Friederike Elbel

Versteckspiel mit T-Rex


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erwiderte sie, machte unerschrocken einen Schritt nach vorne und riss todesmutig die Kinderzimmertür auf. Klein T-Rex sprang putzmunter aus dem Kinderzimmer und rannte zwischen ihren Beinen hindurch, von einem unbändigen Lauftrieb getrieben, die Treppe hinab.

      „Huch! Was war das für ein merkwürdiges Tier“, rief seine Großmutter erschrocken. „Hast du gesehen, was es war?“

      Robert versuchte sich auf die Schnelle etwas möglichst Überzeugendes auszudenken. „Vielleicht ein Waschbär?“ Er hoffte, seine Großmutter sei nicht in der Lage, das Tierchen genau zu identifizieren, wegen ihrer schlechten Augen und weil klein T-Rex zu schnell davon gehüpft war. Doch seine Großmutter hatte wohl wesentlich bessere Augen, als sie andere glauben ließ.

      „Ein Waschbär? Bist du sicher? Mein Gott, das arme Tier. Es hat offensichtlich all seine Haare verloren. Es sah ganz schuppig aus. Also es ist bestimmt entsetzlich krank. Das sollte ich deiner Mutter erzählen. Hoffentlich ist es nichts Ansteckendes. Tierseuchen können sich rasend schnell verbreiten.“ Seine Großmutter schien zu allem entschlossen zu sein.

      Robert versuchte sie zu beruhigen.

      „Also ich finde, dass der Waschbär eigentlich ganz normal aussah. Ich werde das arme Tierchen einfangen und nach draußen setzen.“ Robert wollte seine Großmutter von dem T-Rex ablenken. Er lief die Treppe hinunter und jagte dem Tier hinterher.

      „Aber sei so lieb und fass ihn nicht an. Oder zieh dir bitte Handschuhe an, um dich vor einer Ansteckung zu schützen“, rief ihm seine Großmutter hinterher. Robert hörte kaum noch, was seine Großmutter ihm mitteilen wollte. Er musste herausfinden, wo der Raubsaurier hingelaufen war. Als er in Richtung der Küche eilte, bemerkte er, dass die Kellertür offenstand. Vorsichtig stieß er sie auf und horchte. Er vernahm ein auffälliges Schnüffeln, das irgendwo aus der Dunkelheit zu ihm heraufdrang. Vorsichtig tastete er sich die Holzstufen hinunter. Er fand einen Lichtschalter und war erstaunt, dass tatsächlich eine Glühbirne, die allerdings nur spärliches Licht ausstrahlte und den großen Raum nur mühsam erhellte, auch funktionierte. In einer Ecke in der Nähe des Ofens konnte er den kleinen Dinosaurier erspähen. Er schien interessiert an etwas zu schnüffeln, das auf dem Boden lag. Als Robert näher kam, sah er zwei alte, durch die Jahre vergilbte, grüne Rucksäcke auf dem Boden liegen.

      „Das sind bestimmt die Rucksäcke von Papa und Großvater.“ Traurig nahm er einen hoch. In seiner Erinnerung war der Tag noch sehr gegenwärtig, als sein Vater in seinem Arbeitszimmer stand und zu erklären versuchte, weshalb er auf eine lange Reise gehen musste. Vorsichtig schaute Robert in einen der Rucksäcke hinein. Es war der seines Großvaters, denn in ihm befand sich dessen Kulturbeutel, der aus einem anderen Jahrhundert stammte und nach Büffelleder roch. Ganz verloren in seinen Erinnerungen, hatte er die Anwesenheit seiner Großmutter gänzlich vergessen. Erschrocken fuhr er zusammen, als sie in den Keller hineinrief.

      „Hast du den Waschbären gefunden, mein Junge?“ Er überlegte angestrengt, was er tun sollte, denn wenn er ihre Frage bejahte, wollte sie, neugierig wie sie war, das Tier bestimmt sehen.

      „Nein, Gomi. Der Waschbär hat wahrscheinlich schon längst das Weite gesucht“, rief er laut, so dass sie ihn oben an der Treppe hören konnte. Er hoffte sie damit davon abzuhalten, herunterzukommen und untersuchte den Rucksack genauer. Vielleicht würde er einen Hinweis auf irgendwelche Dinosauriereier finden. Möglicherweise standen die Forschung seines Vaters und der zum Leben erweckte T-Rex in einer direkten Verbindung zueinander. Vielleicht hatten seine Geschwister hier unten gespielt und ihren Glücksdrachen gefunden. Während er darüber nachdachte, berührte ihn jemand plötzlich an der Schulter und er ließ vor Schreck den Rucksack zu Boden fallen. Seine Großmutter hatte sich an ihn heran geschlichen und stand hinter ihm.

      „Gomi, das ist viel zu gefährlich, in diesen Keller zu steigen. Du hättest stürzen können“, ärgerte sich Robert. Seine Großmutter überhörte jedoch die Bedenken ihres Enkels, so sehr blickte sie gebannt auf das, was vor ihr auf dem Boden lag.

