Johannes Peter Zimmermann

Mund der Wahrheit


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in den letzten Jahren niemand diese eine mich umtreibende Frage beantworten können. Wer und warum ? Nun war es nicht so, dass ich jemanden danach gefragt hätte. Ich hatte mittlerweile gelernt, dass es nicht für alles, was auf Erden geschieht eine Antwort gibt. Es gibt vielleicht auch nie eine Antwort auf das, was mir widerfahren ist. Genauso wie es keine Antworten gibt auf Ebola, Krebs, 9/11, Glaubenskriege, Erdbeben oder Tsunamis. In all den Jahren habe ich voller Inbrunst so viele Gebete gebetet, so viele Hoffnungen gehofft und so viele Träume geträumt. Ich habe zu meinem Schöpfer gefleht und mein Karma angebettelt. Ich habe nach Antworten und Wahrheiten gesucht, aber es blieb stumm in mir und um mich herum. Keine innere oder transzendentale Stimme hat mir etwas offenbart. Gefunden habe ich nichts, ausser der Gewissheit, dass es keine Gewissheiten für uns in dieser Welt gibt. Das Leben ist wie Sand in unseren Händen. Und doch hat mich das Leid und alles Übel nicht gesucht. Nein, ich habe es angelockt. Ich habe ihm die Türe ganz weit aufgehalten und es ist zu mir gekommen und hat mich heimgesucht. Schlüssige Antworten finde ich kaum auf meine Schicksalsfrage, aber ein paar Erkenntnisse haben sich dann doch herauskristallisiert. Mit ein paar Lebensweisheiten hatten meine Eltern sicher Recht. Tatsächlich ist eines Menschen Gutheit eine Dummheit. Vielleicht hatte ich aufgrund meiner christlichen Erziehung in der Tat den Blick immer nur auf das Gute gerichtet. Meine Gutheit hat mein Leben und meinen Glauben zerstört. Was der Mensch dem Menschen sein kann habe ich selbst durchlitten und hätte es doch viel früher wissen müssen. Trotz aller Verzweiflung hatte ich mich an jenem Märztag vor zwölf Jahren nicht an einem Bahngleis im Rheinland umgebracht. Ich hatte es seither auch nicht wieder versucht.

      So lebte ich vor mich hin, orientierungslos wie Treibgut im Fluss eines willkürlich dahinplätschernden Lebens, auf einer Reise ohne Ziel. Meine eigene kleine Welt aber auch die Welt draussen vor der Tür hat sich in ihrem Lauf seit jenem Tag vor zwölf Jahren fühlbar verändert. Für die Menschen hat Materialismus anscheinend noch mehr an Bedeutung gewonnen, noch mehr Priorität bekommen und gewiss ist unsere Zeit noch relativer geworden. Reiche wurden reicher, Arme wurden ärmer im neoliberalen Glauben an den Kapitalismus und den ich-zentrierten Geist der Gegenwart. Die Verwirtschaftung der gesamten menschlichen Existenz hat beängstigende Ausmaße angenommen und das Gefühl der Entmenschlichung unserer Gesellschaft treibt mich um. Doch viel gravierender als all diese fühlbaren Veränderungen in unserm Leben ist für mich persönlich etwas ganz anderes. Es ist neben dem Ballast der Vergangenheit, die Gewissheit, dass ich mit der Gegenwart nicht mehr mitkomme, dem Fortschritt nicht mehr folgen kann. Mit jedem Jahr spüre ich es regelrecht körperlich, dass eine weitere exponentielle Beschleunigung sämtlicher Betriebsamkeiten mich immer schneller vor sich her treiben will. Ich halte diesem rastlosen Vorwärtsstreben nicht mehr Stand. Mein Intellekt schafft es nicht mehr, sich allen Neuerungen und Trends in einer viel zu schnellen Welt zu stellen und ihren Hypes zu folgen. Natürlich habe ich ein Smartphone, ein Tablet und ein Notebook. Ich bin kein Neandertaler des Informationszeitalters. Aber die Verdigitalisierung meiner eigenen Existenz bereichert mich nicht, sie bedroht mich und macht mir Angst. Ich habe Angst zu ertrinken in algorithmischen Sintfluten der Moderne. Es ist mir alles zu viel geworden. Zu hektisch, zu verfügbar, zu abstrakt und viel zu kalt. Mit dieser immensen Beschleunigung erlebe ich subjektiv aber auch eine wachsende Entsolidarisierung unserer Gemeinwesen und ein Absterben von Mitmenschlichkeit und Warmherzigkeit. Nicht eine Utopie ist Wirklichkeit geworden nicht einmal meine eigenen; mir ist es nicht gelungen meinen Frieden zu finden mit der Vergangenheit und auch die Welt hat ihren Frieden mit sich noch nicht gefunden; weder ist es den Menschen gelungen Krebs zu heilen, noch den Hunger zu besiegen oder Kriege und Terror zu beenden. Auch die unstillbare Gier des Turbokapitalismus wurde nicht in seine Schranken gewiesen und noch immer gibt es menschen-gemachte Not und unerträgliches Leid auf unserem Planeten, trotz unserer weltumspannenden Vernetzung. Es scheint inzwischen noch sachlicher, noch ungerechter und noch unmenschlicher zuzugehen auf Mutter Erde. Und Gott? Nein, ich habe keinen Anlass mehr zu glauben, auch nicht an den lieben Gott, der mir einst so sehr am Herzen lag. Und doch bete ich jeden Tag zu irgendetwas, schließlich kann es ja nicht schaden. Ich bete, weil es trotz allen Zweifels meiner Seele gut tut, mich jemandem anzuvertrauen und mit jemandem zu reden, selbst wenn es nur ein imaginäres Pendant ist, das mir zuhört. Ich glaube nicht mehr an allzu viel Gutes auf diesem Planeten und doch rufe ich ihm zu. Und trotz allem was mir widerfahren ist, trotz dessen, dass ich an nichts mehr glauben kann, obwohl ich so gerne glauben würde…. trotz alledem schlägt mein Herz. Es schlägt zu meiner eigenen Verwunderung immer noch kraftvoll und rhythmisch in meiner achtundvierzig Jahre alten Brust.

