Friederike Elbel

Versteckspiel mit T-Rex


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ausheckten.

      „Wartet mal, ihr zwei Süßen!“, rief er ihnen hinterher, als sie versuchten ihm zu entwischen. „Würdet ihr mir bitte sagen, was ihr heute Mittag unternehmen wollt? Ihr geht zum Nachbarn, um bei ihm Eier abzuholen? Und wie wollt ihr das bewerkstelligen? Er hat doch klargemacht, dass er Kinder nicht ausstehen kann. Überhaupt gar keine Kinder.“

      „Natürlich muss das ganz unbemerkt geschehen“, erklärte ihm Sebastian, als ob es die normalste Sache der Welt sei. Robert bemühte sich, seine Gedanken zu sortieren.

      „Dass ich das jetzt richtig verstehe. Ihr wollt, um Nahrung für euren Glücksdrachen zu finden, beim Nachbarn heimlich über einen Zweimeterzaun klettern. Danach versucht ihr einer bissigen Bulldogge zu entkommen, um anschließend Eier von halb verhungerten Hühnern zu klauen? Wäre es nicht einfacher, in einen Laden zu gehen?“, schlug er seinen Geschwistern vor.

      „Das geht nicht! Dort sind Videokameras installiert“, belehrte ihn Miranda.

      „Ich meinte einkaufen, nicht stehlen!“ Robert erschrak über die offensichtliche kriminelle Energie der beiden. Als Kleinkriminelle liefen sie gerade zu Höchstform auf.

      „Jetzt hört mir gut zu. Ich werde für euren Glücksdrachen etwas zu fressen finden. Das verspreche ich euch. Sagt mir bitte, wann der Kindergarten zumacht.“ Robert konnte es kaum verantworten, dass seine fünfjährigen Geschwister zu Dieben wurden.

      „Um zwei Uhr“, lispelte Miranda.

      „In Ordnung!“ Robert rang nach Fassung. „Ihr beide tut bitte nichts ohne mein vorheriges Einverständnis. Habt ihr mich verstanden? Wenn ihr zu Kriminellen werdet, muss ich alles Mami erzählen. Ihr geht also nirgendwohin klauen. Wo habt ihr das überhaupt her?“, wollte er wissen.

      „Gomi hat uns erzählt, falls jemand am Verhungern ist, kann sich derjenige sehr wohl herrenloses Zeug einverleiben oder so ähnlich.“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt, seine Großmutter fiel ihm in den Rücken. Er vermutete allerdings, dass Miranda und Sebastian das sicherlich aus irgendeinem Zusammenhang gerissen hatten.

      „Die Eier beim Nachbarn sind kein herrenloses Zeug und ihr und euer Glücksdrache seid nicht am Verhungern. Wir sprechen später darüber. Und jetzt geht in euren Kindergarten“, befahl er ihnen. Er ging die paar Schritte zu seiner Schule, suchte das Klassenzimmer auf und setzte sich auf seinen Platz in der letzten Reihe. Merkwürdigerweise roch das Klassenzimmer genauso wie in Deutschland. Es roch nach Kreide, vermengt mit ein wenig Fußschweiß. Er schlug seine Chemiebücher auf. Neben den englischen durfte er noch seine deutschen Schulbücher als Hilfe benützen. Obwohl er sich wirklich bemühte etwas zu lernen, drehten sich seine Gedanken ausschließlich um den neuen Hauskameraden. Er hatte gelesen, er wusste jedoch nicht mehr genau wo, dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse darauf hinwiesen, dass T-Rex Aasfresser gewesen sein könnten. Auf seine jetzige Situation bezogen wusste er auch, dass nicht allzu viele zum Verzehr bestimmte tote Kühe oder Pferde, geschweige denn tote Menschen, in der Gegend herumliegen würden, damit sich klein T-Rex den Magen vollschlagen konnte. Selbst in den Vereinigten Staaten nicht, höchstens auf Friedhöfen. Ihm fuhr es schlagartig eiskalt den Rücken hinunter. Ganz in ihrer Nähe befand sich ein Friedhof. Kein großer, eher ein kleiner, aber immerhin ein Friedhof mit vielen Gräbern. Mit Grausen verdrängte er sofort diese erschütternde Vorstellung. Er überschlug im Kopf, was er über Freiheitsstrafen in den Vereinigten Staaten bisher wusste und für wie viele Jahre man in diesem Land für die Störung der Totenruhe ins Gefängnis gehen musste. So wie er die Amerikaner kannte, bestimmt Jahrzehnte. Er hoffte jedoch, dass bis es soweit war und bevor klein T-Rex Appetit auf Fleisch verspüren würde, er sich des Tieres würde entledigen können. Natürlich gab es auch eine andere Theorie, die genau das Gegenteil besagte, nämlich, dass Tyrannosaurier anderen Dinos das Fressen abgejagt haben sollen. Robert versuchte gedanklich zu rekonstruieren, wie sich dieses Abjagen in der heutigen Zeit abspielen würde. Es klang auch nicht viel sympathischer als ein T-Rex, der Grabstellen ausbuddelte. Vielleicht würde er zu Tode geängstigten Lastwagenfahrern, die fatalerweise Fleisch transportierten, hinterherjagen?

