Caro Weidenhaus

Irrländer


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„Four seasens on a monday.“ „Es ist doch durchaus ein Vorteil, dass wir hier so viel Regen haben. Das hält den Massentourismus fern. Hätten wir ein Klima wie in Spanien, wäre die Küste von Kerry mit Betonburgen zugeklotzt und wenn man über Land führe, würde man anstatt auf bescheidene, weißgetünchte Bauernhäuser auf pseudospanische Haciendas stoßen. Wer trotz des Wetters Irland bereist, muss ein wirkliches Interesse an unserem Land haben.“ sagte er.

      „Und warum fahren wir dann runter nach Glangariff, anstatt hier den Regen zu genießen? Wenn mich nicht alles täuscht, war der Grund dein ewiges Gerede von dem wunderbaren Klima im Süden.“ Ryan frohlockte und Mary hoffte, dass die Männer nicht zu streiten anfangen würden. Streitereien, die zwar gutmütig waren, aber oft hitzig eskalierten und sich endlos ausdehnen konnten.

      Jay Pop schaltete das Radio an. „...in der letzten Woche haben die Auswanderungsanträge die Rekordzahl von über achttausend erreicht. Jetzt sind es nicht nur junge, gut ausgebildete Menschen, die ihr Glück auf dem Kontinent suchen, jetzt packen ganze Familien ihr Hab und Gut... „

      „Nicht jetzt.“ sagte Mary und schaltete das Radio wieder aus. Sie befürchtete, dass die Nachrichten den Männern wieder Stoff für endlose Debatten liefern würden. In den letzten Wochen sind diese hitziger geworden und oft laut eskaliert. Denn auch Ryan und sie überlegten ernsthaft, das Land zu verlassen. Es galt nur noch und das war die schwerste Hürde, Jay Pop zu überzeugen. Und der sträubte sich vehement. Ignorierte, dass der Kampf längst verloren war, hatte selbst keine Pläne und hielt sich mit Phrasen aufrecht. Phrasen wie: - die Iren haben noch jede Krise bewältigt. – sollen sie doch abhauen, die Ratten. Dadurch wird es nur leichter, das Schiff durch das Unwetter zu steuern.- Als verstünde er etwas von der Seefahrt.

      Natürlich tat er Mary leid. Er war ein alternder Mann, der wenige Veränderungen in seinem Leben erleben musste und jetzt auch keinen Wunsch mehr nach Neuanfängen verspürte. Und er hatte im letzten Jahr zu viele Schläge einstecken müssen. Auch wenn schon in den letzten Jahren die Wirtschaftskrise immer offener ihre Fratze zeigte, bisher hatten sie sich mit dem Laden über Wasser halten können. Bis in der Nähe ein Einkaufstempel seine Glastore öffnete und mit Billigpreisen lockte. Eine Kette, deren Logo in allen Einkaufspassagen der europäischen Städte zu sehen war. Diese Entwicklung war der Ruin für die kleinen Läden in Dublin. Bis dahin wegen ihres nostalgischen Charmes und als Touristenfang gehätschelt und gehuldigt, wurden die Innenstädte plötzlich freigegeben für die großen Raubritter der Wirtschaft. Auch anderen kleinen Läden und Handwerksbetrieben ging es ähnlich wie ihnen. Rechnungen konnten nicht mehr bezahlt werden, der Großhandel stellte seine Lieferungen ein und die Banken gaben erstaunlich freigiebig Kredite, um die kurzfristigen Engpässe zu überbrücken. Die Engpässe waren Tunnel, an deren Ende die Banken und Investoren lauerten. Meistens dauerte es nicht einmal ein Jahr, dann wechselte der Laden, das Haus, die Werkstatt den Besitzer.

      Jay Pops Hausbank verhielt sich noch großzügig. Nach Abzug aller Hypotheken und anderer Verbindlichkeiten wurde ihnen noch ein Rest ausgezahlt, der reichen konnte, um sie ein paar Monate, maximal ein halbes Jahr über Wasser zu halten. Am ersten des nächsten Monats war die Übergabe.

      Und dann? Mary hatte Angst um Jay Pop. Und malte ihm aus, wie sie sich eine neue Existenz aufbauen würden. Es war ja schon vielen vor ihnen gelungen. Vielleicht sollten sie nach Deutschland , von dem es hieß, es sei immer noch ein relativ stabiles Land, auswandern. „Stell dir vor, etwas kleines, exklusives, ein winziger Laden mit deinen Glassachen und ein Regal mit englischsprachigen Büchern und eine Leseecke, in der wir Tee und Gebäck anbieten.“ Sie hatte gerade ihr Studium der Englischen Literatur abgeschlossen.

      „Du liest mehr als du lebst.“ zog Jay Pop sie manchmal auf. Zu ihren Träumen schwieg er verbissen.

