Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


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Erfolges war. Denn dadurch steigerte er Spannung und Neugierde der Besucher von Ausstellung zu Ausstellung. Erstaunt war ich über das Publikum, das sich auf Achims magisches Spiel einließ und die Bilder als Fixpunkt für seine unausgesprochenen Sehnsüchte und Ängste annahm. Fasziniert von der Methode des Kunsthändlers, unterwarf ich mich bald willig seiner Regie und war berauscht von dem Erfolg, den er inszenierte und der bald ein Eigenleben bekam. Als ich dann den von Achim angekündigten Kunstpreis bekam, jenen, den er mir ein Jahr zuvor bei der zweiten Flasche Bordeaux in die Hand versprochen hatte, war ich bereit, ihm selbst magische Kräfte zuzusprechen.

      Max, der von Malerei nicht mehr verstand als ich von Geigen, Bratschen und Celli, war stolz auf mich. Und ich bewunderte Max, mit welcher Energie er nach seinen Streichinstrumenten fahndete.

      An Abbruch war nicht zu denken in jenen Tagen. Die Bäume - alle Bäume - und der Himmel über ihnen beschützten uns. Erst nachdem zum dritten Mal ihre Blätter gefallen waren – nicht nur in den Park -, fielen auch wir.

      Noch dachten wir, es läge nur am November und seinem Licht, das fahl durch die Bäume auf den Trümmerberg im Park fiel. Ein Ortswechsel würde uns also guttun und unseren Fall aufhalten können. Wie sonst hätten wir verstehen sollen, dass wir zur gleichen Zeit Gelder ausgerechnet in Washington bekamen? Selbst wenn bei mir Achim, der Kunsthändler, etwas nachgeholfen hatte, war er doch der Ansicht, dass der Zeitpunkt, herauszukommen aus Deutschland, für mich nicht günstiger sein könnte. Auch wenn er es besser gefunden hätte, ich wäre nach New York und nicht nach Washington gegangen. Ich musste ihm daher versprechen, ein Programm, das er mir für New York zusammengestellt hatte, auch wirklich abzuarbeiten.

      Der Ober flambierte grüne Feigen, an denen ich mich wenig später derart verschluckte, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich konnte nicht aufhören zu husten. Jeder Versuch, den Husten zu unterdrücken, bewirkte das Gegenteil. Eine Kellnerin brachte ein Glas warmes Wasser.

      »Trinken Sie, das beruhigt die Bronchien. Es ist etwas Anis bei. Ein japanischer Gast hat uns einmal das Rezept gegeben.«

      Es wirkte tatsächlich. Der Immobilienhändler nahm meine Hand.

      »Na Sie machen ja Sachen. Vielleicht sollten wir zahlen. Aber nicht ohne zum Abschluss noch einen Grappa zu trinken. Einverstanden?«

      Ich winkte ab und bedankte mich für das vorzügliche Essen. Vor dem Hotel versuchte ich, mich rasch zu verabschieden. Ich müsse noch unbedingt zu »Dussmann«, um zwei Bücher zu bestellen.

      »Wie schön«, sagte er. Er wollte dort auch noch etwas nachschauen.

      »Da hätten wir also noch einen gemeinsamen Weg am heutigen Abend. Wenn das nicht Glück bedeutet.«

      Ich hatte nicht die Energie, unhöflich sein, schließlich hatte ich eben auf seine Kosten ein vorzügliches Menü zu mir genommen. Also gingen wir gemeinsam ins KulturKaufhaus Dussmann. Es lag ja nur auf der anderen Straßenseite. Unschlüssig standen wir im Mittelgang des Erdgeschosses. Rechts eine Kasse, links eine Kasse. Ich wollte mich gerade verabschieden, da spürte ich von hinten zwei Hände, sie hielten mir die Augen zu. Am Parfüm erkannte ich Marion. Sie nimmt seit einigen Jahren ein neues. Sie habe genug von Chanel, wie sie sagte. Chanel sei in ihren Augen eine Duftmarke für Besserverdiener. Daher habe sie die Marke gewechselt.

      »Haben dich deine Patienten sitzengelassen?«, fragte ich und nahm ihre Hände von meinen Augen.

      »Schön, dich gerade hier zu treffen«, sagte ich erleichtert und gab ihr einen Kuss.

      »Hellseherin sind Sie also auch noch«, sagte der Immobilienhändler.

      Marion sah mich an und wartete auf eine Erklärung. Ich stellte ihr den Immobilienhändler schlicht als Wolfram vor.

      Der Immobilienhändler unterbrach mich.

      »Wolfram Kaiser, Immobilienhändler«, sagte er. Er habe soeben das Glück gehabt, mit mir zu speisen, nachdem ich ihn neulich so schnell abhanden gekommen sei.

