Claus-Peter Bügler

Chong


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C4-Sprengstoff explodieren und das gesamte Appartement in die Luft jagen.

      >>Es lebe Mr. Weston<<, rief Jossr fröhlich, während er den Rest seines Glases austrank.

      Weston war der Name von Jossrs britischer Tarnidentität. Jossr warf noch einen kurzen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr, dann nahm er die fertig gepackte, schwarze Aktentasche vom Bett und verließ sein Appartement. Wer ihm begegnete, hätte ihn ohne Weiteres für einen freundlichen, aber harmlosen Buchhalter halten können. Er pfiff vergnügt einige Töne eines alten amerikanischen Schlagers vor sich hin, grüßte lächelnd die ihn umgebenden Leute in dem geräumigen, hellen Fahrstuhl, der mit leisem, monotonem Summen abwärtsfuhr, und drückte schließlich dem völlig verdutzten, uniformierten Trottel an der Rezeption ein mehr als großzügiges Trinkgeld in die Hand.

      Milde, warme Luft umarmte ihn angenehm, als er auf die recht belebte Straße hinaustrat und ein Taxi nahm. Er ließ sich von dem Taxifahrer ein wenig durch die Pariser Innenstadt kutschieren, vertrat sich die Beine, nahm ein neues Taxi und während der Wagen dahinpreschte studierte Jossr aufmerksam die Umgebung, doch er konnte keine Verfolger ausmachen, was ihm auch sehr unwahrscheinlich schien. >>Aber sicher ist sicher<<, flüsterte er leise zu sich selbst.

      Er war nicht so dumm, sich von dem Fahrer direkt zum Ort seiner Verabredung fahren zu lassen, denn früher oder später würden die Bullen seine Fährte wittern, spätestens dann, wenn sein Hotelzimmer in die Luft flog. Gut möglich, dass sich dann der Fahrer an ihn erinnerte ... Nein, es erschien ihm besser, weil sicherer, sich von dem Chauffeur nicht unmittelbar an seinem geplanten Ziel, sondern irgendwo in der Nähe absetzen zu lassen. Die restliche Strecke würde er schließlich zu Fuß gehen.

      Der Fahrer war dunkelhäutig, sehr verstockt und schweigsam, und Jossr war dies nur mehr als recht, da der Kerl nicht versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.

      Einige Zeit später wies Jossr den Fahrer an nach der nächsten Abzweigung am Straßenrand zu halten. Er zückte seine Brieftasche und warf achtlos, während er ausstieg, einige Geldscheine auf den noch warmen Beifahrersitz, was der Fahrer mit einem erfreuten Zahnlückengrinsen registrierte.

      Nach einem 15-minütigen Fußmarsch erreichte Jossr ein ziemlich heruntergekommenes Stadtviertel. Irgendwo bellte und knurrte ein Hund. Zielstrebig durchschritt Jossr eine Einfahrt und fand sich schließlich auf einer Müllhalde von Hinterhof wieder. Ein paar Jugendliche prügelten sich gerade miteinander. Jossr achtete nicht sonderlich auf sie, stattdessen stieg er eine schmutzig-graue, steinerne Treppe hinunter, die vor einer ehemals grünen Tür endete. An ihrem Holz war allerdings an vielen Stellen der Lack längst abgeblättert. Nach mehrmaligem Klopfen wurde endlich geöffnet. Ein schlanker, dunkelhaariger Orientale mit schmalen, unbarmherzigen Lippen und stechenden, fanatischen Augen erschien im Türrahmen und musterte Jossr zunächst misstrauisch.

      >>Salam, Bruder ... <<

      Das Gesicht des anderen erhellte sich plötzlich. >>Komm' doch rein ... <<

      >>Ist alles bereit?<<

      Der andere nickte lächelnd, während er Jossr in einen Raum führte, in dem fünf weitere junge Männer mit verschlossenen, stummen Blicken an einem Tisch saßen. Junge Männer, die ihr Leben nicht achteten, die den Tod nicht fürchteten, die bereit waren — bereit für ihre heiligen Ziele zu sterben. Allesamt waren sorgsam ausgewählte Schläfer ohne jegliche Vorstrafen, studierte und kluge Köpfe, die bislang weder als radikale Islamisten noch sonst irgendwie auffällig geworden waren. Alles unbeschriebene, weiße Blätter, doch das sollte sich schon bald ändern.

      Jossr setzte sich und spürte genüsslich die ehrfürchtig-bewundernden Blicke der anderen Männer auf sich ruhen. >>Wir werden der ungläubigen, westlichen, imperialistischen Welt mit Allahs Segen ein Zeichen setzen ... etwas, was die Anschläge damals in New York noch um ein vielfaches übertreffen wird. Die Welt wird in Blut baden ... <<

      >>Was ist es so Großes, Gewaltiges, Bruder?<<

      >>Wir werden das Wahrzeichen Frankreichs vom Erdboden fegen<<, entgegnete Jossr mit seinen kalten, durchdringenden Augen emotionslos.

