumpgun war ihm längst