Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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auch wenn sie meine Sprache nicht verstand. Aus dem Wenigen, was sie von sich gegeben hatte, war eine einigermaßen gesunde Intelligenz herauszuhören gewesen. Doch ich hatte verloren. Mit Niederlagen musste man in diesem Spiel immer rechnen. All die Stunden, in denen ich mich mit ihr beschäftigt hatte, waren vergebene Liebesmüh. Sie war in einer Beziehung, wie sie sich ausdrückte. Glücklich dazu. Selbst wenn sie mich damit nur täuschen wollte, war ich abgeblitzt. Meine Enttäuschung klang nur langsam ab. Weil es obendrein zu regnen begann, schlich ich heim und setzte mich zurück an den Schreibtisch. Nach ein paar Stunden Kampf und Krampf hatten sich Kreativität und Notwendigkeit tatsächlich auf einen vorläufigen Arbeitstitel verständigt. Im Bemühen die letzten Erinnerungen an jene besonderen Stunden dieses Tages endgültig abzuhaken, weil die Schöne sie schlichtweg nicht wert war, entschied ich mich für den Versuch, einen Ersatz für Zufriedenheit zu suchen. Dabei. Ich hätte es besser wissen können.

      Am Abend war ich auf dem Weg ins Fitnessstudio, als mich ein Anruf mit unbekannter Nummer ereilte. In der Regel meldete ich mich auf Tarnungen dieser Art nicht und vermutete Julia oder Karo hinter diesem Begehren, doch an diesem Tag hatte ich ohnehin nichts mehr zu verlieren.

      „Hallo! Vielen Dank für das Buch,“ schwadronierte sie sogleich schwungvoll. „Aber denk’ jetzt bloß nicht, dass das ausreicht um mich zu erobern.“ Weil sie es bemerkt hatte, reichte es aus.

      Meine schöne Unbekannte hieß Sabrina, war einunddreißig Jahre alt und arbeitete lange, viel und gerne als Buchhalterin in dem Unternehmen. Meine Beharrlichkeit und Idee hatten ihr gefallen, mein Benehmen und Auftreten auch, wie sie das Gespräch fortsetzte. Aus ihrer Stimme war herauszuhören, dass sie Erklärungen vortrug, für die keine Rechtfertigung notwendig war. Sie hatte das Spiel verloren. Mein Spiel.

      Natürlich war es gewagt, Bücher mit einer Botschaft zu verschenken. Viele Frauen hielten einen gleich für einen überheblichen Besserwisser, für einen Romantiker oder Analytiker, wenn man sie derart überrascht hatte. Aber alle, ausnahmslos alle, mochten Aufmerksamkeiten, selbst wenn ein völlig Unbekannter versuchte, ihr kleines Dasein mit ein bisschen Geist zu bereichern, denn allein der besaß Bestand. Früher oder später, wenn die Körper erkundet und die Seelen umschlungen waren, ging es darum, den Verstand eines Menschen zu lieben, gewissermaßen ihren Kopf zu ficken. Die meisten Frauen lernten das entweder nie oder zu spät. Sabrina jedenfalls bedankte sich erfreut für den geschenkten Abdruck von Bildung – Alles, was man wissen muss, in dem ein Autorenkollege einen Abriss über das veröffentlicht hatte, was in der Welt jemals Bedeutung besaß. Epochen, Sagen, Geschichte, Religionen, Maler, Dichter, Denker, Musiker – mit einfachen Sätzen brachte er es, bisweilen humorvoll dazu, auf ein Muss für jeden, der sich für mehr interessierte, als in den verblödenden Druckerzeugnissen des Boulevards zu lesen war.

      Mein Geschenk war nicht besonders originell, wie ich bemerkte, aber wirkungsvoll, wie ich beabsichtigt hatte. Sabrina ergänzte ihre Freude mit dem Eingeständnis, dass sie schon immer in ihrem hübschen Köpfchen hatte, sich dieses Werk anzuschaffen. Natürlich! Was sonst auch hätte sie sagen sollen, doch ich war gewillt ihr zu glauben. Mehr noch aber als diese omnipotente Darstellung zur Beseitigung bestimmter Bildungslücken beglückte sie mein Kärtchen, das ich dem Buch beigefügt hatte. Neben Namen und Telefonnummer hatte ich ihr einen Satz aufgeschrieben. „Alles, was man verdrängt hat, schreit im Traum um Hilfe.“ Ich konnte nicht ahnen, welche Bedeutung diese Worte, die zur Erkenntnis der Hauptfigur meines Drehbuchs gereift waren, gerade für diese Frau besaß. Sabrina fragte erstaunt nach, woher ich wissen könne, dass die im Schlaf vollzogene Verarbeitung des Lebens für sie ein gewichtiges Thema war, worauf ich gehaltlos antwortete, weil ich darum nicht wissen konnte, was mich nun wieder eine ganze Weile nachdenklich stimmte, als ich nach unserem Gespräch über Zufall und Bestimmung sinnierte. Wir verabredeten uns für Mittwoch, gleich nach der Arbeit, die an diesem Tag Freiräume ließ, erst einmal nur so, zum Shoppen und Schwatzen, wie mein Liebchen meinen Annäherungsversuch vollendet hatte.

