Gerd Kramer

Spielball ferner Welten


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wir links abbiegen. Das Objekt ist nur noch fünfhundert Meter entfernt. Wenn wir nahe genug dran sind, sollten wir zu Fuß weitergehen.“

      „Was will es in dieser gottverlassenen Gegend? Gibt es hier irgendetwas Besonderes?“

      „Absolut nichts. Nur ödes Brachland.“

      Sie bogen in einen Feldweg ein. Fischer stoppte den Wagen und schaltete den Motor ab. Dann stiegen sie aus. Fischer nahm die Taschenlampe aus dem Kofferraum. Die beiden Männer folgten der Spinne, die sich im Schritttempo fortbewegte, in einem Abstand von hundert Metern. Nach einer Viertelstunde änderte sie die Richtung und lief auf einen Hügel zu, der in der Ferne auftauchte.

      „Da ist sie“, flüsterte Fischer plötzlich und richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Spinne, die gerade hinter einem Grasbüschel verschwand. Warum er flüsterte, wusste er selbst nicht. Es gab keine Anzeichen dafür, dass der Roboter akustische Sensoren besaß.

      „Das kann nicht sein. Unser Objekt muss weiter weg sein.“

      „Da ist noch eine Spinne. Dort drüben! Und noch eine. Es sieht so aus, als hätten sich alle sechs Exemplare hier verabredet. Wir müssen verdammt vorsichtig sein, dass wir keiner zu nahe kommen.“ Fischer richtete den Lichtstrahl einige Meter voraus auf den Boden. Er ging nur noch langsam vorwärts. Auch Brink reduzierte sein Tempo und beobachtete argwöhnisch die Umgebung. Als sie den Hügel erreichten, zeigte das GPS-Signal an, dass sich das Zielobjekt nicht mehr bewegte.

      Wenig später standen Brink und Fischer auf dem Hügel und blickten auf ein Szenario, das ihnen die Sprache verschlug. Tausende Spinnen hatten sich im Mondlicht zu einem kreisförmigen Gebilde formiert. Die einzelnen Elemente bewegten sich, als suchten sie ihre optimale Position. Gleichzeitig schien das Ganze einem koordinierten, übergeordneten Bewegungsmuster zu folgen. Zu den Rändern hin stapelten sich immer mehr übereinander und bildeten fast eine Halbkugel. Das Mondlicht spiegelte sich an den Spinnenkörpern und erzeugte konzentrische Ringe in Regenbogenfarben. Der Anblick war gespenstisch, faszinierend und schön zugleich.

      „Was ist das? Was geht hier vor?“, stotterte Brink.

      Fischer hatte als Erster die Fassung wiedererlangt. Er zückte sein Smartphone und filmte die Szene.

      „Es sieht so aus, als verhielte sich die Ansammlung wie ein Schwarm.“

      „Das sind Tausende Spinnen. Wo kommen die alle her? Ich verstehe das nicht. Die können sich doch nicht vermehrt haben.“

      „Vielleicht …“

      „Was?“

      „Keine Ahnung.“

      „Sag schon.“

      „Ich weiß es doch auch nicht. Sie könnten sich reproduziert haben. Autoreplikation.“

      „Du meinst, die bauen Ihresgleichen nach? Der Schrottplatz! Verdammt. Die holen sich das Material, das sie brauchen, vom Recyclingbetrieb.“ Brink schüttelte den Kopf.

      „Ich schließe nichts mehr aus. Aber in so kurzer Zeit? Außerdem müsste man den Schwund bei der Firma doch bemerkt haben.“

      „Dort werden Unmengen Schrott verarbeitet“, antwortete Brink. „Aber vermutlich hat man die Fraßspuren bereits entdeckt. Und was die Vermehrung betrifft, die Replikation – kennst du das Schachbrettproblem?“

      „Die Sache mit den Reiskörnern. Ja, natürlich – du hast recht. Das Ganze entwickelt sich exponentiell. Von sechs Exemplaren ausgehend: 12, 24, 48, 96, 192, 384, 768. In nur sieben Schritten wären wir bei einer Population von summa summarum 1524.“

      „1530.“

      Fischer stutzte. „Äh – und ich hab gedacht, eure Generation könnte nicht mehr kopfrechnen.“