      >>Den Eiffelturm?<<

      Jossr nickte und jeder im Raum starrte gebannt auf die fanatischen Linien, die sich nun in seinem Gesicht abzeichneten.

      >>Und wozu dann die Sache in Russland, Bruder?<<

      >>Strategie ... wir bringen unsere Feinde dazu, ihre Augen dorthin zu richten, während wir in Wirklichkeit ganz woanders zuschlagen werden.<< — Wenige 100 Kilometer hinter Moskau wartete derzeit eine 40-köpfige Kämpferschar auf den Befehl zum Angriff.

      >>Aber ... das ist doch Wahnsinn ... einen Militärkonvoi angreifen ... mit unserer spärlichen Bewaffnung ... die russische Armee, die du ins Auge gefasst hast, Bruder, verfügt über Kampfhubschrauber und Panzer ... <<

      Jossr schlug dem Mann völlig überraschend und unerwartet mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Visage des Zweiflers verzerrte sich vor Wut, als Jossrs Hand ein zweites Mal auf seine Wange klatschte. >>Ist dein Glaube so schwach, dass du an den mir von Allah geschenkten Plänen zweifelst, Mamoud?<<

      Der Mann schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf.

      >>Gut<<, lächelte Jossr milde, während er fortfuhr: >>Der Militärkonvoi der Russen hat ein Manöver hinter sich. Sie fahren im Gänsemarsch diese Strecke entlang ... << Jossr warf eine Karte auf den Tisch und deutete mit dem Zeigefinger auf einen ganz bestimmten Punkt. >>Hier werden sie eine Brücke überqueren müssen, die von uns mit Sprengstoff versehen ist. Sobald die ersten Fahrzeuge, darunter auch der Lastwagen mit den Waffen die Brücke passiert haben, werden wir alles in die Luft jagen. Unsere Leute springen aus ihren Verstecken wie verabredet, schnappen sich den Wagen mit den Waffen, beladen ihn zusätzlich noch mit Sprengstoff und dann werden sie sich mit Freuden für unsere Sache opfern ... <<

      >>Opfern?<<

      Jossr nickte erneut. >>Sie werden versuchen, mit den erbeuteten Waffen die Amerikanische Botschaft zu stürmen, Moskau anzugreifen. Ich rechne nicht damit, dass auch nur einer von ihnen überlebt. Die Welt wird nach Russland blicken, während wir hier, im Herzen Europas, den wirklichen, tödlichen Schlag ausführen werden.<<

      Jossr zauberte sein Laptop hervor, wartete, bis die Internetverbindung stand, um eine kurze, verschlüsselte E-Mail abzusenden. Dann trennte er rasch die Verbindung wieder um sicherzugehen, dass man ihn nicht als Absender der E-Mail ausfindig machen konnte. Jossr rieb sich zufrieden die Hände, denn er konnte sicher sein, dass sich nun Tausende Kilometer entfernt ein tödliches Selbstmordkommando in Marsch setzte.

      >>Hast du dabei nicht etwas übersehen?<<, warf der Mann namens Mamoud vorsichtig ein.

      >>Die beiden Kampfhubschrauber? Die fliegen dem Konvoi etliche Kilometer voraus und werden vermutlich schon in ihren Kasernen sein, wenn wir zuschlagen ... wenn nicht ... << Jossr zuckte gleichgültig mit den Achseln. >>Aber jetzt wollen wir uns wichtigeren Dingen zuwenden ... << Aus einer Schublade kramte er ein Miniaturmodell des Eiffelturms hervor, das er achtlos auf den Tisch fallen ließ. >>Bumm ... <<

      2.

      Mina starrte benommen zu dem bewaffneten Kerl, der dicht neben ihr stand und mit einer Pistole gerade auf ihren chinesischen Begleiter zielte. Chong hing noch immer an der alten, verrosteten Stahlleiter, etliche Meter über dem Erdboden und erwartete den alles beendenden, tödlichen Schuss. Im spärlichen Licht der Taschenlampe war es ihm nicht möglich das Gesicht des Mannes unter ihm zu erkennen, so würde er also nie erfahren von wem er letztlich erschossen worden war. Doch es kam völlig anders, denn aus irgendeinem Grund schrie der Kerl schmerzerfüllt auf. Es knallte ohrenbetäubend, als die Beretta das Feuer eröffnete. Chong stellte erleichtert fest, dass er enormes Glück gehabt hatte, denn die tödliche Kugel hatte ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt. Das Geschoss schlug dicht neben seinem Kopf in die Wand, wodurch sich ein feiner Sprühregen aus Betonsplittern