Johannes Peter Zimmermann

Mund der Wahrheit


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      Zum Geleit

      Was wir sind, ist nicht nur das, was das Leben mit uns macht, was uns widerfährt oder wem wir begegnen.

      Was wir sind, ist auch nicht nur das, woher wir kommen, was uns mitgegeben wurde oder war uns begleitet.

      Was wir sind, ist Sein und Werden, ist Wandel und Veränderung und nicht zuletzt ist es Verletzung und Heilung.

      Was wir sind ist ein unfassbarer Ozean; ein Ozean voller geweinter und ungeweinter Tränen – Tränen der Freude und Tränen der Traurigkeit.

      Jeder einzelne Tropfen ist Teil eines unendlichen, unergründbaren Meeres, voller Mysterien, gefangener Energie, dunkelster Tiefen und überschäumenden Lebens.

      Am Ende aber ist es ein einzelner Stern in der Finsternis, eine uns leuchtende Sonne in der Dunkelheit unseres Daseins, die den Zauber des Lebens bewirkt, Leben selbst dahin bringt, wo es am Unwirklichsten erscheint - im tobenden Orkan oder in nie enden wollender Flaute.

      ... und manchmal, genau dann wenn man es am wenigsten erwartet,

      manchmal taucht genau solch ein glühender Stern ein in den unerschöpflichen Ozean unserer phantastischen Existenz.

      

      

      Without you von Harry Nilsson

      No, I can't forget this evening

      Or your face as you were leaving

      But I guess that's just the way the story goes

      You always smile but in your eyes your sorrow shows

      Yes, it shows

      No, I can't forget tomorrow

      When I think of all my sorrows

      When I had you there but then I let you go

      And now it's only fair that I should let you know

      What you should know

      I can't live if living is without you

      I can't live, I can't give any more

      Can't live if living is without you

      I can't give, I can't give any more

      No, I can't forget this evening

      Or your face as you were leaving

      But I guess that's just the way the story goes

      You always smile but in your eyes your sorrow shows

      Yes, it shows

      Can't live if living is without you

      I can't live, I can't give anymore

      I can't live if living is without you

      Can't live, I can't give anymore

      Deutsche Übersetzung Ohne Dich von Harry Nilsson

      Nein, ich kann diesen Abend nicht vergessen

      Oder dein Gesicht, als du gegangen bist

      Aber ich denke, das ist eben das Ende der Geschichte

      Du lächelst immer, aber in deinen Augen kann man dein Leid sehen. Ja, man kann es sehen

      Nein, ich kann das Morgen nicht vergessen

      Wenn ich an all meine Sorgen denke

      Als ich dich hier hatte aber dann gehen ließ

      Und jetzt ist es nur gerecht, wenn ich dich wissen lasse

      Was du wissen solltest

      Ich kann nicht ohne dich leben

      Ich kann nicht leben, ich kann nicht mehr geben

      Ich kann nicht ohne dich leben

      Ich kann nicht leben, ich kann nicht mehr geben

      Nein, ich kann diesen Abend nicht vergessen

      Oder dein Gesicht, als du gegangen bist

      Aber ich denke, das ist eben das Ende der Geschichte

      Du lächelst immer, aber in deinen Augen kann man dein Leid sehen. Ja, man kann sie sehen