      Und auch zwölf lange Jahre danach schlägt es jeden Tag, ohne zu wissen, wozu es das tut.

      Close my eyes

      Close my eyes what I see, you are smiling for me

      Your appearance, your grace so bright - safe a life for the night

      Each yard you are away from me it is like light years to me

      Each walk in the summer rain I cannot believe

      Only thing I can do – is dreaming of you

      Close my eyes what I see – you are smiling for me

      Your appearance your grace so bright - safe a life for the night

      Each look in your magic eyes I am loosing the ground

      Each touch of your magic skin there is heaven around

      The only thing I can do – is dreaming of you

      Uebersetzung

      Ich schließ' die Augen nur zu

      Ich schließ' die Augen nur zu und ich sehe Dich für mich lächeln

      Deine Erscheinung, deine glänzende Anmut

      schützt ein Leben vor der Nacht.

      Jeder Meter, den Du entfernt bist,

      ist wie Lichtjahre für mich.

      Bei jedem Spaziergang im Sommerregen

      kann ich es immer noch nicht glauben.

      Alles was ich tun kann ist von Dir zu träumen.

      Ich schließ' die Augen nur zu und ich sehe Dich für mich lächeln

      Deine Erscheinung, deine glänzende Anmut

      schützt ein Leben vor der Nacht.

      Bei jedem Blick in Deine magischen Augen

      verliere ich den Boden unter den Füssen.

      Bei jeder Berührung Deiner magischen Haut

      fühle ich den Himmel um mich herum.

      Alles was ich tun kann ist von Dir zu träumen.

      Der herbe Geruch von Rauch kriecht zäh aus dem gusseisernen Kaminofen zu mir herüber. Das trockene Eichenholz knackt und knistert hinter der verrusten Glasscheibe. Das dort lodernde Feuer wärmt mich nur wenig aber sprüht unablässig seine goldweissen Funken das Ofenrohr empor. Spärlich hilft der gelb flackernde Schein einer einsamen Glühbirne, die verloren in einer schlichten Fassung von der offenen Holzdecke herunterbaumelt dem Kaminfeuer dabei, mein kleines Zimmer zu erhellen. Draußen vor dem leicht trüben Fensterglas zerrt in der Dunkelheit der frühen Nacht eine kühle Windbö an den kleinen Astern auf meinem Austrittsbalkon und ein kühler Wind , der vom Rhein herüberweht, rüttelt wieder einmal knarzend an den weißen, seit vielen Jahren nicht mehr behandelten Holzfenstern, während durch einen breiten Schlitz unter der Balkontüre ein frischer Luftzug in meine Wohnung dringt. Trotz des züngelnden Kaminfeuers sitze ich fröstelnd auf meinem grünen Stoffsofa, eingehüllt in einer alten Patchwork-Tagesdecke, mein aufgeklapptes Notebook auf dem Schoss und wehre mich mit einem Glas Whiskey gegen die um sich greifende Kälte. Gedankenverloren schweifen meine müden Augen durch mein kleines Reich, keine fünfzig Quadratmeter groß und doch ein Hort des Friedens und der Ruhe, mein sicherer Hafen. Mein Blick wendet sich den Instrumenten und Fotographien zu, wandert über leere Glasflaschen und Stapel von Papieren, Magazinen und Ordnern zurück zum flimmernden Monitor des Computers vor mir.

      Ich lebe nun schon seit gut elf langen Jahren im ersten Stockwerk eines alten Stadthauses in der Oberen