Friederike Elbel

Versteckspiel mit T-Rex


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und systematisch arbeitete er sich durch Schubladen, Schränke und jede Menge Kartons. Im Wandschrank seiner Schwester fand er ein Körbchen, versteckt in der hintersten Ecke, das mit einem Kissen und Decken ausgepolstert war. Das Urvieh schnupperte daran. „Offensichtlich dein Bettchen“, schlussfolgerte Robert. Er blickte sich ratlos um. Womit hätten seine gerade mal fünf Jahre alten Geschwister entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnis ein 66 Millionen Jahre altes Ei, das eigentlich versteinert hätte sein müssen, ausbrüten sollen? Und das innerhalb von drei Monaten, denn so lange wohnte sie bereits in den USA. Das war vergleichbar mit den Alchemisten im Mittelalter, die versucht hatten aus Kuhmist Gold herzustellen. Er weigerte sich schlichtweg, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass seine Zwillingsgeschwister Genies waren. „Wo können die beiden das Höllending bloß versteckt haben?“ Er stellte sich eine Art frankensteinschen Apparat mit überdimensionierten Blitzableitern und saugglockenähnlichen Anhängseln vor, die sie auf das Dinosaurier-Ei gestülpt haben mussten. Eine einfache Heizdecke wäre bei einem solchen Unterfangen nicht ausreichend gewesen. Verzweifelt schaute er sich im Zimmer um. „Kein Hinweis auf nichts“, murmelte er. Doch als er gerade nach einem möglichen Geheimgang an der Rückwand von Sebastians begehbaren Kleiderschrank suchte, hörte er Autotüren zuschlagen. „Verflucht!“ Er schlug die Schranktür zu und erreichte gerade noch rechtzeitig sein Zimmer, wobei ihm klein T-Rex auf den Fuß folgte. „Nein, du nicht!“, flüsterte Robert. „Geh du schön brav zurück in dein Körbchen.“ Dabei schob er den Kleinen aus seinem Zimmer hinaus. Er wusste, wie eifersüchtig seine Geschwister wurden, wenn ihr Glücksdrache es sich auf Roberts Bett gemütlich machte. Außer, der süße Kleine musste einmal auf das Töppi gehen, dann durfte Robert nachts mit ihm Gassi gehen. Doch das Viech schlüpfte zwischen Roberts Beinen hindurch, sprang auf sein Bett und machte es sich auf dem Kopfkissen bequem. Er hörte schon seine Geschwister, als sie die Treppe hinauf stürmten und nach ihrem innig geliebten, doch tödlichen Haustierchen riefen: „Braver Drachilein, brav!“ Und er ahnte, was gleich kommen musste. Sie würden mit besonders vorwurfsvoller Stimme den älteren Bruder beschuldigen, den Glücksdrachen gestohlen zu haben. Daraufhin würde sich ihre Mutter, selbstverständlich völlig unparteiisch und ahnungslos, auf die Seite der Zwillinge stellen.

      „Mami! Unser Glücksdrache ist weg! Robert hat ihn uns weggenommen!“, riefen sie weinerlich, kaum dass sie in ihrem Zimmer nachgeschaut hatten. Natürlich kam sogleich die Antwort seiner Mutter. „Robert? Stimmt das?“

      „Nein Mami, ich hab‘ ihn nicht weggenommen“, rief Robert zurück.

      „Wir haben Recht. Er liegt auf Roberts Bett und schläft“, riefen sie, als sie ohne zu klopfen seine Zimmertür aufstießen und hineinschauten. „Robert!“, kam der anklagende und wegen der Größe des Raumes widerhallende Ruf seiner Mutter von unten aus der Eingangshalle. Das Haus, in dem sie wohnten, ein uralter Bau, der halb aus Stein und halb aus Holz gebaut worden war und aus irgendwelchen vorigen Jahrhunderten stammte, besaß eine dermaßen riesige Eingangshalle, dass jedes lautere Geräusch einen Widerhall erzeugte. „Ich spreche mit dir!“, rief seine Mutter. Offensichtlich wollte sie ihn sehen, also stand er von seinem Schreibtisch auf und schlenderte so langsam wie möglich an die Brüstung der Treppe, um seiner Mutter die Gelegenheit zu geben, sich zu beruhigen, was bei einem Blick nach unten in ihr Gesicht leider reines Wunschdenken war. „Schäm dich, Rob!“ Sie nannte ihn immer Rob, wie seinen Vater. Er trug nicht nur den Namen seines Vaters, sondern sah ihm auch sehr ähnlich, mit seinen braunen Augen und seiner jetzt schon kräftigen Statur. Nur die blonden Haare hatte er von seiner Mutter. „Bist du nicht ein wenig zu alt, deinen kleinen Geschwistern ihren Plüschdrachen wegzunehmen?“ „Mami, ich habe ihnen ihren Plüschdrachen nicht weggenommen. Er ist ganz von allein in mein Zimmer spaziert. Schau ihn dir doch einfach einmal an!“ Der Blick seiner Mutter nahm noch einige Grade auf der „Blicke-können-töten-Skala“ zu. „Rob! Bitte hör auf damit. Ich kann dein kindisches Verhalten kaum ertragen“, antwortete sie entnervt, drehte sich um und verschwand in die Gruselküche. Nach drei Monaten, die sie nun in diesem Gemäuer hausten, kannte er immer noch nicht die genaue Anzahl der Zimmer. Er hatte mehr als 30 gezählt, wobei einige der Räume abgeschlossen waren. Kaum zu glauben, wie viele Räume es in einem Haus geben konnte, die für die Bewohner nicht zugänglich waren. Nach der, wie er fand, ungerechtfertigten Ermahnung seiner Mutter ging er zurück in sein Zimmer und ließ sich auf sein Bett fallen. Klein T-Rex war inzwischen wohl von seinen kleinen Pflegeeltern in sein extra für ihn hergerichtetes Körbchen gelegt worden. Robert grübelte darüber nach, ob er möglicherweise ebenfalls, und nicht nur seine Mutter, für die Verrücktheiten seiner kleinen Geschwister haftbar gemacht werden konnte, denn ohne Frage übertrieben es die beiden und wurden zu einer Gefahr für sehr viele Lebewesen. Seit er von der Existenz der Terrorechse wusste, zermarterte er sich darüber den Kopf.

