Gerd Kramer

Spielball ferner Welten


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sich nicht mehr. Dort drüben muss es sein.“ Er zeigte auf drei silbergraue Leichtbauhallen, die in U-Form angeordnet waren. Je näher sie kamen, desto höher stieg der Lärmpegel, klirrende Geräusche, die ein Radlader verursachte, der Metallschrott vor sich herschob.

      „H & G Waldmann Recycling GmbH“ war auf einem Firmenschild zu lesen.

      „Unser Roboter hat sich auf einem Schrottplatz verkrochen“, sagte Brink erstaunt. „Alles hätte ich erwartet, aber das nicht. Was hat das zu bedeuten?“

      „Ich hab keine Ahnung.“ Fischer ging auf das Pförtnerhaus zu, ein kleines Flachdachgebäude aus rotem Backstein.

      „Zu wem wollen Sie?“, fragte der Mann hinter der Scheibe.

      Fischer hatte sich nicht überlegt, was er sagen sollte. Fast hätte er gefragt, ob eine Spinne die Schranke passiert hätte. „Wir sind nicht angemeldet.“

      „Zu wem wollen Sie denn?“, wiederholte der Pförtner seine Frage mit Ungeduld in der Stimme.

      „Wir benötigen nur ein paar Informationen. Ich bin Reporter und schreibe einen Bericht über die hier ansässigen Unternehmen. Der Betrieb verwertet Elektroschrott?“

      „Ja. Aber für Auskünfte über die Firma bin ich nicht zuständig und nicht berechtigt.“

      „Könnten wir jemanden sprechen, der zuständig ist?“

      „Jetzt, um diese Zeit. Nein. Sie müssen sich sowieso vorher anmelden. Und heute ist es ganz schlecht. Wir hatten gestern einen Unfall. Nein, keinen Unfall. Jedenfalls keinen Arbeitsunfall. Schreiben Sie das ja nicht. Warten Sie, ich gebe Ihnen eine Telefonnummer. Rufen Sie unseren Herrn Wolgers an. Er kommt meistens so um halb neun Uhr herum. Mit ihm können Sie einen Termin ausmachen.“ Der Mann überreichte Fischer einen Zettel.

      „Danke.“

      Fischer ging zu Brink, der auf der anderen Straßenseite wartete.

      „Irgendetwas ist hier passiert. Der Pförtner hat von einem Unfall gesprochen.“

      „Die Spinne?“

      „Es würde mich nicht wundern, wenn auch die anderen Exemplare denselben Weg genommen hätten.“

      „Um sich auf dem Schrottplatz niederzulassen? Das gibt doch keinen Sinn.“

      „Hier gibt es Metalle.“

      „Was? Ich verstehe nicht.“

      „Ich auch nicht. Vielleicht benötigen sie aus irgendeinem Grunde das Material. Hier bekommen sie Gold, Silber, Kobalt, Palladium, Kupfer und was sonst noch das Herz eines künstlichen Lebewesens begehren könnte. Wir sollten doch die Polizei informieren. Wie hieß der Kommissar, mit dem du zu tun hattest?“

      „Hauptkommissar Graf. Die Nummer ist auf meinem Handy gespeichert. Ich rufe ihn an. Vielleicht ist er schon im Präsidium.“ Brink zückte sein Smartphone und wählte den Eintrag aus. Tatsächlich war der Hauptkommissar bereits im Büro.

      Fischer bekam nur einen Teil des Telefonats mit.

      „Und? Wird die Polizei jetzt etwas unternehmen?“, fragte er, nachdem Brink das Gespräch beendet hatte.

      Brink schüttelte den Kopf. „Der Hauptkommissar hat mir kein Wort geglaubt. Immerhin hab ich erfahren, was hier gestern passiert ist. Ein Arbeiter ist plötzlich tot umgefallen. Ohne ersichtlichen Grund. Als ich nach einer Spinne fragte, hat Graf gelacht. Er hat gelacht! Kannst du dir das vorstellen?“

      „Wir brauchen Beweise.“

      „Ich könnte noch eine drucken und ihm ins Bett legen. Das würde ihn überzeugen“, sagte Brink zornig.

