Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


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auch meines wurde, verlassen konnte. So wie man von einer Charakterschauspielerin erwartet, dass sie ihre Rolle der gütigen Mutter immer aufs Neue spielt, und zwar möglichst perfekt, um ihr Publikum möglichst nicht zu enttäuschen. Was aber auch heißt, dass sie keine andere Rolle spielt. Denn das Publikum hat ein Bild von dieser Frau, in dem es sich wiedererkennen möchte.

      Ich hielt das Laufband an. Ich war erschöpfter als sonst. Ich war zu lange gelaufen und wankte zur Erfrischungsbar. Ich bestellte mir einen großen Eiweißtrank und hatte nicht die geringste Kraft, noch an irgendein anderes Gerät zu gehen. Ich ging nicht mal mehr in die Sauna.

      Auf dem Nachhauseweg kaufte ich mir die »Financial Times« und nahm die Abkürzung durch den Park. Die Wiese blühte schon. Die Jogger liefen ihren Laufweg dicht neben dem Hauptweg ein. Spätestens nächste Woche werde ich hier auch wieder meine Runde ziehen. Schon Ende Mai, wenn die Grillsaison begonnen hat, wird die Wiese von kreisrunden braunen Flecken bedeckt sein. Im letzten Jahr ist das Grillen zwar auf dem Berg, nicht aber auf den Liegewiesen untersagt worden.

      Ich setzte mich auf die feuchte Bank und las die Schlagzeilen auf der Titelseite der Zeitung. Ein Squirrel rannte quer über den Gehweg. Dann ein zweites. Sie jagten einander hinterher und erinnerten mich daran, dass ich noch Macadamianüsse bei Aldi kaufen wollte. Ich wollte wissen, ob die Squirrels sie in diesem Park auch lieber fraßen als Erdnüsse. In Manhattan war es nämlich so.

      Ein Windstoß fuhr durch die Blätter der Zeitung. Ihr Rascheln war den grauen Eichhörnchen Grund genug, schnell in der Baumkrone einer alten Platane zu verschwinden. Ich holte einen Rest Erdnüsse aus meiner Sporttasche, legte die Nüsse neben die Bank und ging. Seit ich an diesem Park wohne, habe ich immer Erdnüsse in irgendeiner Tasche.

      Max war zufrieden mit mir damals, als mich der Kunsthändler entdeckte. Das heißt, er war froh, dass ich von diesen Künstlerhungerstipendien wegkam und finanziell unabhängig wurde. Ich war es auch. Ich konnte sogar noch einiges sparen. Das begeisterte Max mehr als mich. Denn so etwas wie Sparen war für mich nie wichtig. Wusste ich doch, worauf ich mich eingelassen hatte, als ich entschied, auch weiterhin zu malen. Wichtiger als diese finanzielle Sicherheit war, dass Achim so klar aussprechen konnte, was ich wollte. Ja, das faszinierte mich. Jedenfalls in jener Zeit. Also malte ich, was er mir einflüsterte. Nicht suggerierte. Denn nie insistierte er oder forderte gar, dass ich seinen Ratschlägen folgen sollte. Genau das war ja das Verführerische. Ich behielt immer das Gefühl, dass es meine freie Entscheidung war zu malen, was ich malte in dieser Zeit. So erfand mich Achim als Malerin tatsächlich noch einmal und etablierte mich auf dem Kunstmarkt. Ich war ein wenig berauscht vom Erfolg und malte ziemlich besinnungslos. Erst allmählich merkte ich, dass ich mich von mir entfernte. Denn ich war nicht mehr dabei, wenn ich die Farben mischte. Ich war nicht mehr aufgeregt, wenn ich die ersten Linien zog. Kein Fieber mehr, keine Angst mehr, auch keine Neugier mehr in mir. Ich wusste, dass mir das Bild gelingen würde, bevor es Konturen annahm. Da war keine Spannung. Keine Furcht oder Beklemmung, weil ich selbst nicht wusste, was da wird, bevor es auf der Leinwand oder dem Papier Kontur annahm. Es fehlte die Beschleunigung, die dem Bild eine eigene, von mir nur bedingt beeinflussbare Richtung gab. Was ich malte, wurde Routine. Handwerk. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

      Ich hatte gelernt von Achim, was ich zu lernen hatte, damit er meine Arbeiten als gut bis genialisch befand. Sein Zauber auf mich ließ nach. Routiniert malte ich, bis die Zeit kam, da ich Achim zu widersprechen begann. Denn irgendwann kannte ich alle seine Vorschläge und das Bild, das er von mir in die Welt gesetzt hatte, um mit seinen Worten zu sprechen. Seine Hellseherei, die mich über Jahre so fasziniert hatte, war berechenbar geworden. Da war kein Geheimnis mehr und nichts, was er mir nicht schon gesagt hätte. Ich hörte nicht mehr hin, wenn er sprach. Doch was schlimmer war, jedenfalls für mich: Ich hatte die Idee, alle Bilder zu kennen, die ich noch zu malen hatte, um meinem Publikum zu gefallen bis ans Ende aller Tage.

