Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


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Premier Pro

      Schriftsatz, Fotos und Buchcover: Bernd Floßmann, www.flossmann.de

      ISBN 978-3-8442-9268-8 (Paperback)

      ISBN 978-3-8442-9267-1 (E-Book)

       Ich danke:

      Manfred E. Berger, Bernd Floßmann, Annette Graczyk, Christiane Hartnack, Gerda Hollunder, Hanno Möbius, Helga Schultz, Monika Richarz, Marianne Theil

      Rita Kuczynski

      Aber der Himmel war höher

      epubli 2014

      Für Sabine und Uschi

      1

      Der Mai war zu kalt. Er war auch zu feucht. Dass ich aufs Wetter achte, ist neu. Marion meint, ich würde weniger erwarten. Ich suchte nach Verlässlichem. Und schlechtes Wetter käme - wie gutes Wetter.

      Das stimmt so aber nicht. Ich will nur Klarheit. Also ein Ende mit Max. Denn Klarheit in der Liebe ist unweigerlich das Ende. Jedenfalls habe ich es so erfahren. Daher achte ich zurzeit auf Wärme. Sogar einen Wollpullover habe ich mir gekauft, mitten im Mai. Ich kann die Trennung nicht länger leben. Das ist alles. Und dafür ist es viel. Zu viel denke ich manchmal. Dennoch will ich es versuchen. Ich habe mir daher auch eine neue Bahncard gekauft. Wegfahren hilft ja. Wir fahren doch das ganze Leben lang fort. Fort von uns. Wir merken nur Jahre später erst, dass wir gefahren sind. Dann können wir uns nicht erinnern, von wo wir losfuhren. Manchmal glauben wir, um den Anfang unseres Fortgehens zu wissen. Dann werde zumindest ich ruhiger, weil ich das Gefühl habe einen Faden in die Hand zu bekommen, an den ich mich halten kann. Aber bald verliere ich ihn wieder. Nicht dass er reißt. Er war gar nicht da. Denn der Anfang, um den ich glaubte zu wissen, war gar keiner. Auch deshalb liebe ich Bahncards und sammle Meilen bei allen Fluggesellschaften.

      Obwohl Max gar nicht mehr in Europa ist, habe ich mir also eine Euro-Bahncard gekauft. Nicht weil das Angebot besonders günstig war, sondern weil ich glaubte, meinen Aktionsradius durch diese Card vergrößern zu können. Denn auch wenn Max schon lange nicht mehr im Lande ist, sind doch die Städte voll von Erinnerungen an ihn.

      Mitunter gehe ich ins »Café Einstein« Unter den Linden, um zu gucken, ob Max dort die »Financial Times« liest. Er weigerte sich, diese Zeitung auch noch zu abonnieren. Schließlich hatte er schon drei Tageszeitungen. Natürlich weiß ich, dass Max eigentlich nicht dort sein kann. Trotzdem sehe ich mich um nach ihm, wie ich mich immer umgesehen habe, wenn ich dieses Café betrat. Irgendwann verweilt mein Blick dann auf der braunen Holzleiste, an der Fensterfront zur Straße. Tageszeitungen auf Halter gespannt, zieren die Wand zwischen den einzelnen Fenstern. Langsam steuere ich sie an und hole mir die »Financial Times« von einem der Wandhaken. Ich bestelle mir einen Espresso, den mit Kandiszucker. Ihn habe ich mit Max hier immer getrunken. Dann durchblättere ich Seite für Seite das rosa Papier der Zeitung, bis ich bei den Börsenkursen angelangt bin. Nicht dass sie mich sonderlich interessieren. Aber ich brauche die Nachrichten aus aller Welt, bis ich mir eingestehe, dass Max nicht hier sein kann. Dann lese ich noch, wie der Dollar zum Euro steht, auch weil ich dann weiß, ob Max’ Aktien Verluste oder Gewinne gemacht haben. Danach trinke ich den letzten Schluck Espresso aus. Ich liebe diesen kalten Schluck. Deshalb hebe ich ihn mir immer auf, bis ich auf der letzten Seite dieser Zeitung angelangt bin. Dann lege ich drei Euro auf den Tisch. Ich trage die Zeitung zurück zur Wand und hänge sie ordentlich an einen freien Haken. Die Kellner kennen meine Gewohnheit. Manchmal, wenn ich sehr früh komme, entschuldigen sie sich, dass die aktuelle Ausgabe der »Financial Times« noch nicht da sei. Sie geben mir dann die Ausgabe des Vortags. Sie liegt unter dem Tresen.

      Marion sagt, es gehe so nicht weiter mit mir. Marion ist Psychoanalytikerin. Und dafür, dass sie diesem Beruf nachgeht, ist sie erstaunlich pragmatisch. Für andere hat sie meist einen vernünftigen Vorschlag, aus scheinbar aussichtslosen Situationen herauszufinden. Nur für sich meist nicht.