      „Ich hab geblufft und damit gerechnet, dass du die ersten sechs vergisst.“

      Fischer lachte. „Nicht schlecht.“

      „Und du glaubst, dass alle Biester zusammen einen Schwarm bilden?“

      „Im günstigsten Fall ja.“

      „Mann, wovon sprichst du? Was heißt das: ‚im günstigsten Fall‘?“

      „Ach nichts. Die Fantasie geht manchmal mit mir durch. Diese Versammlung da unten hat etwas zu bedeuten. Wir müssen herauskriegen, was es ist. Wir müssen ganz cool bleiben und das Treiben beobachten.“

      Die beiden Männer standen stumm nebeneinander auf der Anhöhe und sahen auf die Spinnenformation herab. Es war noch immer Bewegung in der Anordnung. Das Ganze wurde begleitet von einem kaum hörbaren Rauschen und einem singenden, hochfrequenten Ton, der plötzlich verstummte. Auch die Bewegung erstarrte für einen Moment.

      Ein scharfer Geräuschimpuls folgte. Sekunden später löste sich die Formation auf, und die ersten Mitglieder kamen auf Brink und Fischer zu.

      „Weg hier!“, schrie dieser.

      Obwohl sie auch im Schritttempo schneller waren als die Spinnenroboter, rannten sie Richtung Fahrzeug. Nach einigen hundert Metern verließ Fischer die Puste.

      „Ich glaube, wir sind aus der Gefahrenzone“, japste er und verlangsamte seinen Lauf.

      Als sie im Auto saßen und den Feldweg hinter sich ließen, ergriff Brink als Erster das Wort.

      „Vermutlich werden sie sich jetzt wieder auf dem Recyclinghof satt fressen.“

      „Sicher ist das nicht. Vielleicht haben sie die Population erreicht, die sie angestrebt haben.“

      „Aber irgendwo müssen sie sich verstecken. Wenn die Riesenviecher in der Öffentlichkeit auftauchen, wird man Jagd auf sie machen.“

      „Ich glaube nicht, dass sie das fürchten müssen. Du vergisst, dass sie sich verkleinern können. Dann sehen sie aus wie ganz normale Spinnen. Das ist eine perfekte Tarnung. Nur wenn sie eine Aktion planen, ist ihre wahre Größe gefragt.“

      „Das klingt nicht gut. Wie kommt es eigentlich, dass ich ständig denke, dass du den Durchblick hast und ich hinterherhinke?“

      „Reiner Bluff. Vielleicht hilft dabei auch das Image der Physiker. Manche Leute glauben, dass wir alle kleine Einsteins sind. Was natürlich Quatsch ist. Na ja fast. Da ist schon was dran.“ Fischer lachte.

      „Nein im Ernst. Ich hab den Eindruck, dass du mehr weißt, als du zugibst.“

      „Vielleicht hab ich aufgrund meines Alters mehr Erfahrung. Ich bin während meiner Arbeit oft an einem Punkt angelangt, an dem nur noch eine beträchtliche Portion Intuition weiterhalf.“

      „Und was sagt deine Intuition? Was lief da vorhin ab?“

      „Ich werde mir den Film nachher noch einmal genau ansehen. Aber ich hatte den Eindruck, als hätte sich der Schwarm ganz gezielt ausgerichtet. Kannst du dir vorstellen, was für eine Energie auf einem Haufen versammelt war? Denk an den Stromschlag, den du erhalten hast, und multipliziere das mit tausend, wobei es meiner Ansicht nach wesentlich mehr Einheiten waren.“

      „Die Energie wäre nur für kurze Zeit abrufbar“, warf Brink ein.

      „Ja. Aber man könnte damit einen gigantischen Puls erzeugen. Zum Beispiel einen Laserpuls.“

      „Worauf willst du hinaus?“

      Fischer lenkte seinen Daimler auf den Firmenparkplatz und schaltete den Motor aus. „Auf gar nichts. Ich fantasiere nur ein wenig.“

      „Egal. Mach weiter.“

      „Der Schwarm könnte einen Laserstrahl ausgesendet haben.“

      Brink lachte. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“

      „Wie gesagt. Ich fantasiere nur. Oder nenne es Brainstorming. Lassen wir das.“

      „Nein, nein. Sorry. Deine Gedankengänge sind faszinierend.“