      Ich kann nicht ohne dich leben

      Ich kann nicht leben, ich kann nicht mehr geben

      Ich kann nicht ohne dich leben

      Ich kann nicht leben, ich kann nicht mehr geben

       Das Rheinland bei Aachen am frühen Morgen des 26.März 2003

      Der nahende Tag vertrieb mit seinen kaltfeuchten Nebelschwaden, die schüchtern vom kalten Wasser des Sees aufstiegen und zäh seine seichten Böschungen emporklommen, eine weitere kühle Vorfrühlingsnacht. Ein leichter Windzug wehte über die eisigen Wellen durch das Schilf hinüber zu den Feldern, Weiden und Auen. Noch war es nicht recht Frühling geworden und vorsichtig zeugten nur vereinzelte Knospen, die dem morgendlichen Frost trotzten, davon, dass die düstere Jahreszeit langsam zu Ende ging. Nur noch an vereinzelten Tagen vermochte der Winter seine Kälte und Blässe in die sich räkelnde Atmosphäre auszusenden. Stille lag über der Ebene. Lediglich das Rascheln des Windes in den spröden Blättern der Bäume und Hecken störte das lautlose Erwachen der Morgendämmerung. Jene spätwinterliche Melancholie war mir vertraut. Diese Gegend war mein zuhause, meine Heimat gewesen. Hier hatte ich auf wackeligen Beinen zu laufen gelernt; hier war ich aufgewachsen, war zur Schule gegangen und hier wurde ich, wie alle meiner Schulkameraden Messdiener in einem katholischen Dekanat. Land und Leute hatten mich in meiner Kindheit nicht weniger geprägt als die unzähligen fürsorglichen Mahnungen und Ratschläge meiner Eltern. Mit vielen Orten, Plätzen und Wegen verbanden mich zahllose Erlebnisse und Geschichten vom ersten Schultag bis zum ersten Kuss und dem süssen Schmerz der ersten Verliebtheit. Hier war ich verwurzelt, tief in rheinischer Erde und Mentalität.

      Anders als sonst kämpfte der Winter dieses Jahr vehement und hartnäckig gegen die stärker werdende Kraft der Frühlingssonne. Er hatte sich lange, bis Mitte März mit Eis und Schnee gegen das Erwachen der Natur aufgebäumt und verabschiedete sich nun nur zögerlich und unwillig. Scheu und vorsichtig öffneten die ersten Krokusse ihre violetten-blauen Blütenblätter nach einem langen, düsteren Winterschlaf. Sie stachen wie vereinzelte Farbtupfer aus den von Raureif versilberten, blassgrünen Wiesen heraus. Sie hoben sich deutlich ab in ihrer Freundlichkeit vom blassen, braungrünen Einerlei und aus den Vorgärten der uniformen Neubausiedlungen versprühten Schneeglöckchen einen Hauch von Frühling. Schwere Duftwolken aus Erde und frischem Gras wehten über die unbestellten Felder zu den hügeligen Ausläufern der Nordeifel hinüber. In tausend Farbnuancen eroberte das gleissende Licht des neuen Morgens die weichende Dunkelheit der Nacht. Vom tiefsten Schwarzblau über Lila, Rosa, Indigo und Azur bis hin zum leuchtenden Purpur erstrahlten am erwachenden Morgen die Federwolken am Firmament in atemberaubenden Farben und Formen.

      Weit in der Ferne sah man die charakteristischen Silhouetten der unentwegt aufsteigenden Wasserdampfsäulen, die aus den breiten Schloten der Braunkohlekraftwerke Weisweiler, Niederaussem und Frimmersdorf in den pastellfarbenen Himmel emporwuchsen. Ich hasste diese wolkenspeienden Schlote, die mir mein Vater zur Kinderzeit als Wolkenfabriken schöngeredet hatte. Braunkohle hatte dieses hügellose Fleckchen Erde am Rande der rheinischen Tiefebene zwischen Inde und Rur seit Jahr und Tag landschaftlich geprägt durch tiefe Wunden, die die gewaltigen Schaufelradbagger des Tagebaus in Jahrzehnten in die Kulturlandschaften hineingefrässt hatten. Kubikmeter für Kubikmeter hatten sich die stählernen Kolosse tiefer und tiefer abwärts ins Mark der Heimat gegraben, um das braune Gold der Kohle unter Lössboden, Sedimenten und Kies heraus zu schürfen. Unzählige Höfe, Burgen, Denkmäler aber auch ganze Dörfer und ihre Friedhöfe und mit ihnen ihre Erinnerungen wurden weggebaggert, ausradiert von den gigantischen Baggern mit ihren mächtigen Schaufelrädern. Auch wenn sich die RWE Aktiengesellschaft und ihre Tochter Rheinbraun für die Betroffenen um wirtschaftliche Kompensation, emotionale Sensibilität und ökologische Verantwortung