Rita Kuczynski

Aber der Himmel war höher


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Ihre Bilder noch einmal angeschaut.«

      Er redete ein Weilchen herum, bis er endlich sagte:

      »Am besten wären Sie meines Erachtens in unserer Versicherungsabteilung aufgehoben. Ihr Talent, Risiken und Ängste zu malen, zeugt von viel Erfahrung mit diesem Milieu. Und entschuldigen Sie, ich habe auch nochmals mit Max telefoniert.«

      Bernhard Frischauf ging zu seiner Ledertasche und holte einige Seiten aus einer Mappe.

      »Ich wusste gar nicht, dass Sie auch schreiben können.«

      Er las den Anfang eines Textes vor, den ich nach dem 11. September geschrieben hatte. Es war ein Beitrag für ein Protestmeeting deutscher Künstler, die sich zu jener Zeit in Washington aufhielten.

      Er unterbrach sein Vorlesen und suchte nach einer bestimmten Seite. Dann fuhr er fort.

      »Zeugen von etwas Entsetzlichem, von etwas Ungeheuerlichem zu werden, können wir uns nicht aussuchen. Es auf unsere eigene Kleinheit zu reduzieren, müssen wir uns jedoch ein Leben lang wehren.«

      Er sah mich an.

      »Das ist gut gesagt, und es ist der Duktus, den wir hier brauchen, Frau Hausen. Ich hoffe, Sie verzeihen Max, dass er mir diese Seiten gemailt hat. Denn der Text bestätigt, was ich annahm. Sie haben auch eine sprachliche Kraft, Katastrophen zu beschreiben. Und das ist genau das, was wir hier brauchen.«

      Er legte die Seiten zurück in die Mappe.

      »Wichtig für uns ist«, sagte er, »dem potenziellen Kunden ein künftiges Unglück so vor Augen zu führen, dass nicht auf dem ersten Blick Panik entsteht. Das ist im Übrigen die Stärke Ihrer Bilder. Sie wecken erst auf den zweiten Blick Urängste. Eben das ist Ihr eigentliches Talent. Eben dies müssen Sie nutzen für Ihre Arbeit hier. Verstehen Sie? Dadurch mobilisieren Sie die diffusen Ängste der Kunden langsam, aber nachhaltig. Und eben solch eine Mobilisierung nicht zu benennender Ängste ist genau das, was wir hier in unserer Branche brauchen. Wieviel Sie unserer Consulting-Gesellschaft wert sind, können Sie an Ihrem Jahresgehalt ablesen. Machen Sie also Werbung, die bei unseren Kunden Katastrophen assoziiert, ohne dass Panik entsteht. Nutzen Sie Ihr Talent, kombinieren Sie nun Bild mit Text. Erfinden Sie Ihre Objekte so, dass die Ängste, die Sie hervorrufen, nicht sofort, sondern in die Ferne wirken. Denn das ist, wovon unser Versicherungsgeschäft lebt.«

      Er schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, auf dem er Platz genommen hatte. Dann sprang er auf und lief im Zimmer hin und her.

      »Wir wollen die Zukunft an der Gegenwart so beschreiben, dass sich die Ängste unseres Kunden ganz allmählich aufbauen. Denn das ist wichtig im Versicherungsgeschäft. Dass wir das Unbehagen langsam wachsen lassen, um es dann hoffentlich gleich in einem ganzen Versicherungspaket für unsere Kunden abzufangen. Also Schritt für Schritt den Kunden zu uns zuführen und zwar so, dass er von sich aus den Entschluss fasst, unser Angebot dankbar anzunehmen. Er muss davon überzeugt sein, unser Angebot sei das beste für ihn und der sichere Weg, seine Ängste loszuwerden. Verstehen Sie?«

      Er sah mich fest an.

      »Das gelingt uns aber nur, wenn wir nicht von vornherein Panik erzeugen, denn dann läuft er uns als Kunde einfach fort. Wir aber wollen ja seine Furcht sicher auffangen.«

      Bei dem Wort »auffangen«, glänzten seine Augen.

      »Und« fuhr er fort, »genau diesen Zeitpunkt abzupassen, hat eine Menge mit Intuition, also mit Kunst zu tun.«

      Er setzte sich wieder auf den Schreibtisch.

      »Unter uns«, sagte er nun in einem vertraulichen Ton, »gute Versicherungen zu verkaufen, ist eine der höchsten Künste.«

      Er sah mich verschmitzt an. Nach kurzer Pause meinte er, er erwarte also, dass ich meine Erfahrung als Künstlerin bedingungslos einbringe in diese Arbeit.

