Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


Скачать книгу

er denken, ich hörte ihm gebannt zu. Ja, ich hinge gerade zu an seinen Lippen. So verwunderte es nicht, dass er entzückt war, eine so begierige Zuhörerin gefunden zu haben. Um so erstaunter war er dann, als ich nach der zweiten Tasse Kaffee abrupt aufstand und mich so verabschiedete, dass für einen Widerspruch kein Raum blieb.

      Ich nahm den Hunderter-Bus und fuhr zum Bahnhof Zoo. Im Café von Lofferiere am Kurfürstendamm bestellte ich nach einigem Zögern den Eisbecher, den ich mich mit Max dort immer gegessen hatte. Ich dachte daran, dass wir uns in den letzten Monaten viel gestritten hatten. Ich verstand erst jetzt, dass ich mich mein ganzes Leben lang immer nur in kluge, eigentlich in sehr kluge Männer verliebt hatte. In Männer, die mehr wussten als ich. Ich suchte nach Gewissheiten. Ich war süchtig nach Antworten, die keinen Widerspruch zuließen oder ihm standhielten. Solche Antworten suggerierten mir Sicherheit. Sie sprachen von Hoffnung, dass es vielleicht doch ein Einsehen gäbe. Zumindest für Stunden.

      So war es auch mit Max. Ich war ruhig, wenn er sprach. Selbst seine mitunter dozierende Art, mir die Welt zu erklären, nahm ich lachend hin. Zu früh hatte ich jegliche Parameter verloren für das, was wahr und was falsch war. Denn alles ist wahr, und alles ist falsch. Es kommt auf die Bezugspunkte an. Sie allein ordnen die Dinge. Sie allein bestimmen die Grenzen, in denen wahr bleibt, was wir für wahr vereinbart haben. Treten wir hinaus über die von uns selbst bestimmten Grenzen, fällt zusammen, was uns hielt, weil die Koordinaten sich verändert haben.

      Ich falle dann mit. Falle durch alle Raster, wohin, weiß ich nicht. Aber dass es kein Laut da gibt, wohin ich falle, weiß ich. Mitten in solch bodenlosem Fallen fängt mich einer dieser klugen Männer auf. Einer von denen, die auf alles eine Antwort haben. Nicht dass ich ihnen das vorwerfe. Im Gegenteil, auch Max liebte ich dafür. Ich war ihm dankbar. Begierig nahm ich seine Antwort auf und deckte meine Unsicherheiten zu mit ihnen, so gut ich konnte. Ja, süchtig nach Zuspruch bin ich immer gewesen. Und so lange Max da war, waren seine Antworten auch stimmig. Das heißt, ihr Klang war stimmig. Weil die Logik seiner Antworten aber nicht mehr stimmte, ihr Klang also brüchig wurde, wenn er nicht da war, konnte ich es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Seine Antworten beschützten mich.

      Aber dann kam auch für Max der Tag, da ich alle seine Antworten kannte. Ich also wusste, was er als Nächstes erwidern würde, würde ich nachfragen. Und da wurde wieder alles wahr und alles falsch. Ich begann, ihm zu widersprechen. Das war der Anfang vom Ende. Denn ich änderte die Bezugspunkte, von denen aus ich auf Max zuging, ihn zu umarmen. Ich verließ ihn. Ich war dagegen. Ich verließ ihn dennoch. Mit jeder neuen Frage entfernte ich mich von ihm. Ich kam nicht dagegen an. Ich kannte inzwischen den Rhythmus der Schritte, in dem ich mich von ihm entfernte. Schließlich war Max nicht der erste Mann, den ich verließ. Weil ich nicht immer fortgehe, nachdem ich einen dieser klugen Männer verlassen habe, tauge ich zur Ehefrau.

      Ich aß mein Eis auf und zahlte. Ich nahm den Bus nach Hause. Seit ein Bus beinahe von meiner Haustür zum Kurfürstendamm fährt, fühle ich mich weniger allein in der Stadt. Angekommen an meiner Haltestelle, machte ich noch einen Spaziergang durch den Park. Es ist ein Park, in dem Jogger, Schwule, Spaziergänger sowie Kinder und ihre Eltern neben einander bestehen können. Ich lief den großen Trümmerberg hinauf. Auf einem gesprengten Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg hatten Berliner den Schutt ihrer zerstörten Häuser abgeladen. Dann haben sie den Berg mit Bäumen bepflanzt. Im Winter, wenn diese Bäume keine Blätter haben, kann man von dem Trümmerberg aus weit über Berlin sehen. Aber ab Mai sieht man nur noch zwischen den Baumlücken hier und da ein Stück von der Stadt. Angekommen auf dem höchsten Punkt des Berges, machte ich meinen kleinen Rundgang. Nachdem das Pärchen, das auf der Brüstung des Bunkers saß, gegangen war, pfiff ich vorsichtig durch die Zähne. Ich tat es noch einmal. Die Squirrels kamen nicht. Sie kommen nicht immer, wenn ich sie rufe. Die Squirrels sind graue Eichhörnchen. Ihre Heimat ist eigentlich Nordamerika. Sie haben einen buschigeren Schwanz als die europäischen, und sie sind auch größer.