      In ihrer Gutherzigkeit hat Marion in einer Sonntagszeitung unter der Rubrik ‚Zusammenleben’ für viel Geld und ohne mich zu fragen, eine Annonce für mich aufgegeben. Es sollte eine Geburtstagsüberraschung werden. Und so saßen wir dann an diesem Tag, da ich 51 Jahre alt geworden war, zusammen und sortierten 63 Briefe. Marion hatte professionell formuliert. Und da sie Max auch kannte, wusste sie, womit ich nicht umgehen kann. Schließlich blieben nur zwei Zuschriften übrig, die Erfolg versprechend schienen.

      Ich war gar nicht so begeistert. Aber ich wollte Marion auch nicht enttäuschen. Also habe ich mir schwarze Wimperntusche und blauen Lidschatten gekauft. Da ich nie zuvor in meinem Leben Lidschatten benutzt hatte, musste ich erst einmal sehen, wie mit solch einer Farbe umzugehen war. Nachdem ich endlich verstanden hatte, dass sich das Blau besser mit den Fingern und nicht mit der beigelegten Schwammbürste auftragen ließ, war das Resultat zufrieden stellend. Ich hatte es geschafft, die Farbe gleichmäßig über das Augenlid zu verteilen.

      Max hätte beim Anblick der blauen Bemalung sicher vor Lachen losgeprustet. Dann hätte er mich gefragt, ob es mir nicht gut gehe. Ich hätte gelacht, weil ich meist lache, wenn es mir nicht gut geht und ich mich zu keiner Antwort entschließen kann. Dann hätte ich ihm von der blauen Schminke abgegeben. Auf die Stirn hätte ich sie ihm geschmiert. Natürlich hätte er versucht, sich dagegen zu wehren. Wir hätten uns gebalgt, so dass der blaue Lidschatten auf unserer Kleidung gelandet wäre. Danach wären wir Fleckensalz kaufen gegangen. Im Buntwäscheprogramm hätten wir die Schminke aus unseren Sachen gewaschen.

      Aber Max war nicht da. Also hatte ich Stunden mit dem Kosmetikspiegel verbracht. Ich hatte den Spiegel erst vor Tagen gekauft. Es war ein Sonderangebot. Marion meinte, ich müsste den Tatsachen endlich ins Auge sehen. Da ich mit Spiegeln keine Gewohnheit hatte, kaufte ich einen Drehspiegel. Die Vergrößerungen im Spiegel zu wechseln, gefiel mir.

      Endlich hatte ich es also geschafft, den Lidschatten so aufzutragen, dass er einigermaßen manierlich aussah.

      »Leuchten werden Ihre Augen mit unseren Farben«, versprach die Packungsbeilage.

      Na ja, so schlimm war es denn doch nicht. Aber ich sah anders aus - und das war es, was ich im Sinne hatte. Ich wollte ein Zeichen setzen. Ich wollte nicht aussehen, wie ich ausgesehen hätte, wenn ich mit Max durch die Stadt gegangen wäre.

      Der Einfachheit halber hatten Marion und ich beschlossen, bei den zwei übrig gebliebenen Kandidaten mit dem Berliner zu beginnen. Sich im Café »Adlon« zu treffen, hatte der Berliner Kandidat vorgeschlagen. Für alle Fälle hatte er mir seine Handynummer gegeben. Es könne ja immer etwas dazwischen kommen. Es kam nichts dazwischen. Nur dass ich ihn in der Lounge des Hotels nicht fand. Denn seine Beschreibung, er sei groß, also von stattlicher Natur, war angesichts der tiefen braunen Sessel, in denen die Besucher hier versanken, eine nutzlose Information. Also wählte ich seine Handynummer. Drei Tische vor mir suchte ein Mann in seiner Tasche nach dem klingelnden Gerät und meldete sich. Eigentlich hätte ich sofort auflegen und gehen sollen. Mein Gefühl sagte mir, dieser Mann, ganz in Schwarz gekleidet, sucht keinen Neuanfang, wie er in seinem Brief so wortreich beschrieben hatte. Jedenfalls nicht mit mir. Aber ich wollte Marion nicht enttäuschen. Schließlich war es ihr Geburtstagsgeschenk für mich. Also meldete ich mich. Dass ich keine drei Meter entfernt von ihm stand, verunsicherte ihn für einen Augenblick. Aber dann fing er sich, half mir aus dem Mantel und bat mich Platz zu nehmen. Bei einem Kaffee spielten wir unser Abfragespiel. Verheiratet waren wir beide schon. Ich einmal mehr als er. Dann gestand er mir, dass er als Immobilienhändler vor nicht langer Zeit pleite gegangen war. Das komme häufiger vor in dieser Branche. Aber ebenso häufig komme es vor, dass man ganz schnell wieder reinkommt ins Geschäft. Die Frau, die er liebte, habe ihn gleich nach seinem Bankrott verlassen. Er sei mehr als entsetzt gewesen. Denn auch ihretwegen hatte er einige riskante Käufe getan.

      Ich hörte mir das eine Weile an. Dann hörte ich nicht mehr hin. Ich dachte an Max und daran, dass wir nie auf die Idee gekommen waren, im »Adlon« für irrsinnig viel Geld einen Kaffee zu trinken. Selbst wenn der Kaffee hier etwas besser schmeckte als anderswo. Ich starrte den Mann an, der einen Neuanfang wollte. Ich sah nur noch die Bewegung seines Mundes, aus dem Worte fielen, die ich