Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


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waren eingegangen, nachdem er nun doch endlich diese Stellen annonciert hatte. Ich habe über eine Woche nur mit diesen Unterlagen zu tun gehabt. Alle andere Arbeit ist liegen geblieben. Und dann hat er flugs zwei aus dem Eingangskorb gezogen. Eine von beiden war Ihre Bewerbung. Na, und nun sitzen Sie hier.«

      Sie hielt inne in ihrem Redeschwall und musterte mich mit diesem Blick, von unten nach oben und wieder nach unten. Ein Blick, der allein unter Frauen üblich ist und der etwas Taxierendes hatte. Ich versuchte, nicht arrogant zurückzublicken, was mir wahrscheinlich nicht gelang. Jedenfalls gewann ihre Stimme an Sachlichkeit. Sie sei hier keinesfalls nur die Sekretärin, sondern auch als Assistentin der Geschäftsführung beschäftigt. Außerdem sei sie noch für die Buchhaltung zuständig, betonte sie. Dann gratulierte sie mir, dass ich diese Stelle bekommen hatte. Sie beugte sich etwas zu weit zu mir herüber. Über den großen ovalen Tisch, an dem wir inzwischen saßen, reichte sie mir die Hand.

      »Also, ich bin die Lisa Beckmann. Aber alle nennen mich hier Lisa«, sagte sie.

      »Und bin Anna Hausen.«

      Marion hatte mir eingeschärft, distanziert zu bleiben, gerade mit Sekretärinnen. Also bot ich ihr nicht an, Anna zu mir zu sagen, obwohl Lisa Beckmann einen Moment lang darauf zu warten schien. Doch dann fuhr sie in ihrer schnellen Art zu reden fort.

      »Bernhard« sagte sie nun beinah familiär, »suchte ja schon monatelang. Was ihn dann wirklich veranlasst hatte, die Stellen auf einmal so plötzlich zu annoncieren, weiß niemand hier.«

      Lisa Beckmann redete weiter auf mich ein. Dabei warf sie ihren langen Zopf, zu dem sie ihre gebleichten Haare gebunden hatte, von einer Seite der Schulter zur anderen. Lisa trug ein weites Kleid. Damals wusste ich noch nicht, dass sie immer weite Kleider tragen würde, vornehmlich schwarze. Nachdem sie ihre Zigarette geraucht hatte, ging sie mit mir ins nächste Zimmer. Es war ein Berliner Durchgangszimmer, in dem drei Schreibtische standen. Einer an der linken, einer an der rechten Wand und einer vor dem einzigen Fenster im Raum. Das Zimmer war ziemlich dunkel, aber groß.

      »Wer zuerst kommt, besetzt den besten Platz«, sagte Lisa und erwartete Dank, dass sie mir den Platz am Fenster so selbstverständlich zugewiesen hatte. Das Telefon klingelte. Sie verschwand im anderen Zimmer.

      Der Blick vom Parterre aus dem Fenster war ein Blick in einen Berliner Hinterhof. Der Hof glich eher einem Schacht als einem Hof. Denn vom Schreibtisch, an den ich mich probehalber schon mal gesetzt hatte, konnte ich das Dach des Hauses nicht sehen und damit auch nicht den Himmel. Mein Gegenüber auf diesem Hof war ein geräumiges Zeitungsarchiv, wie ich bald von Lisa Beckmann erfuhr. Wann immer ich also aus diesem Bürofenster sehen sollte, sah ich auf einen betonierten Hof, an dessen anderem Ende sich ein bis zur Erde hin verglastes Büro befand, in dem es darauf ankam, die Neuigkeiten von gestern und vorgestern auf immensen Datenbanken zu speichern. Ich bemaß die Größe des Hofes, der dreihundert Quadratmeter nicht überstieg.

      Da ging die Tür auf. Etwas unvermittelt stand Bernhard Frischauf vor mir. Akkurat und aufwändig gekleidet. Er trug einen Anzug mit Weste aus englischem Tuch, die seinen Bauch verdecken sollte. Dazu einen seiner teuren Hüte.

      So gekleidet hatte ich ihn in Washington bei Max kennen gelernt, wo er für zwei Tage Hausgast war. In dieser Zeit wohnte ich noch bei Max. Herr Frischauf, so erklärte mir Max damals, sei hier zwei Tage im Auftrag eines internationalen Versicherungskonsortiums. Er sei also ein höchst wichtiger Mann. Max grinste mich an. Herr Frischauf selbst leite in Berlin eine erfolgreiche Consulting-Gesellschaft und habe eine Menge Einfluss. Dass er ihm vornehmlich meinetwegen angeboten hatte, bei uns zu schlafen, kapierte ich erst später.

      Max hatte allerlei edle Sachen für unser Frühstück mit Bernhard Frischauf eingekauft und auf der Terrasse den Tisch selbst gedeckt. Zwischen dem ersten und zweiten Mohnhörnchen fragte mich Herr Frischauf dann mit einigem Interesse aus. Dabei beträufelte er die in Stücke zerlegten Hörnchen mit Honig und schaffte es, dass, während er sie in den Mund schob, kein Honig auf seine Weste kleckerte. Er aß mit demonstrativem Genuss. Nachdem er das zweite Hörnchen verspeist hatte, fragte ihn Max, ob seine Geschäfte mit den hiesigen Partnern vorankämen.

