Friederike Elbel

Versteckspiel mit T-Rex


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      „Glaubst du, Mama hat die abgezählt?“, fragte Robert seine Schwester, die heruntergekommen und ihm in die Gruselspeisekammer gefolgt war. Miranda nickte: „Natürlich, Mama ist Mathematiklehrerin. Die zählt alles ab. Aber wenn sie fragt, wo die Sachen geblieben sind, sagen wir ihr einfach, sie hätte sich bestimmt verzählt“, schlug Miranda vor. Robert nahm einen Karton mit sechs Packungen H-Milch und stellte ihn auf den Küchentisch.

      „Das ist für Drachilein ein wahres Schlaraffenland“, freute er sich. Für die nächsten Wochen mussten sie keine kriminellen Aktivitäten mehr entwickeln, um den Kleinen satt zu bekommen, wenn man von dem Diebstahl aus der eigenen Speisekammer einmal absah.

      Er entnahm die Dosen aus den hinteren Reihen, damit seiner Mutter der Diebstahl nicht so schnell auffiel. Er schnappte sich wahllos alles, ohne auf die Etiketten zu achten. Die Dosen, in denen sich möglicherweise Fleisch befand, würde er später aussortieren.

      „Pfirsiche mag er bestimmt gerne“, meinte Miranda und stellte die Dosen, die Robert ihr reichte, schön aufgereiht auf dem Küchentisch ab. Sebastian hatte unterdessen den Part des Spitzels übernommen und horchte nach draußen.

      „Robert? Ich glaube, Mama kommt zurück“, warnte er sie. Robert raffte so schnell er konnte alles zusammen und rannte mit den zusammengeklauten Essensvorräten die Treppe hinauf. Er erreichte gerade noch rechtzeitig sein Zimmer und warf mit letzter Kraft die Nahrungsmittel auf sein Bett.

      „Mann, war das schwer!“ Er überschlug im Kopf das Gewicht der Milchkartons und der Dosen und kam auf knappe 15 Kilo. Aber nun hatte ihr Hausdino zumindest genug zu essen. Er hoffte inständig, dass seine Mutter den Diebstahl nicht allzu bald bemerken würde. Die Milchkartons und die Dosen stellte er in seinen begehbaren Schrank und schloss ihn ab.

      Sebastian steckte den Kopf in sein Zimmer. „Miranda fragt, wann Petit Pouf endlich etwas zu essen bekommt?“

      Robert schaute seinen Bruder fragend an. „Wer ist denn Petit Pouf und was heißt das überhaupt?“ Er hatte keine Zeit, sich mit einem weiteren Schmusetier seiner Geschwister abzugeben.

      „Das ist der Name unseres Glücksdrachen. Miranda und ich haben ihn soeben getauft“, erklärte ihm Sebastian stolz. „Schließlich wurde es Zeit, ihm einen eigenen Namen zu geben. Petit Pouf heißt übrigens auf Französisch ‚kleiner Knall‘“, informierte ihn Sebastian.

      „Natürlich wollen wir Petit Pouf richtig taufen lassen. Mit Wasser und so. Wir wollen dich als Taufpaten haben“, unterbreitete ihm Sebastian ihre Pläne. Roberts Begeisterung kannte keine Grenzen mehr.

      „Das ist unbeschreiblich lieb von euch, an mich zu denken. Ich wollte schon immer Patenonkel eines T-Rex, ähm, eines Glücksdrachen werden.“

      „Miranda! Robert freut sich, Petit Poufs Taufpate zu werden“, brüllte Sebastian so laut, dass das halbe Haus darüber unterrichtet wurde. Miranda kam freudestrahlend in Roberts Zimmer gelaufen und wiegte Petit Pouf wie ein Baby auf dem Arm. Dabei summte sie eine entsetzlich laute und ziemlich schiefe Melodie. Wahrscheinlich ahmte sie eine Mutter in einem Film nach, den sie gesehen hatte, wobei die Mama, um das Baby zu beruhigen, summen musste.

      „Du weißt sicherlich, welche Ehre es für dich ist, der Pate unseres Glücksdrachen zu werden. Würdest du dich daher bitte um einen Termin beim Pfarrer bemühen?“, forderte ihn Miranda auf und schüttelte klein T-Rex dermaßen heftig, dass jedem echten Baby speiübel geworden wäre, aber der Kleine hatte ja noch nichts zu essen bekommen.

      „Welchem Pfarrer möchtest du diese wichtige Aufgabe anvertrauen? Und wer ist vor allem verschwiegen? Es gibt Pfarrer, die laufen schnurstracks zu Mami und erzählen ihr, welch lustiges Haustier ihr habt.“ So lebensbedrohlich die Situation zu einem späteren Zeitpunkt auch werden konnte, hatte sie für Robert manchmal auch durchaus heitere Seiten.

      „Von welchem lustigen Haustier sprichst du denn?“ Miranda schaute Robert fragend an.