      Wie die Squirrels hier in diesen Park gekommen sind, weiß niemand. Ich hatte sie zum ersten Mal in Berlin gesehen, nachdem ich vor Jahren das erste Mal aus Manhattan zurückgekommen war. Sie sind, so weit ich weiß, nur in diesem Park hier und in keinem anderen von Berlin. Warum, weiß ich nicht. Aber ich war hoch erfreut, als ich sie auch hier sah. In New York erblickte ich sie zum ersten Mal in Manhattan - und zwar in dem schmalen Park von Riverside. Dort waren sie so zahm, dass sie auf dem Weg saßen und darauf warteten, dass die Passanten sie fütterten. Im Central Park sind die Squirrels auch. Nur füttert sie dort niemand.

      Als ich im letzten Jahr von New York zurückkam, habe ich den Squirrels vom Trümmerberg Früchte aus dem Central Park mitgebracht. Sie fraßen sie mit sichtlichem Vergnügen. Doch Nüsse aus dem Supermarkt fressen sie auch. Ich pfiff noch einmal. Eines der Squirrels pfiff zurück. Aber es ließ sich nicht blicken. Ich war dennoch erleichtert, dass sie überhaupt antworteten. Ihre Anwesenheit in diesem Park gilt mir als Zeichen dafür, dass es einen diskreten, einen heimlichen Zusammenhang zwischen den Orten gibt. Einen, der hinter allen Koordinaten von hier und jetzt liegt. Ohne sie wäre der Park nur halb so schön. Bevor ich den Trümmerberg wieder hinabstieg, schaute ich noch einmal durch die Baumlücken über die Stadt. Ich wollte mich vergewissern, dass alles noch war, wie es gestern auch war. Solche Gewissheiten beruhigen mich seit einigen Jahren.

      Als ich an meinem Haus ankam, sah ich schon von weitem Marions Wagen. Sie kam auf mich zu und küsste mich auf die Stirn. Sie habe sich schon gedacht, dass ich diesem Mann keine einzige Minute eine Chance geben würde. Marion hatte etwas getrunken. Dennoch sagte sie mit fester Stimme, so könne es nicht weitergehen mit mir. Ich stimmte ihr zu. Wir beschlossen, ins Kino zu gehen, auch weil wir dort keine Möglichkeit hatten, länger über mein Desaster zu diskutieren.

      2

      Es klingelte. Ich wollte, dass es aufhörte. Es hörte nicht auf. Im Gegenteil. Der Ton verstärkte sich und wurde penetrant. Also stand ich auf. Es war der Postbote. »Eilt«, stand auf dem Umschlag. Wortlos hielt der junge Mann seinen Zeigefinger auf eine Stelle seines elektronischen Geräts. Ich sollte den Empfang quittieren. Ich machte mit seinem Schreibgerät irgendwelche Krakel auf das Display. Ohne Brille fällt es mir immer schwerer, meine Unterschrift Buchstabe für Buchstabe zu schreiben. Ich gab ihm seinen elektronischen Stift zurück. Er wünschte mir noch einen schönen Tag und zog ab. Jeder wünscht ja jedem heutzutage einen schönen Tag und geht danach.

      Einen Moment lang hatte ich den Wunsch, den Postboten zurückzurufen, um meine Unterschrift, nachdem ich meine Brille endlich gefunden hatte, noch einmal zu geben. Denn ich bestehe noch heute bei meiner Unterschrift auf jedem Buchstaben. Einzeln und zusammen gelten sie mir als Zeichen oder besser als Gewissheit, dass da ein Teil von mir geblieben ist, auf den ich jederzeit zurückkommen kann. Ich also den Zusammenhang mit mir nicht verloren habe. Nachdem ich die Wohnungstür schon geöffnet hatte, wurde ich mir glücklicherweise der Lächerlichkeit meines Anliegens bewusst. Ich schloss die Tür wieder.

      Der Eilbrief mit persönlicher Übergabe, wie auf dem Briefaufkleber zu lesen war, war von diesem Consulting-Büro. Ich hatte letztlich doch zugesagt. Nun wollte man meine Unterlagen für die Krankenversicherung. Aber vorab sollte ich in diesem Büro anrufen.

      Ich schaltete die Nachrichten von CNN ein und ging ins Bad. Morgens weiche ich gern in den englischen Sprachraum aus. Da ich Englisch nie so gut gelernt habe, dass ich die Nuancen der Nachrichten verstehe, behalten sie etwas Ungefähres. Ich muss nicht auf Anhieb entscheiden, ob die gemeldeten Katastrophen in einem bedrohlichen Zusammenhang zu mir stehen. Ich kann also erst einmal in Ruhe duschen und frühstücken, bevor ich mich dem Weltgeschehen im Einzelnen zuwende.

      Während ich mir das Shampoo in die Haare massierte, dachte ich an Emmi. Wahrscheinlich, weil die Nachrichtensprecherin aus Washington berichtete. Warum meldet sich Emmi eigentlich nicht? Sie wollte anrufen, sobald sie aus Washington zurückgekommen war. Emmi war absolut dagegen, dass ich die Stelle in diesem Büro annehme. Sie wollte, dass ich weiter malte. Das wollte ich auch, nur nicht so wie in den letzten Jahren. Denn es passierte nichts mehr. Ich meine, nichts wirklich Neues. Meine Bilder waren routiniert. Es fehlte ihnen die innere Anspanung, ja auch Angst, ob das, was ich tun wollte, auch wirklich herausfand aus mir.

      Als ich Emmi davon erzählte, lachte sie nur und sagte,