Claus-Peter Bügler

Chong


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verboten ist, oder? Das kann recht teuer werden.<<

      >>Hören Sie, ich habe keine Zeit für lange Erklärungen. Mein Kind ist in Gefahr<<, unterbrach Chong den Wachmann entnervt.

      >>Und wir lieben lange Erklärungen. Besonders unsere Kollegen von der Bahnpolizei. Haben Sie einen Ausweis dabei. Irgendwelche Papiere?<<, erwiderte der Wachmann gefährlich ruhig.

      Chong ließ die Schultern sinken und schüttelte stumm wie ein Fisch den Kopf.

      >>Das ist echt ungünstig, weil wir sie nämlich ansonsten auf die Wache bringen müssen, wo sie erkennungsdienstlich behandelt werden. Polizeiliche Personenüberprüfung. Feststellen der Personalien ... Fingerabdrücke nehmen ... das kann recht unangenehm werden ... und manchmal die ganze Nacht dauern<<, entgegnete der andere mit starrsinniger Freundlichkeit.

      Chong war dabei, die Geduld zu verlieren. >>Hören, ich sagte es ihnen bereits. Mein Kind ist in Gefahr. Ich habe keine Zeit zu verlieren ... <<

      >>Solange Sie mir nicht sagen was Sache ist, werden Sie, fürchte ich, gezwungen sein sich Zeit zu nehmen ... und zwar sehr viel Zeit.<<

      >>Es ist wahr, was er sagt. Jemand ist in seine Wohnung eingedrungen und … <<, warf Mina ein, doch sie wurde unwirsch von einem der Wachmänner unterbrochen.

      >>Das mag ja alles stimmen ... gut möglich ... aber das erklärt nicht, wieso Sie beide hier unten herumlatschen. Können Sie nicht lesen? Auf den Schildern steht doch klar und deutlich Betreten für Unbefugte verboten!<<

      Chongs Antwort landete hammerhart und völlig überraschend in der Magengrube des Uniformierten, der mit weit aufgerissenen Augen wie ein Klappmesser zusammensackte. Blitzschnell wirbelte Chong um die eigene Achse, blockte mit der linken Hand den herabzischenden Schlagstock des zweiten Wachmanns und versetzte ihm einen Handflächenstoß mitten ins Gesicht, sodass er mit blutiger Nase rückwärts gegen die Wand taumelte.

      >>Komm. Wir müssen weiter<<, stieß Chong zwischen den Lippen hervor, während er bereits durch die offenstehende Tür hindurchsprintete.

      >>Hey, warte auf mich<<, keuchte Mina hinter Chongs Rücken. Sie hatte erhebliche Mühe, mit seinem Tempo schrittzuhalten.

      Sie befanden sich an einem menschenleeren U-Bahnsteig. Keine 50 Meter entfernt konnte Chong eine stillstehende Rolltreppe ausmachen. Alles um die beiden herum schien so ruhig und lautlos wie auf einem Friedhof, doch das änderte sich schlagartig. Das Echo schwerer Stiefelschritte hallte plötzlich dutzendfach von den Wänden wieder und es dauerte nicht lange, bis eine Gruppe Wachmänner mit grimmigen Gesichtern die Rolltreppe heruntergerannt kam.

      >>Das ist nicht gut, gar nicht gut<<, stöhnte Mina leise.

      >>Halt' dich einfach hinter mir ... egal, was passiert ... vertrau' mir<<, flüsterte Chong ihr zu. Er tat einen tiefen Atemzug und ging langsam den Männern entgegen.

      >>Das ist also der Typ, der hier Ärger machen will? Also ... entweder du kommst jetzt ganz ruhig und brav mit uns oder wir werden dir hier an Ort und Stelle so deinen verdammten Arsch aufreißen, dass du die nächsten Monate nicht mehr sitzen kannst<<, ergriff der Anführer der Männer das Wort.

      Sie hatten sich zu sechst im Halbkreis um Chong postiert und begutachteten ihn misstrauisch. Chongs Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er machte eine wegwerfende, verächtliche Handbewegung gegenüber dem Redenden, als der Tanz begann. Chong sprang hoch, dreht sich in der Luft rückwärts um die eigene Achse und erwischte mit einem spagatartigen Kick zwei der Männer gleichzeitig am Kinn. Er landete geschmeidig wie eine Katze auf dem Boden, rollte über die Schulter ab und zuckte zusammen, als ein Stockhieb hart seinen rechten Arm traf. Der Schmerz lähmte kurzzeitig seine Extremität, doch noch hatte Chong ja seine Beine. Er duckte sich ab, pendelte mit dem Oberkörper an einem weiteren Stockschlag vorbei und setzte den Angreifer mit einem harten Seitwärtstritt außer Gefecht. Der Kick war so stark, dass die Schuhsohlen seines Gegners fast zehn Zentimeter vom Boden abhoben, wodurch der Mann wie ein lebloses Blatt Papier nach hinten umknickte. Rasch ergriff Chong den schwarzen Schlagstock, den der Wachmann fallen gelassen hatte, um sich blitzschnell zu ducken und dem Kerl zu seiner Rechten einen Hieb unter die Kniescheibe zu verpassen. Der brüllte auf wie ein verwundeter Stier.