      „Nun, von dem auf deinem Arm.“

      „Wenn du dich lustig machst über unseren Petit Pouf, dann nehmen wir eben einen anderen Taufpaten“, rief Miranda beleidigt.

      „Wen denn?“, fragte Robert, erpicht, den Namen des anderen Taufpaten zu erfahren.

      Man sah Mirandas Gesicht an, dass sie angestrengt überlegte, aber so auf die Schnelle fiel ihr wohl niemand anderes ein.

      „Ich würde sagen, wir geben eurem Glücksdrachen erst einmal etwas zu fressen“, lenkte Robert die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema, damit sich die beiden später selbst Gedanken machen konnten über ihr unsinniges Vorhaben. Da er keinen Dosenöffner auf seinem Zimmer hatte, nahm er ein großes Messer zur Hilfe. Es war ein Erbstück seines Vaters.

      „Schauen wir mal, wie eurem Glücksdrachen Thunfisch schmeckt.“ Er puhlte mit dem Messer den Fisch aus der Dose in den Fressnapf und stellte ihn dem Dinosaurier unter die Nase. Petit Pouf schnüffelte daran und machte keine Anzeichen, trotz des bestimmt vorhandenen Hungers, den Thunfisch zu fressen.

      „So ein Mist!“, fluchte Robert. „Fisch hätte wirklich einen Teil des Problems gelöst. Doch ihm kam eine Idee. „Dann probieren wir etwas anderes aus, denn Milch mag er.“ Er machte eine Tüte H-Milch auf und schüttete etwas davon über den Thunfisch.

      „Komm, brav. Leckeres Fressen“, lockte Miranda, und auch Sebastian half mit und schob den Glücksdrachen in Richtung des Fressnapfes.

      „Jetzt iss endlich“, drängte Robert übelgelaunt das Tier. Was sollte man einem T-Rex sonst noch zu fressen geben, außer rohem, blutigen Fleisch, das möglichst noch zuckte. Miranda tunkte ihren Finger in das Futter und benetzte damit das Maul von Petit Pouf. Zuerst erfolgte keine sichtbare Reaktion. Doch vorsichtig schob sich eine rosa Zunge aus dem Maul und leckte mit einem Wisch, von rechts nach links, den Milchthunfisch von der Schnauze ab.

      Robert und seine Geschwister erwarteten gespannt, was als Nächstes geschehen würde. Langsam und für ein Tier, das hungrig war, sehr langsam, streckte Petit Pouf seine Schnauze in die Schüssel. Zunächst war nur leises Schniefen zu hören, das sich zu einem Schnauben steigerte. Und dann kam endlich das genüssliche Schmatzen des Kleinen. Erleichtert atmeten alle drei auf. Robert fiel ein ganzes Bergmassiv vom Herzen. Denn welcher einigermaßen anständige ältere Bruder wollte schließlich seine kleinen Geschwister im Gefängnis sehen, weil sie für ihren Glücksdrachen Lebensmittel stehlen mussten? Natürlich waren die beiden selbst in den USA noch nicht strafmündig, aber immerhin konnten sie ihrer Mutter weggenommen und in ein Heim gesteckt werden.

      „Jetzt schling nicht so. Das gibt Bauchweh!“, schimpfte Miranda mit dem Raubsaurier und ahmte damit ihre Großmutter nach, die sie öfters bei Tisch ermahnte, langsamer zu essen.

      Während sie dem Tier beim Fressen zuschauten, bemerkte Robert, wie ihr Urzeithaustier, ganz ähnlich wie beim Haferschleim, das Futter zu erlegen schien, obwohl es ja eindeutig schon tot war. Die Terrorechse stieß das geöffnete Maul in die Schüssel und schnappte zu.

      „Kinder, kommt ihr runter? Das Abendessen ist fertig“, rief ihre Mutter aus der Eingangshalle. Sie ließen das Tierchen in Roberts Zimmer allein zurück und verschlossen die Tür, so dass er nicht ausversehe bei ihnen in der Küche auftauchte.

      „Du siehst so ernst aus, mein Großer.“ Seine Mutter schaute Robert nachdenklich an und strich ihm eine Strähne aus der Stirn.

      „Ach, ist schon gut Mama, mir geht es gut.“

      „Ich habe übrigens heute im Supermarkt Estelle, die Gattin vom alten Sheriff getroffen. Ich habe sie gefragt, weshalb man im Staat Washington, vor allem bei diesem fantastischen Sternenhimmel, kein Teleskop besitzen darf“, erzählte ihm seine Mutter, während sie Rühreier auf dem monströsen Herd zubereitete, neben dem sie alle wie kleine Kinder wirkten.

      „Und? Was hat die alte Dame gesagt, weshalb in dieser Gegend Teleskope verboten sind?“, fragte Robert gespannt.

      „Sie hat sich das auch nicht erklären können. Sie meinte, sie würde den alten Sheriff fragen. Übrigens nennt sie in nicht mit seinem Vornamen, wie