      „Ist das der Rucksack deines Großvaters? Bitte gib ihn mir.“ Seine Großmutter hatte Tränen in den Augen, als Robert ihr das letzte Andenken an ihren Mann reichte. Indes schaute er sich hektisch um, wo wohl klein T-Rex geblieben war. Doch der Kleine half ihm unfreiwillig weiter. Er schien in den Rucksack des Vaters geschlüpft zu sein und wurschtelte darin herum. Robert hoffte inständig, seine Großmutter würde das nicht bemerken, doch leider irrte er sich.

      „Robert, pass doch auf! Der Waschbär ist in den Rucksack deines Vaters gekrochen. Sieh doch!“ Sie vergaß ihre Trauer, ließ den Rucksack ihres Mannes fallen und schnappte sich dafür den anderen mit dem vermeintlichen Waschbären darin. Sie hielt ihn oben zu, damit das Tier nicht entkommen konnte, und stieg rasch die Kellerstufen hinauf.

      „Gomi, gib mir bitte den Rucksack. Ich lass den Waschbären frei.“ Er stürmte ihr hinterher und versuchte ihren Tatendrang zu bremsen.

      „Nein, mein Junge. Du musst erst noch lernen, wie man ein Tier einfängt.“

      Völlig entsetzt musste Robert feststellen, dass sie genau auf die Haustüre zustrebte. Er sah auf die Uhr. Er war schon beinahe eine Stunde von der Schule fort. Sein Lehrer würde sich sicherlich fragen, weshalb es so lange dauerte, seine Großmutter aus der Küche zu befreien. Doch was ihm im Augenblick wirkliche Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass seine Großmutter gerade im Begriff war, bei wunderschönstem Sonnenschein einen T-Rex hinaus in die freie Natur und Zivilisation zu entlassen.

      „Gomi, wir müssen den Waschbären weiter entfernt vom Haus aussetzen, sonst kommt er eventuell wieder zurück.“ Seine Großmutter hielt inne und musste ihm nach kurzem Überlegen Recht geben.

      „Großartig, dann nehme ich ihn mit zur Schule und lass ihn dort irgendwo in der Nähe frei“, schlug Robert vor.

      „Nein, mein Junge, das werde selbstverständlich ich übernehmen. Ich werde den Waschbären auf dem Friedhof laufen lassen. Dort stehen viele Bäume und das Tierchen wird sich dort bestimmt wohlfühlen.“

      „Auf dem Friedhof?“, rief Robert fassungslos. „Du kannst so ein gefährliches Tier nicht einfach auf einem Friedhof aussetzen. Stell dir einmal vor, es kriegt Hunger? Das Viech fängt doch glatt an zu buddeln!“

      „Meine Güte, Robert. Waschbären sind doch possierliche Tierchen. Seit wann graben sie Gräber auf. Das habe ich noch nie gehört.“ Natürlich wollte seine Großmutter auf jeden Fall vermeiden, dass durch ihre Schuld auf dem Friedhof ein Unglück geschah. Daher überreichte sie ihrem Enkel den Rucksack, allerdings nicht ohne vorher noch einen neugierigen Blick auf das gefangene Tier zu werfen. Als sie jedoch sah, welch schrecklich zugerichteter Waschbär sich darin befand, verschloss sie mit einem Aufschrei den Rucksack und warf ihn Robert erschrocken zu.

      „Ja, du hast Recht. Dieser Waschbär sollte wirklich auf keinem Friedhof freigelassen werden.“ Damit drehte sie sich um und ging raschen Schrittes zurück ins Haus. Robert konnte den Raubsaurier unmöglich mit in die Schule nehmen. Denn wenn er über einen gefangenen und möglicherweise kranken Waschbären berichten würde, wollten bestimmt alle einen Blick darauf werfen. Er konnte sich den Aufruhr bildlich vorstellen und niemand würde beim Anblick des niedlichen Tierchens seine Waschbärenversion glauben.

      „Gomi, ich habe etwas vergessen. Ich muss noch einmal kurz in mein Zimmer“, rief er ins Haus hinein. Er musste das Viech, bis er aus der Schule wieder zurückkam, in seinem Zimmer parken.

      „Pass aber bitte auf, dass dieses bemitleidenswerte Tier nicht wieder ins Haus kommt. Lass den Rucksack besser draußen stehen“, rief ihm seine Großmutter aus der Küche zu.

      „Wenn ich den Rucksack jetzt auf den Boden stelle, kann der Waschbär vielleicht entwischen. Es ist besser, ich behalte ihn bei mir und passe auf, dass er nicht ausbüxt“, rief er und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben in sein Zimmer. Er verschloss vorsichtshalber seine Türe und setzte sich zum Verschnaufen aufs Bett. Obwohl der Tag gerade erst angefangen hatte, es war gerade mal 11 Uhr früh, fühlte er sich bereits völlig erschöpft. Und ihm graute vor dem Rest des Tages. Als erstes musste er zurück in die Schule und danach, hoffentlich nicht zu spät, seine Geschwister daran hindern Diebe zu werden. Sein