      >>Achtung, pass auf, hinter dir<<, hörte Chong gerade noch rechtzeitig und fuhr herum.

      Der andere schlug diagonal zu, so schnell und hart, dass das Holz durch die Luft zischte.

      Chong lehnte seinen Oberkörper so weit zurück, dass das Ende des Stockes harmlos seine Brust streifte. Er drehte sich, ergriff das Handgelenk seines Gegners und setzt einen äußerst schmerzhaften Armdrehbeugehebel an. Mit den Fingerspitzen der anderen Hand drückte er kurzzeitig die Carotisarterie am Hals des Mannes ab, dessen Reflexe Sekunden später erloschen. Chong ließ den Bewusstlosen zu Boden gleiten.

      Ein zittriger, blasser Junge in Uniform starrte Chong ungläubig an, als hätte er gerade einen Geist gesehen. Der Schlagstock, der absolut nicht in seine Hand passte, wedelte wie Espenlaub hin und her.

      >>Vergiss es. Entspann' dich, geh' nach Hause<<, riet Chong ihm warnend und der Junge trat schließlich entgeistert zur Seite.

      >>So ... so etwas ... habe ... habe ich noch nie gesehen ... einfach unglaublich ... <<

      >>Sei froh, wenn du es nie wieder sehen musst. Könnte schlecht für deine Gesundheit sein, mein Junge<<, entgegnete Chong mit schwachem Lächeln und trat an ihm vorbei.

      >>Warten Sie. He?<<

      >>Was gibt's denn noch?<<

      >>Können Sie mir das beibringen?<<

      Chongs Augenbrauen wanderten unwillkürlich höher.

      >>Wie Sie ... na ja ... wie Sie kämpfen ... das war große Klasse ... <<

      >>Ein wirklich ungünstiger, unpassender Zeitpunkt für ein ungewöhnliches Angebot. Ein paar kriminelle Killer sind hinter uns her. Ich kann das im Augenblick nicht erklären. Jedenfalls müssen wir weiter.<<

      >>Ich glaube Ihnen. Ich bin sicher, dass Sie nichts Schlimmes getan haben. Dafür sehen Sie zu ehrlich aus.<<

      Chong musste lachen. >>Danke für das Kompliment, aber wir haben es wirklich eilig.<<

      >>Ich fürchte nur, ohne das hier werdet ihr beiden nicht sehr weit kommen.<< Der Junge hielt einen schweren Schlüsselbund in die Höhe. >>Um diese Uhrzeit sind an den meisten U-Bahn-Stationen Rollgitter heruntergelassen, die verhindern sollen, dass sich Drogensüchtige, Penner und dergleichen über Nacht hierher verziehen.<<

      Mina schnappte sich die Schlüssel, ehe der Junge auch nur ein weiteres Wort von sich geben konnte. >>Bist ein Goldschatz. Dankeschön ... <<

      Beide hetzten wie vom Teufel persönlich gejagt eine der Rolltreppen hinauf, bis ihre Flucht vor einem silbrig schimmernden Rollgitter abrupt endete. Chong entdeckte auf der linken Seite, unmittelbar neben dem Gitter, an einem Pfosten einen Metallkasten, dessen Vorderseite unverkennbar ein Schlüsselloch aufwies.

      >>Dahinter muss sich ein Knopf, ein Schalter, irgendetwas befinden, womit sich dieses verflixte Gitter öffnen lässt. Ich bin sicher, dass das ganze Teil elektronisch gesteuert wird ... mal sehen ... <<

      >>Du solltest dich beeilen. Sieh mal nach unten<<, entgegnete Mina, auf die Rolltreppe deutend.

      Ein Dutzend oder mehr uniformierte Männer zwängten sich mit wütenden Blicken die Rolltreppe hinauf, bewaffnet mit Schlagstöcken, Elektroschockern und Tränengas.

      >>Wir kriegen euch beide am Arsch, verlasst euch drauf<<, brüllte einer der Wachleute, wobei er ein an seinem Gürtel befestigtes Funkgerät ergriff. >>Verdächtige im Augenblick auf Ebene B ... versuchen durch Gitter 3 zu flüchten ... den Strom für das Gitter abschalten ... ich wiederhole ... den Strom für Gitter 3 unverzüglich abschalten