      „Die alles entscheidende Frage wird lauten, ob mir wirklich irgendjemand glauben wird, dass ein fünfjähriges Zwillingspärchen es fertigbringen konnte, einen Tyrannosaurus Rex zu züchten. Natürlich niemand! Absolut niemand! Der Verdacht wird unvermeidlich auf mich fallen, einen 12-jährigen Jungen mit dem Namen Robert, der sich augenscheinlich nicht zu schade ist, seine kleinen Geschwister in die Pfanne zu hauen. So sieht es aus.“

      Tief beunruhigt stand er von seinem Bett auf und begab sich in das Kinderzimmer der Zwillinge. „Weshalb zeigt ihr euren kleinen, süßen Glücksdrachen nicht mal Mami? Hm? Was glaubt ihr, wie sehr sie sich darüber freuen wird?“ Er konnte unmöglich alleine die Verantwortung für einen T-Rex übernehmen. Seine Mutter war die Erziehungsberechtigte und somit verpflichtet, alle Gefahren, die von ihren Jüngsten ausgingen, nicht nur zu verantworten, sondern auch zu verhindern.

      „Mami hat uns doch das Halten von Haustieren verboten. Sie würde uns unseren Glücksdrachen sicherlich wegnehmen.“ Miranda schaute ihn mit ihren blauen Kulleraugen treuherzig an. „Ja, und sie würde unseren Glücksdrachen bestimmt in ein Tierheim bringen“, mutmaßte Sebastian.

      „Glaubt ihr allen Ernstes, ein Tierheim würde euren Glücksdrachen aufnehmen?“, fragte Robert verzweifelt.

      „Selbstverständlich, die nehmen sie besonders gerne“, meinte Miranda unschuldig und kraulte liebevoll den schuppigen Nacken ihres Haustierchens. „Alle wünschen sich einen Glücksdrachen.“ Ein weiterer unguter Gedanke beschlich Robert. Die Naivität und das Alter seiner Geschwister schlossen das Zustandebringen einer derartigen wissenschaftlichen Sensation aus. Jemand, der verständlicherweise nichts mit einem T-Rex zu tun haben wollte, musste die beiden Kleinen ausgenützt und ihnen das Viech untergeschoben haben. Nur wer?

      „Und? Hat euer Glücksdrache eigentlich einen Papa?“, fragte er möglichst beiläufig, um keinen Verdacht zu erregen. „Und eine Mama hat er sicherlich auch, oder?“ Beide nickten zustimmend mit dem Kopf. „Ich bin die Mama“, erklärte Miranda. „Und Sebastian ist der Papa.“ Roberts Geduld wurde arg strapaziert. „Ich meinte eigentlich einen Erwachsenen. Oder andersherum gefragt, wer hat euch das Ei gegeben? Daran werdet ihr euch sicherlich noch erinnern. Hat euch vielleicht jemand das Glücksdrachen-Ei geschenkt?“ – „Uns hat niemand etwas geschenkt. Den Drachen und sein Ei haben wir ganz alleine gefunden. Wieso fragst du uns immer wieder solche dummen Fragen? Wir werden unseren Glücksdrachen nicht mehr hergeben“, antworteten sie ihm trotzig und drehten sich zum Zeichen, dass sie keine weiteren Fragen beantworten wollten, einfach weg. „Ich will euch euren herzigen Glücksdrachen bestimmt nicht wegnehmen“, log er und fühlte sich ihnen gegenüber ziemlich schäbig. Aber welche Möglichkeiten gab es sonst? Der Raubsaurier musste so schnell und vor allem so unbemerkt wie möglich verschwinden, bevor er Appetit auf die Gliedmaßen seiner Geschwister bekam. „Ist euch das bezaubernde Tierchen vielleicht zugelaufen? Oder habt ihr es gefunden?“, setzte er die Befragung fort. „Doch ganz besonders würde ich gerne wissen, ob es noch mehr von der Sorte gibt. Normalerweise streitet ihr euch um jedes Spielzeug. Wenn es allerdings mehr von ihnen geben würde, dann könnte jeder einen Drachen besitzen. Und denkt nur, ihr könntet anderen Kindern ebenfalls eine Freude machen und ihnen einen schenken. Das wäre doch einfach fabelhaft.“ Ihm war es zuwider, seine kleinen Geschwister dermaßen anzulügen und ihm drehte sich der Magen um, doch ging es um das Leben der beiden und um viele, viele weitere Menschenleben auch. Zu Roberts Beunruhigung saßen Miranda und Sebastian da und überlegten tatsächlich sehr angestrengt. „Also gut, du kannst die anderen nehmen und wegschenken,