      Herr Frischauf wischte sich mit der Serviette säuberlichst die Mundwinkel, wodurch eine Pause entstand, die Max’ Neugierde steigerte. Bevor er antwortete, zupfte er an seiner Weste und setzte sich aufrecht in Max’ liebsten Terrassenstuhl. Dann erfuhr ich, dass seine Consulting-Gesellschaft ein versicherungstechnisches Konzept für ein höchst interessantes Produkt entwickelt hatte und dass Max in seiner Redaktion einiges dazu beigetragen hatte, es in Washington an den richtigen Stellen bekannt zu machen.

      »Die Entwicklung sei beinahe abgeschlossen«, sagte Bernhard Frischauf, während ich ihm unaufgefordert Kaffee nachgoss.

      »Wenn alles läuft, wie er sich vorstellte, dann könnte seine Firma auch noch die internationale Produktwerbung übernehmen«, fügte er hinzu und sah zuerst Max und dann mich bedeutungsvoll an.

      Warum, verstand ich erst einen Tag später.

      Nach dem Frühstück ging er seiner Wege. Für den nächsten Abend bat mich Max, Pasta zu machen und von einem Laden am Dupont Circle schwarzen Trüffel zu holen. Herr Frischauf liebe sie. Und warum sollte man ihm nicht eine seiner kleinen Annehmlichkeiten servieren, sagte Max. Ich war ein wenig überrascht von seiner großzügigen Gastfreundschaft gegenüber Herrn Frischauf. Aber natürlich kaufte ich schwarze Trüffel und kochte.

      Als ich abends die Pasta servierte und Bernhard Frischauf den Trüffelhobel samt der Trüffel auf einem Teller reichte, war er hocherfreut und lobte sie wegen ihres guten Geruchs. Denn schon am Geruch erkenne man ihre Qualität. Während er Trüffel über die Pasta hobelte, fragte er, ob ich mir vorstellen könne, in seiner Consulting-Gesellschaft, genauer in einem seiner Grafikbüros, zu arbeiten. Beispielsweise als Designerin, die auch ab und zu kleine Texte schriebe? Er suche exakt diese Kombination für eine Stelle. Er sei nämlich dabei, etwas auszuprobieren. Seine Gesellschaft habe da auch für Künstler einige Möglichkeiten. Und von mir als Malerin habe er immerhin schon gehört. Aber nun habe ihm Max erzählt, ich schriebe auch kleinere Texte, die sogar Max gefielen. Und Max habe einen Geschmack, auf den man sich verlassen könne. Er spiele nämlich nicht nur die Geige beinah so gut wie Paganini, er sei darüber hinaus auch ein begnadeter Buchautor, wie er mehrfach bewiesen habe. Er sah Max an, dem diese Schmeicheleien nicht unangenehm waren.

      Ich könne ja mal darüber nachdenken, sagte Herr Frischauf. Wenn ich Lust hätte, könnte ich ja mal reinschauen. Er gab mir seine Visitenkarte und sagte, dass er sich freuen würde, wenn ich ihn mal anrufen würde in Berlin.

      Ich sah zu Max. Er reichte mir die Schüssel mit Pasta und sah mich mit Unschuldsmiene an. Ich kannte ihn zu lange, um nicht genau zu wissen, dass er dieses Essen samt Hausgast sorgfältigst eingefädelt hatte. Denn seit geraumer Zeit redete er auf mich ein, ich solle mein freiberufliches Sein als Malerin aufgeben, damit ich wieder unabhängiger vom Galeriebetrieb werde. Nachdem Herr Frischauf am nächsten Morgen in aller Frühe abgereist war, kam Max in mein Bett und flüsterte mir ins Ohr.

      »Da kannst du mal sehen, weshalb es sich lohnt, nach Washington zu kommen.«

      Und nun stand Bernhard Frischauf vor mir und begrüßte mich mit einem Lächeln, das eigentlich Max galt. Es war dieses kumpelhafte Lächeln, das es so eher nur unter Männern gibt.

      Nachdem er seine große braune Ledertasche auf einem der leeren Schreibtische abgestellt hatte, fragte er auch prompt, wie es Max denn gehe.

      »Ich hoffe gut«, sagte ich. Ich hoffte es wirklich.

      »Er ist schon ein erstaunlicher Mensch, finden Sie nicht?«, fragte er.

      »In der Tat«, sagte ich und meinte es auch so. Nur war ich gerade bemüht, Max in eine Ferne zu stellen, in der mich seine Abwesenheit weniger lähmte. Und für Tage gelang es mir auch schon. Zurück blieb diese diffuse Trauer um etwas unwiederbringlich Verlorenes, das mit Max nur noch bedingt zusammenhing.

      »Also, grüßen Sie ihn von mir, sagte Herr Frischauf.

      »Wann kommt er denn wieder nach Berlin?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, das