      »Was, der Immobilienhändler?«

      Marion sah mich an. Ich nickte. Sie prustete in sich hinein.

      »Na, das ist ja großartig. Und warum hast du mir das verheimlicht, Anna?«

      Marion stellte sich dem Händler selbst vor. Schließlich sei sie die Urheberin dieser Verbindung. Ohne sie hätte er mich nie kennen gelernt. Während Marion dem Immobilienhändler über ihr Geburtstagsgeschenk für mich berichtete, waren wir im hinteren Teil des Kaufhauses angelangt und standen an den künstlichen Wasserfällen, deren Wasser eher plätscherte, als dass es rauschend fiel.

      »Aber das ist ein Wink des Himmels, dass ich Sie hier treffe«, sagte Marion.

      »Ich habe nämlich zwei neue Wohnungen angeboten bekommen. Sie liegen im ehemaligen Osten der Stadt. Die eine Wohnung ist im Plattenbau und absolut günstig. Nur der Balkon ist zu hoch, um sitzend auch noch raussehen zu können. Aber der Markt ist ja noch nie so günstig gewesen wie jetzt. Gerade in Berlin.«

      Die beiden waren bald so ins Gespräch vertieft, dass sie mich vergaßen. Sie setzten sich an einen der Tische, die neuerdings hier hinten aufgestellt waren. Ich setzte mich auch, und zwar so, dass ich die Wasserspiele auf der weißen Wand sehen konnte. Eine Kellnerin kam. Ich bestellte Saft. Die beiden redeten und redeten über Wohnungen. Ich sah dem Wasser nach und hing in mir selbst. Irgendwann holte mich eine Ansage zurück in das Erdgeschoss, in dem wir saßen.

      »Bitte kommen Sie zur Kasse. Das Kaufhaus Dussmann schließt in wenigen Minuten. Es ist gleich 22 Uhr. Wir sind morgen ab zehn Uhr wieder für Sie da. Wir danken für Ihren Besuch. Bitte kommen Sie zur Kasse. …«

      Marion und der Immobilienhändler tauschten Visitenkarten.

      »Was für ein glücklicher Zufall, gerade hier auf einen Fachmann zu treffen«, sagte Marion. »Ich rufe ganz bestimmt an.«

      Marion fuhr mich nach Hause und meinte, dass er so nett sei, mein Immobilienhändler, hätte sie nach meinen Erzählungen nicht vermutet.

      »Wenn er dir gefällt, gebe ich ihn dir gern weiter.«

      Marion lachte.

      »Die Annonce war schließlich für dich. Und er himmelt dich an, nicht mich.«

      »Vielleicht können wir ihn ja umlenken?«

      »Schauen wir mal. Ich rufe ihn erst mal an wegen der Wohnungen. Es ist spät geworden. Schlaf gut, Anna«, sagte Marion und gab mir einen Kuss.

      8

      Ich hatte die Wohnungstür kaum hinter mir geschlossen, da klingelte das Telefon. Es war Emmi. Begeistert erzählte sie, dass sie ganzen Tag am Kopierer des Museums gestanden habe, um die unermessliche Zahl von Krügen samt Abbildungen zu kopieren. Nur mittags sei sie mit einem Sandwich auf die Mall gegangen, habe sich auf den Rasen gelegt und eine halbe Stunde die Sonne genossen. Washington im Frühling sei wirklich nur von Berlin zu überbieten. Aber der Himmel über Washington ist doch blauer. Sie werde nachher noch einen Spaziergang an der Mall machen, nicht mal das habe sie bisher geschafft. Danach gehe sie zu Max. Denn noch wisse sie überhaupt nicht, wie sie die vielen Kopien auf ihren Laptop bringen soll. Aber Max habe versprochen, ihr einen Scanner aus der Redaktion zu besorgen.

      Nun müsse sie aber Schluss machen, ihre Telefonkarte gehe gleich zu Ende. Sie melde sich wieder. Bestimmt. Einen Festnetzanschluss habe sie in dem neuen Zimmer leider nicht. Aber …

      Das Gespräch brach ab. Da war auf einmal eine große Stille in der Wohnung. Ich öffnete die Fenster und sah in den Park, der auf der anderen Seite der Straße begann. Ein paar Jogger drehten noch ihre Runden. Rechts vom Park an der großen Kreuzung regelten Ampeln den Verkehr, der hier nur zwischen drei und vier Uhr morgens abbricht. Ich schaltete den Fernseher ein und hörte CNN-Nachrichten. Ich weiß nicht, wie oft ich die immergleichen Nachrichten hörte. Auf jeden Fall war es irgendwann halb drei morgens, als ich endlich beschloss, ins Bett zu gehen.

      Als ich aufwachte, war es kurz nach acht. Ich stand auf und