      Dem Kämpfer gebührte eine Belohnung. Jedenfalls war mir danach. Die Liebe und die Frauen waren anstrengend genug, sodass an sich selbst zu denken schnell beschlossen war. Ein nahe gelegenes Fitnessstudio war mein Ziel, doch nicht der Ertüchtigung wegen. Die Lodge war ein Tempel der Eitelkeiten, ein Hotspot zwischen Glühen und Glucken, in dem sich hunderte armer Seelen quälten, den allgemeinen körperlichen Verfall nach Kräften aufzuhalten. Manchmal kam es mir so vor, als bestrafte ich mich an diesem Ort für Dinge, die ich noch gar nicht getan hatte. Weitaus lieber wollte ich über meine kleine Eroberung nachdenken, setzte mich auf die Terrasse der Sportanlage und trank Wein. Auf der Veranda mit traumhaftem Blick hatte man seine Ruhe. Mitten in der Stadt gab es eine parkähnliche Oase, die mich schon oft dazu eingeladen hatte, meine Gedanken zu ordnen. Abgesehen davon, dass man in den Sommermonaten während des Freibadbetriebs so herrliche Blicke auf allerlei verschiedene weibliche Begehrlichkeiten genießen konnte.

      Ein kleines Abenteuer stand an und was wäre das Leben ohne diese Herausforderungen? Eine Frau zu erobern war nicht schwer, kam mir zunächst grundsätzlich in den Sinn. Eine schöne Frau zu erobern war dazu ein Genuss. Der Welt fehlten ohnehin ganz eindeutig ein paar Abenteurer mehr. Doch je länger ich an Sabrina dachte, desto mehr setzte sich ein anderer Gedanke durch, der nämlich wessen alles geschehen war. Konnte und wollte Sabrina mich ficken, konnte sie dominant sein? Hatte sie ähnliche erotische Fantasien, mit denen ich sie einen ganzen Nachmittag lang belegt hatte, dazu noch an einem Sonntag? Ohne auch nur die geringste Ahnung von ihr zu haben, projizierte ich meine Gelüste auf sie, die mit Eve auszuleben unmöglich geworden war.

      War ich auf Jagd, hatte ich, den gewohnten Riten folgend, meine wahren Absichten verschleiert und fragte mich, wie lange ich wohl warten musste, bis ich mich entkräftet von ihr abrollen durfte. Der, der vor sie getreten war, schien ihr etwas zu sagen, was auch immer. Der, der er wirklich war, hätte er die Wahrheit offenbart, wäre gewiss mit einer schallenden Ohrfeige und mehr gewürdigt worden, denn welche Frau wurde schon gerne beim Mittagessen mit einer Schilderung überrascht, die enttarnte, dass man in Gedanken bereits auf ihren Brüsten gekommen war? Ich haderte plötzlich mit der vulgären Sprache in meiner Gedankenwelt. Sie war ohne jeden Stil. Da war sie wieder, die Verrücktheit der Lust. Ehrlich zu sein zählte einfach nicht. Seit Jahrtausenden schon folgte der Reigen zwischen Mann und Frau einem einfachen Prinzip. Wer ficken wollte, musste nett sein, also erst einmal lügen, um die Wahrheit zu leben.

      Eine weitere Einsicht beschäftigte mich plötzlich. Bei allem was ich von Sabrina kannte und sich mir noch verbarg, war sie letztlich austauschbar. Ort und Zeit waren zufällig, als sich unsere Wege kreuzten. Genauso gut hätte es eine andere Frau treffen können, vorausgesetzt ihre Brüste waren groß und ihr Hintern klein genug. Die bloße Äußerlichkeit einer Frau reichte aus, um unbedacht allerlei Dummheiten zu erliegen. Wenn sie attraktiv war. Die Schönheit von Frauen war schon immer meine Schwäche gewesen. Sabrina war schön. Aber wieder fragte ich mich, ob sie mich auch beherrschen konnte. Ließ sie sich, wie die vielen anderen Verlorenen, die auf mich warteten, einfach nur ficken oder fickte sie selbst zurück? Erst eine schöne Frau, die ebenso bereitwillig wie zügellos das Zepter der Lust schwingen konnte, war die Eine der Zehn von Hundert. Längst schon hatte ich den grundsätzlichen Benimm von Frauen durchschaut. Lagen sie erst einmal neben mir im Bett, war jeder öffentliche Vortrag von Emanzipation und Selbstbewusstsein Schall und Rauch. Sie ließen mich gewähren, allein mich. Sie selbst ergriffen so wenig Initiative.

      Dabei war das Wesen der Hingabe, der sexuellen Erregung, die hemmungslose Selbstaufgabe. Es gab keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Gleichberechtigung beim Sex war pure Langeweile. Es ging um das ständige Ungleichgewicht, um den ständigen Wechsel, beherrscht zu werden und zu beherrschen. Sex war die vollkommene Nacktheit der Triebe. Mal schlug der eine den Takt an, dann wieder war der andere überlegen. Sex war roh und zügellos. Fickte ich Frauen wie Julia, konnte ich sie beherrschen. Den meisten gefiel meine Dominanz. Ich durfte wiederkommen. Fassten sie, wenn sie konnten, nach einer Weile in zaghaften Ansätzen so etwas wie Vertrauen und waren bereit, das Chaos ihres Eros’ zu wagen, was nur die wenigsten wirklich zuließen, verließ ich sie. Ich wollte keine Bereicherung für sie sein, weil sie für mich keine waren außer sie zu ficken. Sie waren nicht schön genug. Ich liebte sie nicht.

      Was aber war es wert, mit einer Frau an meiner Seite das Leben zu meistern, an der ich so vieles anderes