Friederike Elbel

Versteckspiel mit T-Rex


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Er schloss die Schranktür ab und nahm den Schlüssel vorsichtshalber mit. Als er seine Zimmertür öffnete, stand plötzlich seine Großmutter vor ihm. Vor Schreck stolperte er einen Schritt rückwärts. „Gomi! Hast du mich jetzt erschreckt.“

      „Was brauchst du denn so lange? Ich dachte schon dieser Waschbär, oder was immer das auch ist, könnte dir möglicherweise etwas angetan haben. Ich wollte dir nur sagen, dass ich gerade deinen Biologielehrer angerufen habe. Ich möchte, dass er sich das Tier einmal ansieht.“

      „Großmutter! Wieso hast du das getan? Es handelt sich nur um einen kranken Waschbären!“, versuchte Robert die Diskussion zu beenden, doch seine Großmutter ließ nicht locker.

      „Ich möchte, dass dieser Fachmann sich das Tier, oder was auch immer das ist, anschaut. Gerade er sollte doch wissen, ob es hier eine Waschbärenkrankheit gibt, die die Tierchen äußerlich so unglücklich verändert, dass sie zu Haarausfall und schuppiger Haut sowie zu einem vorstehenden Gebiss führt. Ich finde, wir sollten außerdem den Sheriff darüber informieren.“

      „Du lieber Himmel Gomi, der Sheriff interessiert sich bestimmt nicht für einen kranken Waschbären. Der hat ganz andere Sorgen.“ Er überlegte verzweifelt, was der Mann sonst noch für Sorgen haben könnte, ihm fielen aber spontan keine ein.

      „Gomi, ich habe jetzt keine Zeit, ich muss wirklich zurück in die Schule. Ich verspreche dir, falls ich den Biologielehrer finden sollte, werde ich ihn fragen, um was für eine Krankheit es sich handeln könnte.“ Er stürmte an seiner Großmutter vorbei die Treppe herunter und fragte sich, weshalb sie jedem sagte, dass sie ohne Brille nichts mehr sah, und dennoch so verdammt gut sehen konnte. Der Weg zurück zur Schule erschien ihm länger als vorher der Hinweg. Unterwegs entledigte er sich des Rucksacks an einer Stelle unter einem Strauch, die er später schnell wiederfinden würde. Als er die Schule endlich erreicht hatte, sah er seinen Biologielehrer an der Eingangstür stehen. Er ahnte Schlimmes.

      „Und, Robert? Wo ist der Waschbär?“, fragte ihn Dr. Petri, als Robert außer Atem die Stufen heraufgerannt kam.

      „Der Waschbär?“, fragte Robert möglichst ahnungslos.

      „Ja, der Waschbär. Deine Großmutter rief mich an. Sie meinte, der Waschbär, den ihr in eurem, ähm, na ja, nennen wir es mal Haus, fangen konntet, sei möglicherweise eine Waschbär-Mutation. Verstehe mich bitte nicht falsch, aber alle Tiere, die es dort in diesem Gemäuer, gibt, könnten von einem unglaublichen wissenschaftlichen Interesse sein. Also, wo ist das Tier?“, verlangte er zu wissen.

      „Verzeihen Sie bitte, daran habe ich wirklich nicht gedacht, Dr. Petri. Für mich sah er wie ein ganz normaler Waschbär aus. Leider ist mir das verängstigte Tierchen unterwegs entwischt“, log Robert.

      “Entwischt? Da ist ja großartig! Und alle sagen, du seist intelligent. Du zeigst mir jetzt augenblicklich, wo er dir entlaufen ist. Deine Großmutter hat mir am Telefon glaubhaft versichert, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Waschbär eine schuppenartige Haut hatte. Entweder ist es tatsächlich eine Mutation oder das Tier ist schwer krank und muss in Quarantäne. Das war ganz unverantwortlich von dir“, schimpfte sein Biologielehrer. Während er die Strafpredigt über sich ergehen ließ, zermarterte er sich das Gehirn, und dies leider nicht zum ersten Mal an diesem Tag, wie er aus dem Schlammassel wieder heraus kommen konnte. Seiner Einschätzung nach war der Biologielehrer, zumindest als Naturwissenschaftler, eine gescheiterte Existenz. Permanent sprach er im Unterricht davon, wie man ihm im Kollegenkreis, und zwar aus reinem Neid, die naturwissenschaftliche Anerkennung versagt hatte, obwohl seine Arbeit über die erstaunlichen Fortpflanzungsrituale von Kakerlaken bahnbrechend gewesen sei. Dass sich aus naheliegenden Gründen, wie beispielsweise Ekel, niemand auf diesem Planeten für die Fortpflanzungsrituale von Kakerlaken interessieren würde, sondern eher für deren möglichst schnelles und umfangreiches Ableben, hätte man dem armen Mann eher sagen sollen. Dennoch war er als fairer Lehrer ansonsten sehr beliebt. Sogar die Bobby-Clique ließ ihn in Ruhe.