      „Guten Morgen, Robert. Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hättest“, lachte Ruthy, als sie ins Klassenzimmer kam und Robert in der hinteren Reihe sitzen sah.

      „Nun, in dem Haus, in dem er wohnt, gibt es bestimmt einige Gespenster“, antwortete Carl und beide schüttelten sich vor Lachen. Robert verzichtete darauf, auf den Spott seiner Klassenkameraden einzugehen, sondern schaute sie nachdenklich an. Eigentlich waren die beiden wirklich nett. Sie schienen sich von der alles beherrschenden Bobby-Clique fernzuhalten. Wie noch zwei, drei andere aus der Klasse. Der Rest unterstand einem Widerling namens Bobby, dem Sohn Sheriff Rimbauds.

      „Du bist hoffentlich nicht sauer, es war nur ein Scherz. Im Ernst, wer in so einem Haus wohnt, muss auch ein bisschen Spott ertragen können. Ich heiße übrigens Carl“, stellte sein Klassenkamerad sich vor und reichte Robert die Hand, die er gerne annahm. Auch Ruthy begrüßte ihn mit einem erfreulich festen Handschlag.

      „Kein Problem, ich weiß, unser Haus ist gruselig.“ Robert freute sich über die neue Aufmerksamkeit seiner Mitschüler. Vielleicht würde er doch ein paar Freunde finden, denn die letzte Woche war mehr als frustrierend gewesen, alle aus der Klasse hatten ihn gemieden.

      „Schön, dass mich jemand begrüßt, es gibt offenbar doch ein paar nette Leute hier in der Klasse“, freute sich Robert.

      „Nett sind wir eigentlich alle, allerdings ist die Bobby-Clique eine Ausnahme. Du musst aufpassen, dich nicht in ihren Einflussbereich zu begeben, ansonsten nehmen sie dich ins Visier und du wirst keine Ruhe vor ihnen haben. Dir ist sicherlich bekannt, wer Bobbys Vater ist? Dadurch, dass er Sheriff Rimbauds Sohn ist, genießt er hier praktisch Narrenfreiheit“, versuchte ihm Carl die Lage zu erklären.

      „Das habe ich schon geahnt. Doch weshalb lässt Bobby dich und Ruthy in Ruhe?“, wollte Robert wissen.

      „Mein Großvater war der Sheriff dieser Stadt und ich habe zwei größere Brüder“, grinste Carl.

      „Nun ja, mein Vater ist Ranger, das ist eine Art Naturschutzpolizei“, antwortete ihm Ruthy. „Außerdem habe ich sogar drei ältere Brüder.“

      „Ich verstehe. Ich müsste mir also ältere Brüder zulegen, damit mich die Bobby-Clique zukünftig in Ruhe lässt.“ Inzwischen hatte sich das Klassenzimmer gefüllt und als der Klassenlehrer hereinkam, forderte er sie auf sich zu setzen und ruhig zu sein. Robert freute sich, denn nun war ein Anfang gemacht, mit seinen Klassenkameraden ins Gespräch zu kommen oder vielleicht sogar Freundschaften zu schließen. Was die Bobby-Leute anging, konnte er zwar mit keinem älteren Bruder aufwarten, um sie sich vom Leib zu halten, doch immerhin hatte er eine Geheimwaffe. Obwohl er diese Geheimwaffe, wie es das Wort ‚geheim‘ bereits besagte, natürlich geheim halten musste. Es war nicht auszudenken was passieren würde, falls die Öffentlichkeit oder das FBI davon erfahren würden. Dennoch konnte die Existenz eines kleinen Haus-T-Rex bei einer etwaigen Bedrohung überaus beruhigend wirken. Das galt allerdings nur, solange klein T-Rex auch klein blieb. Während er sich noch gedanklich mit seinem Problem beschäftigte, hatte ihr Klassenlehrer Mr. Clifford mit dem Englischunterricht begonnen.

      „Wie ihr wisst“, wandte er sich an seine Klasse, „habt ihr einen neuen Klassenkameraden. Da ich die erste Woche nach den Sommerferien krankheitsbedingt ausgefallen bin, holen wir daher die Vorstellung eures neuen Mitschülers heute nach. Robert, stehe bitte auf und stelle dich vor. Das Beste wäre, du erzählst uns ein wenig über dich. Danach darfst du die Fragen deiner Mitschüler beantworten. Aber bitte“, wandte sich Mr. Clifford drohend an seine Klasse, „keine sinnlosen oder unbeantwortbaren Fragen.“ Er lächelte Robert aufmunternd zu. „Dann schieß mal los, mein Junge.“ Robert wäre jetzt ein Spaziergang mit einem T-Rex weitaus lieber gewesen, als vor der Klasse zu stehen und sich vorzustellen, doch leider blieb ihm nichts anderes übrig.

      „Mein Name ist Robert König und ich bin in Deutschland geboren worden. Ich bin 12 Jahre alt und habe noch zwei jüngere Geschwister, ein Zwillingspärchen im Alter von 5 Jahren. Wir, das heißt meine Mutter, meine zwei Geschwister und meine Großmutter, leben seit drei Monaten in den Vereinigten Staaten. Meine Mutter ist hier an