      Als würde sich das übrige Europa in einem steilen Aufschwung befinden, warb es massenweise Iren an. Man versprach ihnen Eingliederungshilfen, Arbeit und Wohnung. Es lockte und gaukelte den Menschen wie vor Jahrhunderten das goldenen Amerika schöne Träume vor. Auch Mary und Ryan glaubten den Versprechungen. Und wenn sie es nüchtern betrachteten, schlimmer als in diesem Irrenhaus konnte es kaum werden. Die Zeitungen stockten täglich die Zahlen derer auf, die an der „neuen Pest“ erkrankten. Die Folgen der Ausfälle wurden immer schmerzhafter. Irland war zu einem Staat verkommen, der seine Diener nicht mehr bezahlen konnte, der Rentner ohne Rente und Arbeitslose ohne Unterstützung vor geschlossenen Ämtern stehen ließ. Der Schulen und Krankenhäuser schloss und den öffentlichen Verkehr so reduzierte, dass Pendler Mühe hatten, ihren Arbeitsort zu erreichen. Jeden Tag flohen hunderte Iren aus dem Land. Sie handelten verzweifelt und überstürzt, denn jeder hatte Angst, zu spät zu kommen. Denn irgendwann musste das Ausland mit Arbeitskräften gesättigt sein und dann würden die Türen zugeschlagen. Wer zu lange zögerte, konnte dann sehen, wie er überlebte in einem Land, das längst jede Verantwortung für seine Kinder abgelegt hatte.

      Am Kinsale Head machten sie eine Rast. Die Regenwolken hatten sich aufgelöst und der Atlantik glitzerte im Morgenlicht. Felsen wie aztekische Pyramiden stiegen steil aus dem Meer. Vom rauen Klima angegriffen, zerbröckelnd und doch so massig, dass sie weitere Millionen Jahre dort stehen würden. An ihren Sockeln peitschte gierig der Atlantik mit haushohen Wellen. In der Luft jagten die Seevögel kreischend gegen das Donnern der Brandung an. Und oben auf dem Plateau so weit man schauen konnte smaragdgrüne Matten, die selbst im Herbst noch genauso frisch leuchteten wie im Mai.

      Ryan hatte am Abend vorher Sodabrot gebacken, dazu aßen sie Bücklinge, die sie unterwegs in einer kleinen Räucherei gekauft hatten, und tranken heißen Tee aus Thermoskannen.

      Nach der Pause wollten sie wenig befahrene Nebenstraßen in Richtung Bantry nehmen, sich Zeit lassen, um etwas von der Landschaft zu sehen. Aber kurz vor Clonakilty schien ihre Reise erst einmal zu Ende. Die schmale Straße war von einem Demonstrationszug blockiert.

      Jay Pop fuhr auf den Seitenstreifen und kurbelte das Fenster herunter. Er verwickelte sich in ein Gespräch mit einem jungen Paar. Der Mann trug ein Pappschild wie eine Monstranz vor sich her. Entmachtet die Banken, stand in dicken schwarzen Buchstaben darauf. Von Banken flossen rote Blutstropfen. Eine Dramatik wie in einem Gruselfilm.

      „Lasst den Wagen stehen und kommt mit.“ sagte der Mann.„ In Cork und in Dublin und vielen anderen Städten wird heute demonstriert.“ Das Gesicht des Mannes leuchtete begeistert und seine Augen bohrten sich in Marys und lockten: komm mit!

      Die Frau hinter ihm tänzelte leichtfüßig und spielte auf einer Fiddle eine altirische Ballade. Die Menschen strömten zu fünft, sechst nebeneinander, zu hunderten hintereinander einen Hügel hinunter auf Mary zu. In der Ferne tanzten sie wie bunte Segelschiffe auf einem langen Fluss.

      Der Sog zerrte an ihr, dass ihr schwindelig wurde und

      ihr Herz heftig gegen die Rippen polterte. Sie fühlte sich aufgerüttelt wie ein Kaleidoskop, in dem Bilder in schneller Folge durcheinanderwirbelten und sich zu immer neuen Szenen zusammensetzten. Wie sie als junges Mädchen ihrer erste Demo erlebt hatte. Sie war am Anfang begeistert aus Solidarität mit den Kommilitonen mitgezogen. Aber allmählich, umso mehr sie mit den politischen Zuständen und den Forderungen der Demonstranten vertraut wurde, hatte die Wut auch sie angesteckt. Sie hatte zugesehen, wie Schaufenster zu Bruch gingen und Autos brannten.

      Sie hatte schon lange an keiner Demo mehr teilgenommen. Die Familie, das Studium, ließen keine Zeit und Energie mehr für andere, wichtige Dinge. Sie fühlte eine übermächtige Sehnsucht nach einer Freiheit, die sie so lange nicht mehr gespürt hatte. Selbst nach der Gefahr, sich Knüppeln und Tränengas auszusetzen. Dabei sein, sich diesen Menschen zugesellen, sich wieder wichtig fühlen. Das war wie in eine andere Haut oder Rolle schlüpfen. Ihr Blick fiel auf Liam, der neugierig den Kopf über die Schulter seines Großvaters nach vorne reckte. Heute sollte sie für ihn kämpfen, für seine Zukunft, das wusste sie plötzlich. Sie fühlte sich dabei so ernst und verantwortungsbewusst wie damals, als sie ihn das erste mal im Arm hielt und ihm leise versprach, dass sein Leben wunderbar sein und sie alles dafür tun würde.

      „Die Banken haben unseren Laden geschluckt. Ich gehe mit.“ sagte sie „ Ich muss das einfach tun. Ihr drei Männer werdet auch ohne mich ein paar schöne Tage haben.“ Und bevor die Männer protestieren und sie verunsichern