      »Wichtig ist auch hier die so schmale Gratwanderung zwischen Realität und ihrem möglichen Bruch. Abbruch. Den wir oft so sehr fürchten, weil wir für unbestimmbare Zeit den Boden unter den Füßen verlieren.«

      Er sah mich an. Sein Gesicht hatte Farbe bekommen. Er zupfte an seiner Weste herum. Dann ging er zum Hoffenster und schloss es.

      Er liebe diese Brüche und er liebe die Versicherungen gegen solche Brüche.

      »Denn Versicherungen sind wie Brücken. Wir gehen über sie und lassen unsere Angst zurück. Wir übersteigen unsere kleinen und großen Katastrophen und kommen sicher auf die andere Seite.«

      Er wisse nicht genau, was er mehr liebe, den Bruch oder das Aufscheinen einer Hoffnung, die sich in unserem Versicherungspaket dartut. Wahrscheinlich liebe er den Wechsel von einem zum anderen. Bilder zu erfinden, die den Wechsel zwischen Abbruch, aufflackernder Panik und Fortgang des Gewohnten reibungslos ermöglichen, werde also meine Aufgabe hier in seinem Unternehmen sein.

      Er zog eine Mappe aus seiner Ledertasche. Es war mein Arbeitsvertrag. Er legte ihn auf den Schreibtisch, den mir Lisa zugewiesen hatte. Über mein Gehalt habe ich den anderen Mitarbeitern gegenüber zu schweigen. Den Vertrag solle ich unterschrieben nur ihm persönlich zurückgeben. Er sah mich an. Es sei eine Menge Vertrauen, das er mir da entgegen bringe, sagte er. Schließlich kenne er mich kaum. Aber er vertraue Max.

      »Also dann fangen Sie mal an«, sagte er und öffnete die Tür zum Sekretariat.

      »Lisa, Sie werden Anna Hausen Zugang zu allen hausinternen Passwörtern geben. Einschließlich die zu den Netzwerken.«

      »Jawohl«, antwortete Lisa Beckmann und fragte dann aber doch mal nach.

      »Zu allen?«

      »Ja, zu allen.«

      Er sah auf die Uhr und verschwand, ohne sich zu verabschieden.

      Lisa Beckmann erfüllte ihren Auftrag sofort. Sie gab mir alle Sicherheitscodes und die dazu gehörigen Pinnummern. Dann ließ sie mich unterschreiben, dass sie mich belehrt habe, die Passwörter nicht an Dritte weitergeben zu dürfen. Ich unterschrieb.

      Nachdem Lisa Beckmann gegangen war, öffnete ich erst einmal wieder das Hoffenster. Dann starrte ich in den Bildschirm. Nach einer Weile suchte ich bei »Google« die Website der »Financal Times« und landete schließlich bei den Börsenkursen. Sie standen gut, jedenfalls für Max. Dann klickte ich einen Link zu einem CD-Discounter an. Für sechs Euro wurden im Sonderangebot sieben Walzer von Johann Strauß angeboten. Natürlich konnte man sie sich online anhören. Ich konnte nicht widerstehen. Ich ging auf Real Play. In erstaunlicher Qualität erklang der Kaiserwalser über die eher unscheinbaren Lautsprecher, die auf meinem mir zugewiesenen Schreibtisch standen. Begeistert von ihrem Klang, machte ich die Musik lauter.

      Da kam Lisa Beckmann rein.

      »Also Frau Hausen, das ist hier bei uns eher nicht üblich, dass wir Radio hören.«

      Sie sagte das mit einem freundlichen Ton und versuchte zu lachen.

      »Das müssten Sie dann mit der Geschäftsführung absprechen.«

      Ich klickte, den Ton weg und entschuldigte mich, dass ich für einen Augenblick vergessen hatte, dass ich ja in einem Büro saß.

      »Na, daran werden Sie sich noch gewöhnen. Selbst wenn es schwer fällt, solch ein freies Dasein, wie Sie es ja wohl hatten, aufzugeben. Aber schließlich, arbeiten müssen wir alle.«

      Sie sah mich an.

      Ich nickte.

      »Wie gesagt, ich habe nichts dagegen. Nur letztlich muss das die Geschäftsleitung entscheiden.«

      »Machen Sie sich keinen Stress Frau Beckmann. Ich kann, wenn ich wirklich Musik hören will, meine MP3-Player mitbringen«, versuchte ich sie zu beruhigen.

      Sie sagte nichts und zog sich in ihr Sekretariat zurück.

      Ich starrte auf den Hof. Ich bemühte mich, keinen Blickkontakt mit den Angestellten in dem gegenüberliegenden Archiv aufzunehmen. Eine Weinranke war die einzige Pflanze auf dem Hof. Dass sie gerade an der Wand zu meinem Fenster hochwuchs, nahm ich als Geschenk hin. Wenn ich also