      „Die Geschichte ist so unglaublich, dass ich sie auch nicht glauben würde. Ich hätte die Sache mit der Spinne ebenfalls als Spinnerei abgetan.“

      „Schönes Wortspiel. Was machen wir jetzt?“

      „Wo ist unser Zielobjekt?“

      Brink rief die App auf, die die Position auf einer Karte anzeigte. „Immer noch im Betrieb.“

      „Wir müssen die Mitarbeiter warnen.“

      „Auch hier wird uns niemand ernst nehmen.“

      „Egal. Wir müssen es versuchen. Darf ich dein Handy benutzen? Ich hab meins nicht dabei.“

      Brink überreichte ihm das Gerät. Fischer rief die Nummer an, die der Pförtner ihm gegeben hatte. Der Firmensprecher war noch nicht im Betrieb. Aber es nahm ein Kollege ab. Fischer erzählte ihm, dass sich vermutlich eine giftige Spinne auf dem Firmengelände befände. Jede Berührung könne tödlich verlaufen. Fischer hatte nicht den Eindruck, dass seine Erklärungen den Mann überzeugt hätten, aber nach langem Hin und Her versprach der, eine Warnung an alle Mitarbeiter weiterzugeben.

      „Wir können hier weiter nichts tun. Selbst mit dem GPS-Signal würde es uns wahrscheinlich nicht gelingen, das Tier zu orten. Außerdem bin ich überzeugt, dass es nicht das Einzige auf dem Schrottplatz ist. Wenn ich mich nicht irre, versammeln sich hier alle. Weißt du, wie viele gedruckt wurden?“

      „Mit unserem Exemplar sind es sechs. Jedenfalls, soweit ich das feststellen konnte.“

      „Wir gehen jetzt zurück zur Firma, und ich werde nach Hause fahren, duschen und frühstücken. Rufst du mich an, wenn es Bewegung in der Sache gibt?“

      Brink nickte.

      *

      Am liebsten hätte Axel Brink nicht an der Beisetzung seines Freundes teilgenommen. Er hatte den Sinn der Zeremonie nie so richtig verstanden. In dem Grab, vor dem er stand, war nichts anderes als eine Urne mit einem Haufen Asche. Nichts von dem, was Stefan ausgemacht hatte, befand sich darin. Gar nichts. Alles, was geblieben war, waren Erinnerungen. Erinnerungen an seine aufmunternde Art, an seinen Optimismus, der für sie beide gereicht hatte und den er hervorzaubern konnte, wann immer es nötig war, an seine Lebensfreude, aber auch an seine oftmals nachdenkliche Art.

      Angeblich lag der tiefere Sinn der Zeremonie darin, Abschied zu nehmen. Aber auch das würde für Brink nicht funktionieren. Nicht so. Bei einem normalen Abschied konnte man dem anderen noch etwas sagen, Missverständnisse ausräumen und ihm danken. All das war nicht mehr möglich.

      Jemand übergab Brink die Schaufel. Er nahm Erde auf und ließ sie in das Grab fallen. Es war eine unglaubliche Ironie, dass in diesem Augenblick eine Spinne an seinen Füßen vorbeikrabbelte. Er musste sich beherrschen, um sie nicht zu zertreten, mit aller Wut, die er in sich trug.

      Als er Stefans Eltern die Hand gab, verspürte er noch einmal ganz deutlich seine Schuldgefühle. Er hätte seinen Freund nicht um Hilfe bitten sollen, die Spinne zu beseitigen. Er hätte diesen Drucker niemals entwickeln dürfen!

      5. Kapitel

      Es war mitten in der Nacht, als Brink anrief.

      „Unser Objekt hat sich bewegt“, sagte er aufgeregt. „Ich habe eine Funktion in die App eingebaut, die mich weckt, wenn das passiert.“

      „Wo ist es jetzt?“

      „Außerhalb des Schrottplatzes, aber noch in der Nähe des Firmengeländes.“

      „Ich komme sofort. Bis gleich.“ Fischer drückte das Gespräch weg und zog sich hastig an. Die Katze eilte aus dem Wohnzimmer herbei, vermutlich in der Hoffnung, dass es außerhalb der vereinbarten Zeiten etwas zu fressen gab. Doch sie hatte Pech. Fischer ignorierte ihr herzerweichendes Miauen und machte sich auf den Weg.

      Brink wartete bereits am Eingangstor. Er stieg auf der Beifahrerseite ein.

      „Ich bin gespannt, wo das Ding hin will. Hast du eine Taschenlampe dabei? Ich hab nicht daran gedacht, eine einzustecken“, sagte er.

      „Im Kofferraum. Wir haben Vollmond, und es ist erstaunlich hell.“

      „Bei