      „Robert, hörst du? Ich habe dir eine Frage gestellt. Wo genau ist dir das Tier entwischt?“ Robert überlegte verzweifelt, wo ihm der imaginäre Waschbär entkommen sein könnte.

      „Unterwegs, zwischen unserem tollen neuen Heim und …“, ihm fiel einfach keine Antwort ein.

      „Nun, zwischen eurem Heim und der Schule liegt eigentlich nur noch das Sheriff‘s Office“, beantwortete Dr. Petri sichtlich genervt selbst seine an Robert gestellte Frage. „Wenn dir

      etwas dazu einfällt, melde dich bitte.“ Er drehte sich beleidigt um und während er zurück ins Schulgebäude ging, rief er etwas, dass sich wie „Ich muss den Sheriff informieren“ anhörte.

      „Großartig!“, stöhnte Robert auf. „Jetzt habe ich auch noch den Sheriff am Hals.“ Die restlichen Schulstunden zogen sich endlos dahin und am Ende des Unterrichts wartete auf dem Schulhof wie befürchtet Sheriff Rimbaud auf ihn, mit einem breiten Grinsen und Kaugummi kauend. Hatte der Mann nichts Besseres zu tun, als ihm aufzulauern?

      „Nun? Was muss ich hören? Du setzt ein Tier, das möglicherweise krank ist, einfach in unserer schönen Natur aus? Dein Biologielehrer und sogar deine Großmutter haben mich angerufen. Ich möchte nicht über irgendwelche Mutationen, die deine Großmutter noch erwähnte, sprechen, aber das Tier scheint krank gewesen zu sein. Immerhin war er bei euch im Haus und man weiß ja nicht, was er sich da eingefangen haben könnte.“ Der Sheriff schaute ihn spöttisch von oben herab an.

      „Sheriff Rimbaud, meine Großmutter sieht leider sehr schlecht. Auf mich hat der Waschbär wohlgenährt und ganz proper gewirkt, deshalb habe ich das possierliche Tierchen, als es mir entwischt ist, nicht wieder einzufangen versucht.“

      „Auf dich hat also ein grün-roter, mit Schuppen anstatt mit Fell bedeckter Waschbär, der ein auffälliges, hervorstehendes Gebiss hatte, nicht krank gewirkt?“ Der Sheriff zog ungehalten seine Stirn in Falten.

      „Wie schon gesagt, Sheriff, meine Großmutter sieht sehr schlecht.“

      „Und farbenblind scheint sie auch zu sein.“ Der Sheriff griff in seine Hosentasche, zog ein Bild hervor und hielt es ihm unter die Nase.

      „Nun, mein Junge. Auf diesem Bild siehst du einen Nordamerikanischen Waschbären. Er ist schwarz-weiß gestreift, nicht grün-rot, und wie du sicherlich sehen kannst, hat er ein Fell und keine Schuppen. Deine Großmutter hat ganz eindeutig bezeugt, dass das von dir gefangene und wieder freigelassene Tier unmöglich ein Waschbär gewesen sein kann, und falls doch, dann ein todkranker. Wir werden die Andeutungen deiner Großmutter hinsichtlich verkrüppelter Vorderbeinchen und einem überproportional riesigen Maul einfach ignorieren. Zeig mir doch bitte, wo du das Tier verloren hast.“ Er schob Robert mit einer Hand in Richtung des Polizeiautos und hielt ihm die Beifahrertür auf. Roberts Gedanken überschlugen sich. Was sollte er dem Sheriff bloß erzählen? Nachdem dieser das Auto gestartet hatte, fragte er Robert nach dem Weg.

      „Also Junge, führe mich bitte. Wo bist du langgegangen? Und wo ist dir der Waschbär oder was auch immer es gewesen sein soll, entwischt?“ Robert dirigierte den Sheriff den Weg entlang, den er zurückgelegt hatte. Als sie an einem riesigen Dornengestrüpp vorbeifuhren, zeigte Robert darauf. Es erschien ihm am günstigsten, denn bei diesem undurchdringlichen Buschwerk konnten sie tagelang nach einem entflohenen Waschbären suchen.

      „Der Waschbär ist also in diesen Dornenbusch getürmt? Da schaffen es ja noch nicht einmal kleine Feldmäuse hindurch, ohne sich aufzuspießen.“ Der Sheriff zeigte Robert durch eine entsprechende Mimik, wie wenig er ihm glaubte.

      „Na gut, dann lass uns einfach einmal zu dir nach Hause fahren“, beschloss der Sheriff mit betont gelangweilter Stimme, als ob ihm das alles allzu lästig wäre. Nur weshalb kümmerte er sich darum, wenn er glaubte, es ginge ihn nichts an, ärgerte sich Robert.

      „Vielleicht ist deine Mutter schon da. Falls nicht, bin ich mir sicher, dass sie mich auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl euer Heim inspizieren lässt.“

      „Wie sie wissen, wohnen wir erst seit kurzem in dem Gemäuer. Die meisten Zimmer sind verschlossen. Daher können wir auch kaum Aussagen darüber machen, was sich darin befindet.