      Ich warf mir selbst vor, undankbar gegenüber Achim zu sein. Denn inzwischen war ich eine durch den Kunsthändler - und nur durch ihn - bekannte Malerin. Aber was hieß das? Meine Bilder hatten ihr Publikum gefunden und verkauften sich. Aber ich wollte wieder Eigenes malen. Konsequenterweise hieß das, mir einen Brotjob zu suchen, um als Malerin zu überleben. Diese Idee begeisterte Max als leidenschaftlichen Amerikaner der Middleclass natürlich. Er wäre auch einverstanden gewesen, wenn ich Blumen verkauft hätte, so lange ich davon leben konnte. Denn als begeisterter Amerikaner wiederholte er in unregelmäßigen Abständen: Selbst ist der Mann, seinetwegen auch die Frau. Kaum etwas fand er erniedrigender als ein subventioniertes Leben, wie er mit stets verächtlichem Ton sagte. Das ging soweit, dass er den Gedanken vom Sozialstaat als den eigentlichen Niedergangs Europas ansah.

      5

      Post war keine gekommen. Aber auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von Marion. Sie fragte, ob ich nicht heute noch in ihre Praxis kommen könnte. Sie müsse vor morgen früh unbedingt die Gardinen im Behandlungszimmer aufhängen. Allein schaffe sie es nicht. Sie brauche die Vorhänge aber morgen, ihrer Patienten wegen. Also packte ich meine Traingstasche mit dem durchgeschwitzten Sportzeug aus und ging zu Marion. Ihre Praxis ist keine fünf Minuten von mir entfernt.

      Als ich in die Straße einbog, stand Marion im Erkerfenster. Marion steht oft am Fenster. Sie wartet. Aber dass sie wartet, mag sie sich nicht eingestehen. Sie glaubt, das könnte ihr als Schwäche ausgelegt werden. Vor Schwächen fürchtet sie sich. Ich winkte ihr von der gegenüber liegenden Straßenseite zu. Aber sie sah mich nicht. Sie sah in eine Ferne, die nur für sie erreichbar war.

      »Gott sei Dank, du hast also deine Maschine abgehört«, sagt sie, während sie die Tür öffnete. Sie küsste mich. Sie roch nach Rotwein.

      »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig diese Vorhänge sind. Es macht nämlich einen Unterschied für die Patienten, ob sie auf die Vorhänge oder ob sie in den Himmel sehen«, versuchte sie mir zu erklären.

      Sie bot mir Wein an. Ich lehnte ab, weil ich kaum etwas gegessen hatte. Und so machten wir uns gleich an die Arbeit. Es waren endlose Meter gelber Seide, die Marion zu Vorhängen hatte nähen lassen. Die Farbe Gelb, so habe sie herausgefunden, eigne sich ganz besonders gut, um zu assoziieren und sich zu erinnern, hatte Marion mir einmal erklärt. Und darauf komme es schließlich an in diesem Zimmer.

      »Apropos nicht gegessen«, sagte sie. »Ich habe Spaghetti gemacht. Und wie immer zuviel. Möchtest du welche?«

      »Au ja, ich habe einen Riesenhunger. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erschöpft ich heute vom Laufen bin.«

      Ich warf mich auf die Liege und schloss die Augen. Für einen Moment war es absolut still im Zimmer. Dann brüllte Marion los.

      »Kannst du bitte von meiner Patientenliege aufstehen! Wenn du schlafen willst, leg dich bitte ins andere Zimmer!«

      Erschreckt von ihrem Geschrei, sprang ich auf und war hellwach.

      »Ja, natürlich«, sagte ich, »entschuldige. Ich habe vergessen, dass ich ja in deiner Praxis bin.«

      Um diese »Psycholiege« treiben alle Analytiker einen enormen Kult. Als Marion vor Jahren ihre Praxis hier in Ostberlin einrichtete, war sie wochenlang mit nichts anderem beschäftigt als mit Form, Farbe und Stoff für die Couch. Erst das Zusammenspiel aller Faktoren werde ihre Patienten dazu bringen, sich liegend zu erinnern und zum Reden zu ermuntern, erklärte sie mir ausführlichst. Ich erfuhr, dass es für diese Kultgegenstände Extraläden gab, und begleitete Marion mehrmals dorthin. Ich sollte sie beraten. Schließlich wisse ich als Malerin eine Menge über Farben. Bis sie sich dann endlich für das Blau ihrer Couch entschieden hatte, hatte sie zig Versuche mit der Farbe Blau ausprobiert. Blau am Mittag, am Abend und Blau in aller Frühe des Tages. Sie wurde immer konfuser, zwischen all den Blaus wählen zu müssen. Da sie sich nicht entscheiden konnte, machte sie einen Kompromiss. Sie kombinierte zwei Blau miteinander. Das hellere entschied sie für die Ränder der Liege. Sie hatte dafür auch einen Psychogrund, aber ich habe ihn vergessen.

      Marion weiß, dass ich ein distanziertes, mitunter auch spöttisches Verhältnis zu ihrem Berufsstand habe. Sie meint, das sei Abwehr. Ich hätte Angst, mich den Tatsachen meines chaotischen Lebens zu stellen. In der Fachsprache